Mit der Nachtschicht durch die Niederlassung der Post AG am Flughafen Frankfurt

Befördert werden hier nur die gelben Kästen

Viel besser als stempeln gehen: Sami Susam bei der Arbeit

von Renate Bastian

Falls ich einmal als Brief auf die Welt kommen sollte, dann vielleicht auf Weltreise gehe, normal oder übergewichtig bin, Maxi oder Paket genannt werde, Grüße aus dem Urlaub sende oder einen unleserlichen Namen habe - ich wollte gerne abgeliefert werden in Frankfurt. Dort, nahe am Flughafen, in der "Niederlassung internationale Produktion Brief", fände man ganz sicher den richtigen Bestimmungsort für mich. Und wenn ich noch einen Wunsch frei habe, dann liefert mich in der Nachtschicht ab.

Seit 20 Jahren arbeitet hier Sami Susam, in der Türkei geboren, in Deutschland beheimatet. Er ist einer der rund 1500 Mitarbeiter/innen aus 45 Nationalitäten, Vertrauensmann der Gewerkschaft, mit 500 Neumitgliedern in zehn Jahren ein eifriger Werber für ver.di.

Oase mit Brunnen

Beim Rundgang durch das Haus findet man ihn bei der Arbeit, im Gespräch mit Kollegen, nachtaktiv. Er gehört zu den circa 34 Prozent Vollzeitkräften. Doch mit knapp über 40 Jahren spürt er den ständigen Nachtdienst in den Knochen. Seine Frau und die zwei Töchter hätte er gerne im normalen Leben intensiver begleitet. Aber er ist mit etwa 1500 Euro netto Alleinverdiener. Dabei gehört er zu denjenigen, die aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit Besitzstand reklamieren können. Später Hinzugekommene sind schlechter dran. Erstaunlicherweise macht er diesen Dienst zu ungewöhnlicher Zeit gern - übrigens wie viele hier. Der Nachtdienst scheint eine eigene Welt zu sein. Gegen 21 Uhr geht es hier los, ab 23 Uhr "brummt der Laden." Manche kommen um einiges vor Schichtbeginn; man redet, raucht eine Zigarette im Treppenhaus, wünscht "guten Morgen", wenn es draußen dunkel ist, und spricht über das Mittagessen gegen ein Uhr früh; "schlaf gut" wünscht man sich um sechs.

3,25 Millionen Briefe, 37000 Sendungen mit Anschriftenmängeln, 16200 Pakete und Päckchen - und das täglich. Von den Postkarten ganz zu schweigen. Das Haus der Post AG ist ein Labyrinth über sechs Stockwerke, ein Sicherheitstrakt mit Stahltüren und Code-Karten. Lange Beutelhängebahnen transportieren die Sendungen über mehrere Ebenen. Ganz unten, wo die Fracht teils direkt vom Flughafen, teils von der Straße kommt, ist es um diese Jahreszeit kühl, Trolley-Wagen bestimmen den Verkehr. In den nächsten Etagen wird bereits nach verschiedenen Kriterien sortiert - per Lese- und Videomaschinen, per Feinsortiermaschine oder auch per Hand, vorwiegend im Stehen. Die Luft ist trocken, es rattern die Behälterförderstrecken auf acht Kilometern mit Beginn der Schicht. Der Betriebsrat hat "Brunnen" erkämpft und hinter Regalen versteckte Ruhezonen. Hier kann man einen Schluck Wasser trinken und für eine kurze Zeit mal die Beine hoch legen. Oder zu einer Teilbetriebsversammlung gehen. Eine Oase sieht anders aus.

Da muss man schon durchblicken: Briefe sortieren per Hand

Die Frauen und Männer scheinen an ihren Arbeitsstellen vereinzelt, sie sind zum Teil für große Bereiche zuständig. Jürgen Etling, stellvertretender ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender, kennt sie offenbar alle. Regelmäßig macht er diese Nachtbesuche. Er erklärt, wie die Sortiersysteme auf- einander abgestimmt sind und die Arbeitsvorgänge ineinander greifen - für einen Laien auf wundersame Weise. Auf seinem Rundgang hat er über jeden Mitarbeiter was zu erzählen. Er bangt um jeden Arbeitplatz, er begrüßt galant eine Vertrauensfrau, er gibt einen Hinweis im Umgang mit dem Chef, er wirbt einen neuen Kandidaten für die Vertrauensleutewahl im Frühjahr.

Das internationale Briefzentrum, höchstes Gebäude am Frankfurter Flughafen, ist ein Tor zur Welt. Durch dieses drängen auch die Probleme der Globalisierung: die privaten Billigheimer, die Folgen der Finanzkrise mit abnehmender Geschäftspost, der ständige Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze. Ab 2011 werden neue Maschinen angeschafft. Was heißt das für die Beschäftigten? Wird es weniger Vollzeit geben, weil Teilzeit flexibler und kostengünstiger ist? Werden sie ganz wegrationalisiert? Wird es noch den Platz für "beschränkt Dienstfähige" geben, die gesundheitlich lädiert sind? Jürgen Etling kann nur versprechen, dass ver.di, zusammen mit dem Betriebsrat, aufpassen wird, dass man kämpfen wird. Bei einem Organisationsgrad von rund 62 Prozent sind die Aussichten gut.