Mehr Geld, Entlastung, bessere Ausbildung und ein nach eigenen Bedürfnissen nutzbares "Lebensphasenkonto" – für diese Tarifforderungen streiten die Beschäftigten der vier baden-württembergischen Universitätskliniken. Und sie machen gehörig Druck. "Bei den Warnstreiks werden wir von Mal zu Mal mehr, das ist richtig gut", berichtet die Gesundheits- und Krankenpflegerin Regina Glockmann von der Uniklinik Heidelberg.

Am ersten Warnstreiktag Anfang Juni hatten sich in Ulm, Tübingen, Heidelberg und Freiburg insgesamt 1.300 Beschäftigte beteiligt, Mitte des Monats waren es schon über 2.000. Etliche Betten konnten nicht belegt, Operationen mussten abgesagt werden. "Die Leute sind sauer, dass sich die Arbeitgeber in den entscheidenden Fragen nicht bewegen", erklärt Regina Glockmann, die Mitglied in der ver.di-Verhandlungskommission ist. "Sie wollen bei hoher Belastung und je nach Lebensphase mehr Freizeit haben können – das ist im Moment der Knackpunkt in diesem Tarifkonflikt."

Ob Zeit für eine längere Reise, für die Familie oder doch lieber Geld für eine neue Anschaffung ansparen, so könnte es künftig sein, wenn sich die Beschäftigten der Unikliniken im Südwesten mit ihrer Forderung nach einem "Lebensphasenkonto" durchsetzen. Der Arbeitgeber soll fünf Tage pro Jahr einbringen. Wann und wie die Beschäftigten diese verwenden, ob in Form von Freizeit oder Geld, wollen sie selbst entscheiden.

Doch die Arbeitgeber blocken ab. "Sie wollen alle Fragen allein monetär beantworten, doch es geht uns nicht nur ums Geld", betont Regina Glockmann. "Wir brauchen unbedingt Entlastung, bessere und attraktive Arbeitsbedingungen, damit wir bis zur Rente gesund arbeiten können." Neben dem Lebensphasenkonto fordert ver.di deshalb einen Tarifvertrag Entlastung. Eine solche Vereinbarung gibt es für die Pflegekräfte an den baden-württembergischen Unikliniken zwar bereits seit 2018. Doch sie wirkt nicht wie erhofft.

Verbindlichkeit fehlt

"Es fehlt vor allem die Verbindlichkeit", sagt die Personalratsvorsitzende der Uniklinik Tübingen, Lena Mayr. Die Vereinbarung werde an den Standorten sehr unterschiedlich und insgesamt unzureichend umgesetzt. "Deshalb fordern wir jetzt, dass die Pflegekräfte nach drei unterbesetzten Schichten automatisch einen zusätzlichen freien Tag als Belastungsausgleich erhalten."

Ähnliche Tarifregelungen hat ver.di zuletzt unter anderem an Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hessen durchgesetzt. "Wir hoffen, dass unterbesetzte Schichten dadurch irgendwann zur Ausnahme werden, nicht mehr die Regel", sagt Johanna Schramm, die an der Freiburger Uniklinik eine Ausbildung zur Pflegefachfrau mit Schwerpunkt Pädiatrie macht. "Das würde auch die Ausbildung verbessern. Denn wenn die Examinierten überlastet sind, haben sie keine Zeit, uns in Ruhe etwas zu zeigen." Oft müssten Auszubildende wegen der Personalnot Aufgaben übernehmen, denen sie sich eigentlich noch gar nicht gewachsen fühlen.

Auf Basis von Befragungen hat ver.di weitere Forderungen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität entwickelt. "Wir möchten einen Anteil von 25 Prozent strukturierter Praxisanleitung erreichen – nicht nur für die Pflege, sondern auch für die Physiotherapie und die medizinisch-technischen Berufe", erklärt Johanna Schramm, die sich in der ver.di-Jugendtarifkommission engagiert.

2016 hat ver.di an den baden-württembergischen Unikliniken erstmals einen Tarifvertrag zur Ausbildungsqualität durchgesetzt, was einiges bewirkte. Jetzt werde für weitere Verbesserungen und für die Ausweitung auf andere Berufe gestritten, "damit alle nach einer guten Ausbildung gestärkt und sicher ins Berufsleben starten können", so die angehende Kinderkrankenpflegerin. Das erhöhe auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute dauerhaft im Beruf bleiben.

Nach anfänglichem Unverständnis zeigten sich die Arbeitgeber in den Verhandlungen zur Ausbildungsqualität mittlerweile offen, berichtet Johanna Schramm. "Sie haben angefangen, uns zuzuhören." Neben ihren Argumenten dürfte das auch auf die große Aktionsbereitschaft der Auszubildenden zurückzuführen sein. Beim Azubi-Streiktag seien fast alle aus der Physiotherapieschule dagewesen. "Ein krasser Erfolg", sagt die junge Gewerkschafterin. An den vier Kliniken beteiligten sich an den Streiktagen jeweils über 250 Azubis. Etliche organisieren sich in ver.di.

Mega-Nachholbedarf

Für Auszubildende fordert ver.di 250 Euro mehr im Monat. Die Löhne sollen um 11 Prozent, mindestens 500 Euro monatlich steigen. Zuletzt gab es zwar im Januar 250 Euro monatlich mehr – ein Ergebnis der letzten Tarifbewegung. Das hat die Reallohnverluste der vergangenen Jahre aber nicht komplett ausgeglichen. "Es besteht also erheblicher Nachholbedarf", betont ver.di-Verhandlungs- führer Jakob Becker. Die Unikliniken müssten "ordentlich nachlegen". Insgesamt gehe es darum, die Arbeit deutlich attraktiver zu machen. Sonst bekomme die Gesellschaft als Ganzes ein Problem, weil kaum noch jemand kranke Menschen pflegen und versorgen wolle.