Die meisten rezeptfreien Heil- und Nahrungsergänzungsmittel halten nicht, was sie versprechen. Dennoch geben allein die Deutschen für Mineralien, Kräutertinkturen und Co. einige Milliarden Euro aus

Tröpfchen für Tröpfchen: Auch Hoffnung kann heilen

Die schlechte Nachricht zuerst: Einige der beliebtesten Heilmittelchen aus der Apotheke - womöglich sogar einige, auf die Sie persönlich schwören - haben erwiesenermaßen keinen Nutzen, manche schaden sogar der Gesundheit. Und nun die zweite schlechte Nachricht: Spätestens bei Ihrem nächsten Apothekenbesuch werden Sie diesen Text verdrängt haben.

Ein Forschungsteam am Nationalen Gesundheitsinstitut der USA ist der Frage nachgegangen, ob Konsumenten darauf reagieren, wenn bestimmte Vitamine, Heilkräuter oder Nahrungsergänzungsmittel als nutzlos oder gar gefährlich eingestuft werden. Das Fazit: nicht wirklich.

Untersucht wurden auch hierzulande recht beliebte Mittel: unter anderem Vitamin E, Echinacea und Johanniskraut. Vitamin E soll präventiv gegen Krebs wirken. Echinacea etwa bei Atemwegs- oder Harnwegs-Infekten. Und Johanniskraut bei Depressionen.

Für all diese Helferchen steht ein zweifelsfreier Beleg des therapeutischen Nutzens aus. Worüber die internationale Presse ausführlich berichtete. Und dennoch werden sie weiter munter gekauft. Einzig der Absatz bei hoch dosiertem Vitamin E ist eingebrochen, wozu man den Verbrauchern nur gratulieren kann, denn im Zusammenhang mit dem Mittel wird vor erhöhter Sterblichkeit gewarnt.

Die Liste der nutzlosen Pülverchen, Pillen und Tinkturen ließe sich wohl unendlich verlängern. Ist doch der Markt der rezeptfreien Arzneimittel, Vitamine und Mineralien unüberschaubar. Allein die deutschen Apotheken machten 2007 damit vier Milliarden Euro Umsatz. Warnungen hin, Warnungen her.

Gesunde Kost bringt mehr

Woran das liegt? Zum einen haben gerade vermeintlich natürliche Heilmittel einen großen Vertrauensbonus bei den Kunden. Was ausgemachter Unsinn ist, wie der Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser sagt. ",Natürlich ist gut', ist natürlich falsch", sagt der Mitherausgeber des pharmakritischen arznei-telegramms. "Die Assoziation, die die Hersteller mit dem Wort ,natürlich' hervorrufen wollen, ist ,unbedenklich'." Diese Verknüpfung ist fatal, wie etwa die schweren Leberschäden bei Frauen belegen, die eine Rezeptur aus der Traubensilberkerze gegen ihre Wechseljahrbeschwerden genommen haben. Oder jene Raucher, die sich einem noch höheren Lungenkrebsrisiko ausgesetzt haben, weil sie Beta-Carotin ausgerechnet zum "Zellschutz" eingenommen haben.

Dagegen ist die Wirkung von Kollagen gegen Gelenkschmerzen, Zimtkapseln bei zu hohem Blutzucker und Vitamin C für ein starkes Immunsystem geradezu harmlos: Sie tendiert gegen Null. "Der normale Europäer braucht keine Nahrungsergänzungsmittel", sagt Becker-Brüser. Voraussetzung sei allerdings eine gesunde Mischkost. Schwangere brauchen zusätzlich Folsäure, manche alte Menschen Vitamin D plus Calcium. Das war ́s dann schon, bestätigt auch das Robert-Koch-Institut.

Der Handel mit angeblichen Heilmitteln floriert trotzdem. Auch weil auf eine Studie, die ein Mittel negativ beurteilt, fast immer eine positive Studie folgt. So hat die Technische Universität München gerade bestimmten Johanniskraut-Extrakten bei leichten und mittelschweren Depressionen ein prima Zeugnis ausgestellt.

Widersprüchliche Studien

Als Pharmakritiker hat man es da schwer. "Der Mensch ist gewissermaßen beratungsresistent. Zudem findet er viel häufiger als Warnungen Werbung und positive Berichte, in denen Mietmäuler mit ihrem Professorentitel für die Wirksamkeit dieser Mittel bürgen", sagt Becker-Brüser.

Doch man kann den Gebrauch dieser Mittelchen auch anders betrachten: als gigantischen Feldversuch zum Beleg des Placebo-Effektes.

Wie das? In der Placebo-Forschung werden Studienteilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt: Die einen erhalten ein wirksames Medikament, etwa gegen Parkinson. Die anderen erhalten Zuckerpillen. Die Chance, ein "echtes" Medikament zu erhalten, steht also fifty-fifty. Das Resultat: Auch unter den Zuckerschluckern finden sich Patient/innen, die eine deutliche Besserung ihrer Symptome spüren. Die Wirksamkeit eines Placebos erreicht bis zu 70 Prozent.

Nicht viel anders sei es mit den frei verkäuflichen Nahrungsergänzungs- und Heilmitteln, sagt der Medizinpsychologe Manfred Schedlowski von der Universitätsklinik Essen. "Die Haltung der meisten Verbraucher gegenüber diesen Mitteln sieht doch so aus: ,Schaden kann es nicht, vielleicht hilft es ja doch.'" Und diese Erwartungshaltung reiche schon aus, dass stimmungsaufhellende Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet werden. "Deshalb berichten ja so viele Menschen, dass ihre Symptomatik sich nach der Einnahme von Vitaminen oder Mineralien prompt bessert", sagt Schedlowski. Dass in der Zeitung mal etwas über die Unwirksamkeit des Lieblingsmittels gestanden hat? Was soll ́s. Hoffnung heilt.

Informationen:

www.gutepillen-schlechtepillen.de Pharmaunabhängige Verbraucherzeitschrift

www.gesundheitsinformation.de Unabhängige Ratgeberseite

November, Erkältungszeit

Die Empfehlungen bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit reichen in der harmlosen Variante von Zwiebelsaft (mit einer Portion Zucker genießbar) bis zu heißer Milch mit Honig (lecker). Risikobehafteter wird es da schon bei Präparaten aus Echinacea (Allergien) oder Antibiotika (schwere Nebenwirkungen, Resistenzen). All diesen Präparaten gemein ist, dass sie vom schulmedizinischen Standpunkt aus betrachtet nicht oder kaum gegen Erkältungsviren helfen. Was wirklich hilft? Händewaschen. Und zwar häufig. Schützt vor Ansteckung.