Für die Mehrheit der Einwanderer ist die deutsche Gesundheitsversorgung fremd und damit unübersichtlich. Die Folge ist häufige Fehlversorgung. Abhilfe könnten Gesundheitslotsen schaffen

Mehr Orientierung für Migranten nötig: kompliziertes deutsches Gesundheitssystem

Wie sucht man sich einen Hausarzt? Wieso muss ich im Krankenhaus zuzahlen? Kommt der Doktor, wenn ich krank bin, auch zu mir nach Haus? Fragen wie diese bekommt Maksim Krüger regelmäßig zu hören, wenn er auf Informationsveranstaltungen für Einwanderer spricht. Einmal im Monat arbeitet der 35-Jährige als Gesundheitslotse für das Projekt "Mit Migranten für Migranten" (MiMi) des Ethno-Medizinischen Zentrums Hannover.

Die Fragen zeigen: Wie unser Gesundheitssystem funktioniert, versteht sich keineswegs von selbst. Und weil viele ihrer Probleme jahrzehntelang schlicht ignoriert wurden, ist bis heute einem Teil der Einwanderer beispielsweise der Zugang zur medizinischen Versorgung erschwert. "Betroffen sind vor allem Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus und ältere Migrantinnen und Migranten", kritisiert der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler Oliver Razum.

Aber auch im Bereich der Prävention sieht der Wissenschaftler Hinweise für eine Unterversorgung: So sei die Teilnahme an den kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder bei Migranten deutlich schwächer ausgeprägt als bei Eltern ohne Migrationshintergrund. "Dabei geht es nicht um eine milde Gabe", betont Razum. "Die Menschen zahlen in die gesetzliche Krankenversicherung ein und haben ein Recht auf gleichen Zugang zu medizinischer Betreuung."

Doch vielen sind die entsprechenden Angebote schlicht unbekannt. So ergab eine Befragung des Zentrums für Türkeistudien im Auftrag des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums vor drei Jahren, dass fast die Hälfte der befragten Einwanderer nicht wusste, dass gesetzlich Versicherte ab einem bestimmten Alter Anspruch auf regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen zur Krebsfrüherkennung haben. Soziale und sozialpsychologische Dienste kannte nicht einmal ein Drittel der Befragten. Die Folgen: Psychotherapeutische Angebote werden seltener wahrgenommen, Präventionsangebote wie Grippeschutzimpfungen, Krebsfrüherkennung und Zahnarztprophylaxe erreichen sie nicht in gleichem Maß.

Umgekehrt kann es zu kostspieligen Fehlversorgungen kommen, wenn beispielsweise Migranten aus der Türkei bei geringen Beschwerden häufiger die Notfallambulanz des Krankenhauses aufsuchen - so, wie sie es von den staatlichen Gesundheitszentren in ihrem Herkunftsland gewohnt sind.

Das Ziel der Lotsen ist Hilfe zur Selbsthilfe

Mittlerweile kommen in 21 deutschen Städten Gesundheitslotsen wie Maksim Krüger zum Einsatz, gut integrierte Migrantinnen und Migranten der ersten oder zweiten Generation, die allesamt ehrenamtlich durch die Untiefen des Systems führen. Finanziert von den Ländern Hessen und Schleswig-Holstein, den Kommunen sowie den Betriebskrankenkassen (BKK), haben sie zuvor eine mindestens 50-stündige Schulung durchlaufen. Dabei stehen Themen wie Unfallprävention, Familienplanung und Schwangerschaft, Zahnprophylaxe, Kindergesundheit und Suchtkrankheiten auf dem Programm. Zusätzlich erwerben die angehenden Gesundheitslotsen Basiswissen über das deutsche Gesundheitssystem.

Das Ziel: Sie sollen ihr Wissen in die Einwanderer-Gemeinschaften hineintragen und dabei vor allem jene aufklären, die auf herkömmlichen Wegen meist kaum zu erreichen sind. Dazu arbeiten die Gesundheitslotsen gezielt vor Ort, gehen in Moscheevereine und christliche Gemeinden, besuchen Jugendclubs und Stadtteilzentren mit einem hohen Anteil Einwanderer, Flüchtlingswohnheime oder die staatlich organisierten Integrationskurse.

Wie erfolgreich sie dabei sind, belegen Zahlen, auf die Björn Menkhaus vom Ethno-Medizinischen Zentrum verweist: Danach haben in den vergangenen vier Jahren über 8000 Teilnehmer die Veranstaltungen der Gesundheitslotsen besucht; zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Besucher gehörten zu den sozial besonders Benachteiligten, waren also ohne Job, sprachen schlecht Deutsch und verfügten nur über eine geringe Schulbildung.

So sinnvoll diese Art der Aufklärung und der Schulung integrations- und gesundheitspolitisch ist: Ein zentrales Problem - für die betroffenen Patienten ebenso wie für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen - wird damit nicht gelöst. Anders als in klassischen Einwanderungsgesellschaften wie Australien, Kanada oder den USA gibt es hierzulande kein gesetzlich verbrieftes "Recht auf Verständigung". Patienten haben folglich keinen Rechtsanspruch auf einen qualifizierten Dolmetscher, der ihnen die medizinische Diagnose oder Therapieansätze übersetzt. Dies wiegt, wie die Berliner Gesundheitswissenschaftlerin Theda Borde kritisiert, umso schwerer, als Ärzte für viele Migrantinnen und Migranten die wichtigste Informationsquelle in Sachen Gesundheit sind.

Belgisches Vorbild: Übersetzer in den Kliniken

Borde plädiert daher für eine Sensibilisierung der Mitarbeiter im Gesundheitswesen und für interkulturelle Kulturvermittlungsstellen nach belgischem Vorbild: Für die häufigsten Fremdsprachen gibt es an den Kliniken dort fest angestellte Übersetzer, für seltenere Sprachen können ambulante Mitarbeiter kurzfristig einbestellt werden. "Nur so können Patienten mit geringen Deutschkenntnissen selbstbestimmt entscheiden, was im Krankheitsfall mit ihnen geschehen soll." Zudem, das belegten Studien, können Menschen, die gut über ihre Krankheit Bescheid wissen, besser mit ihr umgehen, benötigen weniger medizinische Betreuung und werden schneller wieder gesund. Und das entlastet letztlich auch das System.

Gesundheit für Einwanderer

Nähere Informationen über das Projekt "Mit Migranten für Migranten" gibt es beim Ethno-Medizinischen Zentrum e.V., Königstraße 6, 30175 Hannover, Tel. 0511/168-41020, Fax 0511/457215, E-Mail ethno@onlinehome.de, Internet www.ethno-medizinisches-zentrum.de. Weitere "Modelle guter Praxis" finden sich im Handbuch Gesundheit und Integration des bundesweiten Arbeitskreises "Migration und öffentliche Gesundheit" der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, das im vergangenen November erschienen und als kostenloses Download unter www.bundesregierung.de erhältlich ist.