Der Einfluss der Bertelsmann-Stiftung auf das Gesundheitswesen wächst. Sie bestimmt, was Qualität ist

Derzeit läuft eine der spannendsten Auftragsvergaben in der Gesundheitspolitik. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Patientenvertretern hat im Juli vergangenen Jahres den Auftrag für ein Qualitätsinstitut ausgeschrieben. Dieses soll die "Qualität der medizinischen Versorgung gesetzlich Versicherter in Deutschland" messen und darstellen. "Ebenfalls soll sich diese Institution an der Durchführung der einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung beteiligen", heißt es in einer Mitteilung des G-BA. Bis Juni soll das Verfahren abgeschlossen sein. Hierbei geht es nicht nur um viel Geld, sondern auch um eine Schlüsselrolle in der Beraterszene des deutschen Gesundheitswesens.

"Wer hierfür den Zuschlag bekommt, wird in den nächsten Jahrzehnten bestimmen, was Qualität in der Gesundheitsversorgung ist", sagt Gregor Bornes, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen (BAGP). Um das Institut hat sich ein Konsortium unter Beteiligung des Aqua-Instituts Göttingen beworben, wie das Unternehmen auf Anfrage von ver.di PUBLIK bestätigte. Aqua ist wiederum geschäftlich eng verknüpft mit der Bertelsmann-Stiftung, Jahresetat 65 Millionen Euro, und umstritten wegen mangelnder Unabhängigkeit vom Mutterkonzern und wachsendem Einfluss auf die deutsche Politik.

Sollten Aqua und Co den Zuschlag für das Qualitätsinstitut erhalten, käme es "zu einer einmaligen Verflechtung von gemeinnützigem Engagement, politischem Einfluss und wirtschaftlicher Abschöpfung", sagt Patientenvertreter Bornes.

Zum Hintergrund: Die Bertelsmann-Stiftung verfügt bereits mit ihrer Ausgründung "Stiftung Praxissiegel" über ein wesentliches Instrument zur Bestimmung von Qualität im Gesundheitswesen, in diesem Falle niedergelassener Arztpraxen. Gemeinsam mit dem Aqua-Institut prüft sie Praxen anhand ihres selbst entwickelten Qualitätsmanagementssystems EPA und vergibt Sterne wie für Restaurants üblich. Auf seiner Internetseite wirbt das Aqua-Institut: "Die Ziele: Nutzen, Nutzen, Nutzen! EPA soll den Praxen einen möglichst großen Nutzen bringen, wenig Arbeit machen und wenig Geld kosten." Nach Angaben der Stiftung Praxissiegel sind bereits 896 Arztpraxen zertifiziert. Die Teilnahmegebühr beläuft sich laut Internetseite der Stiftung auf 1990 Euro pro Prüfung. "Dass es sich bei der Prüfung nur um betriebliche Ablaufoptimierung und nicht um wirkliche Qualität für Patienten handelt, da man weite Teile der Medizin eben nicht wie Stückgut in einem Wirtschaftsbetrieb messen kann, wird geflissentlich verschwiegen", sagt Silke Lüder von der Organisation "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung " (IPPNW).

Doch damit nicht genug: Die Bertelsmann-Stiftung will mit den offiziellen Klinikqualitätsdaten, die durch den G-BA regelmäßig erhoben werden, im Internet eine Suchmaschine aufbauen. Eingespeist werden sollen auch Daten über den ambulanten Sektor. Das Projekt läuft unter dem Stichwort "Weiße Liste" (ver.di PUBLIK 12/2007), beteiligt sind verschiedene Verbraucherorganisationen, darunter der Sozialverband Deutschland (SoVD) und die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Bislang hatte der G-BA allerdings die Herausgabe der Dateien an die Bertelsmann-Stiftung verweigert. Begründung: Die Stiftung sei "ein kommerzieller Anbieter". Doch nach diversen Krisengesprächen soll nun jede Institution einen Antrag auf die Daten stellen können, heißt es beim GBA. Das macht dann auch den Weg frei für die Bertelsmann-Stiftung.

Ginge nun das Qualitätsinstitut des G-BA an das Aqua-Institut, wäre der Coup perfekt. Kaum noch ein Bereich im Gesundheitswesen, in dem die Bertelsmann-Stiftung nicht die Maßstäbe bestimmen würde, was Qualität ist und wie sie definiert wird. Im Kern geht es dabei um zwei Fragen: Ist vor allem die Einrichtung gut, die betriebswirtschaftlich reibungslos läuft, in der Instrumente gut ausgenutzt und Termine strikt eingehalten werden? Oder stehen die medizinische Güte der Behandlung und Zeit für Patienten im Mittelpunkt? "Die Agenda der Bertelsmann-Stiftung wird bestimmt durch die neoliberale Umgestaltung des Gesundheitssystems in eine Zwei-Klassengesellschaft", sagt Wolf-Dietrich Trenner von der Fördergemeinschaft für Taubblinde.

Hinweise auf ein hohes privatwirtschaftliches Credo in der Stiftungs-Politik gibt es genug. Die Leiterin der Stiftung, Brigitte Mohn, Tochter des Bertelsmann-Gründers, sitzt im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Kliniken. Und der Leiter des Centrums für Krankenhausmanagement an der Universität Münster, auch eine Gründung der Bertelsmann-Stiftung, hat die hessische Landesregierung bei der Privatisierung der Universitätskliniken Marburg und Gießen beraten. Den Zuschlag erhielt - die Rhön-Kliniken AG.

"Nutzen, Nutzen, Nutzen!"

Das Aqua-Institut auf seiner Internetseite