Textilschnäppchen - verdammt und zugenäht

Manche ahnen es, anderen ist es völlig egal. Eine erste konkrete Recherche macht aus dem mulmigen Gefühl Gewissheit: Die Arbeitsbedingungen bei den chinesischen und indonesischen Zuliefererfirmen des achtgrößten deutschen Textilhändlers Aldi sind unterirdisch. Das ließe sich ändern – vom Standort Deutschland aus

Wenn Kleidung sprechen könnte: Nicht immer interessiert es die Kunden, was sie da eigentlich am Leib tragen

Stolz öffnet Rentnerin Brigitte F. ihren Kleiderschrank: Die neue Hose ist doch richtig schick - und hat nur 9,99 Euro gekostet. "Aldi", sagt sie und grinst. Gleich am Mittwoch früh ist sie dorthin gegangen, um noch ein Exemplar zu ergattern; schließlich ist manches innerhalb von Stunden ausverkauft. Auch bei den Telefonaten mit ihrer Tochter spielt das Thema Aldi öfters eine Rolle. Erst vergangene Woche hat die ihre vierköpfige Familie für sage und schreibe 52,22 Euro komplett mit Hosen und T-Shirts eingekleidet. Zwar müsste ihre Tochter eigentlich gar nicht auf jeden Cent achten - aber man freut sich ja doch über jedes Schnäppchen. Und außerdem gibt es bei Aldi manchmal sogar Hochwertiges im Angebot wie Cashmerepullover oder Outdoorjacken.

Besserverdienende überrepräsentiert

99 Prozent der deutschen Bevölkerung kennen Aldi, 85 Prozent kaufen dort regelmäßig ein. Keineswegs nur Menschen mit schmalem Portemonnaie füllen hier ihren Einkaufswagen; Besserverdienende sind sogar überrepräsentiert. Dass der Discounter der achtgrößte Textileinzelhändler der Republik ist, weiß dagegen kaum jemand. Und noch viel weniger bekannt ist, woher all die Jacken, Hosen, Hemden und Pyjamas kommen, die sich Woche für Woche in den schmucklosen Metallkörben stapeln. Erstmals hat das Südwind-Institut nun intensiv in China und Indonesien recherchiert, unter welchen Bedingungen die Aldi-Kleidung hergestellt wird. "Insbesondere bei chinesischen Zulieferern von Aldi werden grundlegende Arbeitsrechte in einem bisher ungeahnten Ausmaß verletzt", heißt es in der gerade veröffentlichten Studie.

Die untersuchten Fabriken befinden sich allesamt in der flachen Provinz Jiangsu. Die Lebensbedingungen der Näherinnen dort sind trostlos. Zum Beispiel in Betrieb Nummer 2, wo etwa 500 Menschen arbeiten: Die Produktionshalle liegt inmitten eines Feldes am Rande einer Autobahn - in einiger Entfernung steht eine seelenlose Betonsiedlung, wo es nicht einmal eine Imbissbude gibt. Die meisten Frauen hier sind Wanderarbeiterinnen. Sie wohnen in Schlafsälen neben der Fabrik. Auch Jugendliche, die vom Gesetz her noch gar nicht arbeiten dürfen, gehören zur Belegschaft. Morgens um acht müssen sie an der Maschine sitzen - erst abends um 21 Uhr endet ihr Arbeitstag. Um 22 Uhr sperrt die Fabrik die Schlafsäle zu.

Moderne Sklaverei

Einen schriftlichen Arbeitsvertrag haben viele nicht. Wer aber von sich aus kündigen will, muss um Erlaubnis fragen. Oft passt es den Arbeitgebern nicht, neue Leute zu suchen, oder sie finden so schnell niemanden. Außerdem machen die Auftraggeber aus Europa und den USA dauernd Druck, so dass manchmal bis 22 Uhr oder sogar Mitternacht gearbeitet werden muss. Dann verweigert der Chef einfach die Kündigung. Weil alle Betriebe den Lohn erst mit großer Verzögerung auszahlen, können die Arbeiterinnen nicht einfach abhauen. Manchmal werden Frauen sogar mit körperlicher Gewalt davon abgehalten zu gehen. Dann bleibt ihnen nur die Möglichkeit, sich nachts aus den gut bewachten Schlafsälen davonzuschleichen. Die letzten 20 bis 50 Tage haben sie dann völlig umsonst geschuftet.

In manchen Fabriken gilt die Sieben-Tage-Woche, nur zwei Tage im Monat sind frei. Bis zu 336 Stunden nähen die Arbeiterinnen Mäntel, Blusen, Hosen und T-Shirts - mal für Aldi, mal für Betty Barclay oder Esprit. Trotz extrem vieler Überstunden bekommen viele nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn, der sich an einer 40-Stundenwoche orientiert und je nach Region zwischen 480 und 690 Yuan (46 bis 66 Euro) beträgt. Legt man die offiziellen chinesischen Überstunden- und Feiertagszuschläge zugrunde, verdienen Neueingestellte oft nur ein Drittel dessen, was ihnen zusteht.

Die Unterbringung der Arbeiterinnen in Schlafsälen ermöglicht den Arbeitgebern eine intensive Überwachung der Belegschaft. Wer mit Kolleginnen über die Arbeitsbedingungen diskutiert, muss als Aufwiegler mit Rausschmiss rechnen. Zugleich dienen rigide Einschlusszeiten dazu, Schwangerschaften zu verhindern. Dem chinesischen Recht entspricht all das nicht, Gesetze werden einfach übergangen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Aldi hat bereits auf die Vorwürfe reagiert. Es ist "uns selbstverständlich ein wichtiges Anliegen, dass die Produktion von Waren unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen erfolgt", behauptet die Einkaufsabteilung in einem Brief an Südwind. Zugleich schiebt das Unternehmen die Verantwortung auf die Zulieferer: "Wir arbeiten hier im Vertrauen auf die Geschäftspraktiken unserer Partner." Aldi hat etwa zehn Textil-Importeure.

Ziel der Südwind-Studie ist nicht, dass Aldi seine Beziehungen zu den Lieferbetrieben kappt, um so aus der Schusslinie zu kommen. "Ziel muss es sein, dass Aldi sich verbindlich auf einen Verhaltenskodex festlegt, menschenwürdige Arbeitsbedingungen in seinen Zulieferfabriken zu verlangen", fordert ver.di-Vizechefin Margret Mönig-Raane im Vorwort der Broschüre. Das werden die Aldi-Besitzer Karl und Theo Albrecht, die mit 30 Milliarden Euro Vermögen die reichsten Männer Deutschlands sind, nicht ohne öffentlichen Druck tun. Deshalb soll die Kundschaft mit Flugblättern und Straßentheater vor Aldi-Filialen informiert werden.

Ob das die Kundschaft überhaupt interessiert? In einer Aldi-Filiale in Berlin-Moabit geben sich die meisten Kunden zugeknöpft. "Ich hab keine Zeit, über so was zu diskutieren", sagt eine Frau, die seit Minuten den Wäschekorb durchpflügt. Anderswo ist man offener. "Ich frage mich schon, warum die Sachen so billig sind", sagt ein junger Mann, der durch eine Filiale in Remscheid-Güldenwert schlendert. "Gerade bei Textilien hört man ja einiges über schlechte Arbeitsbedingungen", bestätigt eine ältere Frau. "Wenn ich wüssste, dass es den Leuten da unten zugute kommt, würde ich auch ein oder zwei Euro mehr ausgeben."

Die Broschüre gibt es für fünf Euro über Fax: 02241-51308 oder unter www.suedwind-institut.de

Saubere Sachen

Die "Kampagne für saubere Kleidung" engagiert sich für bessere Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern. Auch ver.di ist daran beteiligt. Das Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene führt viele Recherchen vor Ort durch. Ziel ist es, die Kundschaft zum Protest zu mobilisieren. Das Beispiel Tchibo zeigt, dass Unternehmen auf öffentlichen Druck reagieren. Der Konzern hat einen Verhaltenskodex verabschiedet. Nun gilt es, die Einhaltung zu überwachen.