Emilie Lau - Die Kompormisslose

Mit der Demokratie in Hongkong ist es so eine Sache: Festland-China darf nicht kritisiert werden, zumindest nicht öffentlich. Doch das hindert Emily Lau nicht, sich für Menschen- und politische Rechte öffentlich einzusetzen

Von leonie winter

Es war ein schöner Septembertag vor gut drei Jahren, als Emily Lau wie immer auf dem Weg in ihr Abgeordnetenbüro im Stadtteil Shatin war. Doch irgendetwas war diesmal anders. Es roch unangenehm, und als sie die Tür zum Büro öffnen wollte, konnte sie kaum glauben, was sie sah: Jemand hatte Fäkalien an ihre Bürotür und Wände geschmiert. "Eine Riesensauerei war das", sagt Emily Lau. "Ein geschmackloser Versuch, mich einzuschüchtern."

Es war freilich ein erfolgloser Versuch, die Hongkonger Bürgerrechtlerin Emily Lau ist bekannt als Kämpferin. Die Liste der Übergriffe auf sie ist lang: Brandanschläge, Drohanrufe, Drohbriefe - das alles hat sie schon mehrmals erdulden müssen. Seit mehr als zehn Jahren hat sie Einreiseverbot in Festland-China, und eine der Lieblingsübungen der pekingtreuen Presse in Hongkong ist es, Emily Lau in ausführlichen Features zu attackieren und zu diskreditieren. Mit ihren pekingkritischen Äußerungen sorgt sie regelmäßig für Wirbel.

"Es ist ein langer, harter Weg zu mehr Freiheit", sagt Lau und gießt Tee nach. Die zierliche 55-Jährige sitzt am Schreibtisch ihres Büros im Legislative Council, mitten in Hongkongs geschäftigem Zentrum. Sie redet klar und druckreif, im besten Englisch. Hinter ihrem Schreibtischstuhl ein leeres Bücherregal an der Wand. Keine Bilder, keine Blumen, stattdessen eine Emily Lau, die immer wieder ihre Parolen wiederholt. "Peking versucht, Hongkongs Weg zu mehr Demokratie zu beenden." Solche Sätze sagt sie öffentlich - sehr zum Missfallen der Pekinger Führung.

Konsequent oder radikal?

Seit 1991 sitzt Emily Lau im Legislativrat, dem Parlament der Sonderverwaltungsregion Hongkong. "Das zeigt, dass die Menschen mich wollen", meint Lau, die 1996 eine eigene Partei gegründet hat: die Frontier Party. Sie ist die Vorsitzende und einzige Abgeordnete ihrer Partei, die sich vor allem für ein allgemeines Wahlrecht einsetzt. In der Hongkonger Bevölkerung ist Emily Lau trotzdem umstritten. Die einen halten sie für unbequem und kompromisslos, die anderen sehen sie als jemand, dem es um lautes Getöse und spektakuläre Aktionen geht. Einmal verklagte sie den Chef des Hongkonger Büros der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Um die Prozesskosten zu bezahlen, bat sie um Almosen und schlief aus Protest auf der Straße. Selbst unter Parteifreunden gilt sie deshalb oft als zu radikal. "Wenn es um Demokratie geht, gehe ich keine Kompromisse ein", hält Lau dagegen.

Was will also diese Frau? In ihrem langen schwarzen Blazer und ihren gut sitzenden halblangen Haaren sieht sie eher bieder als aufmüpfig aus. Sie könnte auch eine ganz normale Abgeordnete aus dem konservativen Lager sein. Schnörkellos, fast wie auswendig gelernt, erzählt sie vom "unfairen" Wahlsystem in Hongkong. "Nur 30 der 60 Abgeordneten werden frei gewählt, die anderen 30 Sitze werden durch so genannte "Funktionswahlkreise" vergeben, die bestimmte Interessen vertreten - wie zum Beispiel die der Banken, Versicherungen oder Börsenmakler." Die Hälfte aller Sitze seien daher von vorneherein mit pekingtreuen Lobbyisten besetzt. "Es ist also kein Wunder, dass sie die Mehrheit haben und immer wieder versuchen, unsere Freiheitsrechte einzuschränken."

Aber genau das stachelt sie an - und ebenso ihre Gegner. Ob sie sich bedroht fühlt? "Nein", sagt sie, "Angst um mein Leben habe ich nicht, trotz der vielen Übergriffe und Einbrüche in mein Büro." Aber ganz spurlos gehen die Provokationen und Beleidigungen nicht an ihr vorbei. "Vor einiger Zeit war ich zu einer Live-TV-Sendung im Victoria Park eingeladen", sagt sie hastig, so als könne sie es kaum erwarten, diese Geschichte zu erzählen. "Dort gab es einige Zuschauer, die brüllten irgendwelche Beleidigungen und versuchten, mich anzugreifen. Mit ihren Spazierstöcken und Regenschirmen. Also musste ich in einem Van dorthin gebracht werden. Die Leute versuchten dann, mit ihren Regenschirmen auf den Wagen einzuschlagen." So etwas tut weh, es waren ganz normale Hongkonger Bürger, die offenbar sehr aufgebracht waren über Emily Lau und ihre Politik. "Ich verlange ja nicht, dass jeder meine Meinung teilt", sagt sie mit gereiztem Unterton. "Aber ich verlange, dass man mich zu Wort zu kommen lässt und mich nicht mit Regenschirmen angreift." Sie redet jetzt langsamer und betont jedes Wort - eine Frau, die gehört werden will.

Vorbild Nelson Mandela

Im Sommer 2003, da haben viele Menschen auf Lau gehört. Die Pekinger Staatsregierung hatte ein Sicherheitsgesetz für Hongkong auf den Weg gebracht. Der Artikel 23 hätte für Hongkongs Bürger tiefe Einschnitte in ihre Freiheitsrechte bedeutet und die Arbeit der Bürgerrechtler fast unmöglich gemacht. Emily Lau und ihre Mitstreiter organisierten eine Großdemonstration mitten in der Stadt. Am 1. Juli 2003, dem sechsten Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China, gingen 700000 Menschen auf die Straße und protestierten gegen den geplanten Artikel 23. "Allgemeines Wahlrecht" und "Gebt die Macht dem Volke" stand auf ihren Transparenten. Eine neue Hongkonger Demokratiebewegung war geboren - und das Gesetz wurde gekippt. "Das war einer der wichtigsten Tage in der Geschichte Hongkongs", sagt Lau. "Und ich bin stolz auf die Bürger, die auf die Straße gegangen sind."

Die Führung in Peking trafen die Proteste offenbar unvorbereitet. Sie lernte daraus und involvierte bei ihrer nächsten Entscheidung gar nicht erst das Hongkonger Parlament: Sie entschied schlicht, dass Hongkong seinen Regierungschef 2007 nicht frei wählen dürfe. Und auch die Zahl der frei und direkt wählbaren Abgeordneten für den Legislativrat werde im Jahr 2008 nicht erhöht, hieß es. "Das ist ein Dämpfer für unsere Demokratiebewegung", sagt Lau, doch diese Entscheidung sei nicht unerwartet gekommen. "Es ist nicht das Ende der Welt und nicht das Ende des Kampfes."

Kämpfen - das hat Emily Lau schon immer gekonnt. "Ich habe noch nie daran gedacht, aufzuhören", erzählt Lau, die schon als Kind gelernt hat, sich ohne Eltern durchzubeißen. "Meine Leidenschaft für die Politik habe ich während meiner Zeit als Journalistin entdeckt", meint Lau. Entscheidend war eine Pressekonferenz. "Kurz nach der Übereinkunft zwischen Großbritannien und China über die Rückgabe der britischen Kolonie, 1984, kam Margret Thatcher nach Hongkong. Ich meldete mich zu Wort und sagte: Frau Prime Minister, Sie haben gerade beschlossen, fünf Millionen Menschen in die Hände einer kommunistischen Diktatur zu übergeben. Ist das moralisch vertretbar? Thatcher mochte die Frage natürlich nicht und antwortete: Großbritannien hat sein Bestes getan. Und jeder in Hongkong ist glücklich über diese Vereinbarung. Sie scheinen die einzige Ausnahme zu sein."

Emily Lau war sich sicher, dass sie nicht die einzige Ausnahme ist - und ging sieben Jahre später selbst in die Politik. "Ich habe gemerkt, dass es mir nicht reicht, Journalistin zu sein. Ich wollte aktiv gestalten. Daran hat sich bis heute nichts geändert", sagt Lau. Ihr Vorbild ist Nelson Mandela. "Beeindruckend, wie er trotz der vielen Jahre im Gefängnis ohne Hass und Rachegefühle die Apartheid erfolgreich bekämpft hat."

Der lange Weg

Vergleichbar ist ihre Arbeit jedoch nicht mit der Mandelas. "Ich werde nicht eingesperrt und auch nicht mundtot gemacht", sagt sie. "Trotzdem bin ich manchmal frustriert - wenn ich sehe, wie langsam der Demokratieprozess voran geht." Etwa angesichts der letzten Wahlen zum Legislativrat im September 2004. Lau zog zwar erneut ins Parlament ein. Völlig überraschend gewannen aber die pro-chinesischen Parteien erneut die Wahlen und verfügen nun über 34 der 60 Mandate im Hongkonger Parlament. "Das System war gegen uns", sagt Lau und zuckt mit den Achseln. Manchmal fehlen auch ihr die Worte.

Aber Emily Lau lässt sich nicht so einfach niederstimmen. Ob sie weitermacht? "Natürlich", sagt sie und lächelt. "Ich mache weiter, bis ich mein Ziel erreicht habe. Bis in Hongkong und ganz China die Demokratie gesiegt hat."

"Angst um mein Leben habe ich nicht, trotz der vielen Übergriffe und Einbrüche."foto: Erol Gurian

Emily Lau geboren 1952, kommt aus armen Verhältnissen. Ihr Vater stirbt früh, und ihre Mutter arbeitet als Kindermädchen bei wohlhabenden Familien in Hongkong. Die kleine Emily wohnt bei Verwandten und sieht ihre Mutter nur alle drei Monate. Trotz aller Schwierigkeiten studiert sie später in den USA und wird Journalistin bei der BBC und der Far Eastern Economic Review in Hongkong.

Emily Lau erhält für ihr Engagement 1998 den Menschenrechtspreis der Bruno-Kreisky-Stiftung Wien und 2003 den Monismanien Preis Schweden.