In Leer streiken ver.di-Mitglieder seit Wochen für den Flächentarifvertrag

Dienchen und Thilo Schmidt vor der NDR-Kamera

Von Martin Wein

"Viele Patienten haben inzwischen das Nachthemd aus- und unsere Gewerkschafts-T-Shirts angezogen." Das berichtet Hans-Martin Stock gern. Der Gewerkschafter ist seit 26 Jahren "Haus- und Hofmaler" am Kreiskrankenhaus Leer und Betriebsratsmitglied. Eine so harte Tarifauseinandersetzung wie jetzt habe es in dieser Zeit noch nie gegeben, sagt er und bläst in die Trillerpfeife.

Nachdem das ehemals kreiseigene Krankenhaus vor vier Jahren in eine gemeinnützige GmbH im alleinigen Besitz des Landkreises umgewandelt wurde, wünschen Geschäftsführer Holger Glienke und der Aufsichtsratsvorsitzende, Landrat Bernhard Bramlage (SPD), die Trennung des Haustarifs vom Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Der Erhöhung des Budgets bei der Krankenhausfinanzierung von nur 0,14 Prozent im Jahr 2008 und maximal 1,5 Prozent 2009 stünden nach dem bundesweiten Tarifabschluss Gehaltserhöhungen von rund acht Prozent gegenüber, so Holger Glienke. Hier müsse man reagieren, solange dazu noch Spielraum sei, erklärte er schriftlich. Was Glienke nicht sagt: Im Unterschied zu anderen Häusern in der Region, die nach dem Tarifvertrag bezahlen, schreibt sein Haus schwarze Zahlen. Was er auch verschweigt: Den heiß umworbenen Ärzten vom Marburger Bund zahlt er anstandslos das volle Tarifgehalt.

Unsichere Erfolgsprämie

Um die rund 550 Beschäftigten umzustimmen, wirbt der Geschäftsführer mit dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2010 und einer jährlichen Erfolgsprämie. Damit steige das Gehalt garantiert um sechs Prozent, bei wirtschaftlichem Erfolg sogar über den bundesweiten Tarifabschluss. "Das läuft darauf hinaus, dass der Arbeitgeber abwartet, wie's läuft, und dann am Ende die Rechnung aufmacht", kommentiert ver.di-Landesfachbereichsleiter Joachim Lüddecke in Hannover kopfschüttelnd. Kein Handwerker würde sich auf so etwas einlassen. Schließlich müssten gerade Geringverdiener fest kalkulieren können. Auch die Vorsitzende des Krankenhaus-Betriebsrats, Gesine Sehen, hat Bedenken. "Der Erfolg hängt ja weitgehend von den Ärzten ab. Wenn überhaupt, müssten sie in die Regelung einbezogen werden", erklärt die Anästhesie-Schwester. "Deshalb kann auch für die übrige Belegschaft eine Erfolgsprämie nur auf das Tarifgehalt aufgesattelt werden."

OP-Pflege im Ausstand

Während Glienke auf seiner Sonderregelung beharrt, "wurde in 16 Monaten Verhandlungszeit unser Angebot überhaupt nicht sachlich diskutiert", bedauert ver.di-Verhandlungsführer Ralf Pollmann. "Bei der Laufzeit des Tarifvertrags, der den Kollegen im Jahr 2007 vorenthaltenen einprozentigen Lohnerhöhung und der geforderten Erfolgsprämie gibt es noch Spielräume." Gesine Sehen fügt hinzu: "Wir wollen aber kein Lauffeuer auslösen, das das Ende des Flächentarifs bedeutet."

Nach zwei Warnstreik-Tagen Anfang Mai sind Beschäftigte der OP- und Anästhesiepflege sowie der Zentralsterilisation seit 26. Mai unbefristet im Ausstand, Mitarbeiter/innen der übrigen Bereiche an verschiedenen Schwerpunkttagen. Bis zu 70 von 200 gleichzeitig tätigen Mitarbeitern blieben der Arbeit fern.

Doch statt ernsthafte Gespräche zu führen, ist die Klinikleitung bemüht, den Streik mit juristischen Mitteln zu untergraben. Weil sie angeblich ihre Notdienstpflichten verletzt hätten, erhielten 18 Schwestern und Pfleger Abmahnungen, die nach einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht Emden jedoch zurückgezogen wurden. In der Sache sieht der Arbeitgeber sich vom Gericht dagegen bestätigt: Es sei klargestellt, dass die medizinisch erforderliche, unaufschiebbare Patientenversorgung vom behandelnden Arzt des Krankenhauses festzustellen und über das Streikrecht zu stellen sei, schreibt Glienke in einer Presseerklärung. Dass dazu drei von vier Operationssälen in Betrieb bleiben müssen, hält Ralf Pollmann hingegen für überzogen.

"Das hat alles nicht zur Annäherung beigetragen", sagt Betriebsratsmitglied Stock. Einige Ärzte erklärten sich inzwischen schriftlich solidarisch mit den Streikenden, auch viele Patienten und Angehörige zeigen Verständnis. Nach Redaktionsschluss fand am 1. Juli das dritte Schlichtungsgespräch mit dem ver.di-Schlichter Rudolf Hickel von der Uni Bremen statt. "Alle gehen davon aus, dass es entscheidend sein wird", sagte ver.di-Sekretärin Elke Nobel am Vortag.