VON RÜDIGER LÜHR

Anfang September hat das neue Ausbildungsjahr begonnen - und viele der neuen Azubis sind der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft beigetreten. Bei der Postbank Hannover sogar der gesamte Ausbildungsjahrgang.

Die ver.di-Schiffsparty bringt es - und oft noch mehr Mitglieder

Allenthalben liest man: Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder davon. Auch ver.di. Und vor allem die Jugend. Betrug der Anteil der Mitglieder bis 25 Jahre Mitte der 80er Jahre noch 15 Prozent, so sank er bis heute auf rund fünf Prozent. Aber es gibt auch einen anderen Trend: Immerhin sind fast ein Viertel der neu eingetretenen ver.di-Mitglieder Jugendliche.

Kevin Richter, 17, hat Anfang September seine Ausbildung bei der Postbank Hannover begonnen. Und seit einigen Tagen ist er auch ver.di-Mitglied. Anja Kunert von der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) hatte ihn und andere schon vor Beginn der Ausbildung angeschrieben und zu einem Informationsabend eingeladen. Und so hat nicht nur Kevin die Beitrittserklärung unterschrieben, sondern mittlerweile alle übrigen 31 Jugendlichen, die Anfang September ihre Ausbildung als Kaufleute für Dialogmarketing bei der Postbank begonnen haben.

"Was Gewerkschaften überhaupt machen, wusste ich vorher gar nicht richtig", sagt Mirko Isensee (22). In der Schule sei das jedenfalls nie ein Thema gewesen. "ver.di setzt sich für eine gute Ausbildung ein, das merkt man schon." Für Patrick Lockemann, ebenfalls Azubi bei der Postbank, ist seine spätere Übernahme entscheidend. Denn da haben ver.di und ihre Betriebsräte bei der Postbank einiges erreicht: 16 Monate Übernahme sind garantiert.

Gespür für die Azubis

Dass solche Garantien nicht vom Himmel fallen, musste auch Anja Kunert erstmal lernen. Und dass man sie sich nicht allein erstreiten kann. Dafür braucht man Gefährten. Und die müssen gewonnen werden. Für Sitzungen nach der Arbeit zum Beispiel, wenn andere feiern gehen. Deshalb werden Anja Kunert und die anderen Jugendlichen der JAVs bei der Anwerbung der neuen Auszubildenden auch unterstützt, von Bernd Klinner, dem Betriebsgruppen-Vorsitzenden. Er ist seit 1966 bei der Postbank Hannover, die letzten Jahre als Sozialberater und gilt vielen als ver.di in Person - mit Leib und Seele. Stolz ist er auf den Organisationsgrad von 83 Prozent unter den Beschäftigten. "Das bringt es, wenn wir gegenüber dem Arbeitgeber etwas durchsetzen wollen."

Das versucht er auch immer wieder den Azubis zu vermitteln, die neu in den Betrieb kommen. "Man muss sie nur vernünftig ansprechen, ihnen sagen, was Gewerkschaft bedeutet, was sie erreicht hat und erreichen kann. Und dass sie als Mitglieder wichtig sind, das müssen sie spüren."

Vor fünf Jahren hat Bernd Klinner angefangen, gemeinsam mit Auszubildendenvertretern einen Weg zu finden, Jugendlichen genau dieses Gefühl zu vermitteln. Seither laden sie die Jugendlichen zwei Wochen vor Ausbildungsbeginn in einem persönlichen Anschreiben (plus frankierter Rückmeldung) zu einem Kennenlern-Nachmittag gleich nach Feierabend ein. Sie informieren aus erster Hand über alles, was wichtig ist im Betrieb, in der Ausbildung, der Gewerkschaft, dem Betriebsrat und der Auszubildendenvertretung. Auch die anschließende Party kommt gut an.

"War eine gute Sache, die Veranstaltung", stellt Neu-Mitglied Thomas Dulski (22) nach seinem ersten Nachmittag mit ver.di nüchtern fest. "Man hat gemerkt, die kümmern sich. Und wenn ich Probleme habe, kann ich mich an die JAVs wenden." So oder ähnlich müssen es auch andere empfunden haben. Seit fünf Jahren sind alle neuen Auszubildenden der Postbank Hannover gleich zu Beginn ihrer Ausbildung ver.di-Mitglied geworden.

Wie Anja Kunert 2003. Heute ist sie in der JAV aktiv, engagiert sich für die 54 Azubis und organisiert Jugendseminare zu Themen wie Rassismus oder Drogen. "Auch privat machen wir öfter mal was gemeinsam", erzählt die 24-jährige Callcenter-Agentin. "Da gibt's schon ein Zusammengehörigkeitsgefühl", findet auch die 19-jährige Olga Mutig, ebenfalls Mitglied der JAV.

Auf dem Schiff zu ver.di

Von der Leine an den Rhein. Dort befindet sich die größte Ausbildungsstelle der Deutschen Telekom. In der Berufsausbildung (BBi) der Telekom Training in Köln serviert die Ausbildungsvertretung in vier Tages-Workshops alles rund um die Ausbildung. Es ist ver.dis Verdienst, dass in diesem September wieder 4000 Jugendliche beim Telekom-Konzern eine Ausbildung beginnen konnten. Dass das auch in Zukunft so bleibt, ist ein schlagendes Argument, um neue Mitstreiter für die Gewerkschaft zu werben. Und es gibt viele, die deshalb unterschreiben.

Beliebt ist bei den Telekom-Azubis auch die "Membercard", die ver.di-Mitgliedern zu zahlreichen Vergünstigungen in ganz NRW verhilft. Den letzten Kick, einzutreten, bringt nicht selten die "Newcomer Boat Party". Die nächtliche Schiffsfahrt auf dem Rhein wurde im vorigen Jahr erstmals von ver.di für die neuen Azubis veranstaltet, kostenlos für Mitglieder. "2006 konnten wir damit unsere Aufnahmen unter den neuen Azubis beim BBi auf 166 verdoppeln", erzählt der Kölner ver.di-Jugendsekretär Christian Lindner. "In diesem Jahr wollen wir die 200 knacken. Das schaffen wir auch." Anfang der letzten September-Woche waren es schon 157 von 297.

Überzeugen statt überreden

Zum gleichen Zeitpunkt hatten 108 der 155 neuen Telekom-Azubis beim BBi Düsseldorf die Beitrittserklärung unterschrieben, berichtet Jugendsekretärin Katja Arndt. 81 waren es im vorigen Jahr. Doch diesmal sind die Düsseldorfer auch bei der Schiffsparty dabei. Die ersten 27 neuen Mitglieder wurden gleich am Stand der Ausbildungsvertretung am Begrüßungstag aufgenommen. Die anderen gehen auf das Konto von Enis Güzel, dem Vorsitzenden der Ausbildungsvertretung (AV). "Ich bin durch die Gruppen gegangen. Als AV-Vorsitzender bin ich ja der einzige, der freigestellt ist", sagt der 21-Jährige. "Mein persönliches Ziel, eine dreistellige Zahl, habe ich geschafft. Manche wollen aber definitiv nicht in die Gewerkschaft. Das ist okay. Ich will lieber überzeugen als überreden." Für eine Mitgliedschaft in ver.di spricht seiner Meinung nach vieles. "Mindestens eine Sache passt auf jeden. Aber die Schiffsparty war oftmals der letzte Auslöser."