Überstunden machen krank und führen zu Unfällen, belegen Studien. Dennoch geschieht nichts

Ein später Feierabend steigert die Fehlerquote

Von uta von schrenk

Überstunden zu leisten, wird zunehmend von Arbeitnehmer/innen erwartet. Auch aus gesundheitlichen Gründen ist das eine fatale Entwicklung. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarktforschung (IAB) steigt die Zahl der bezahlten Überstunden seit 2005 stetig an. Für 2008 rechnet das IAB mit 1,5 Milliarden Stunden. Schuften Beschäftigte ohne Lohn länger, erfasst das IAB das nicht. Doch klar ist, dass viele Unternehmen genau das von ihren Belegschaften immer häufiger erwarten. Einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung zufolge fordern Firmen zunehmend unbezahlte Mehrarbeit. Jeder vierte Betrieb habe zwischen Anfang 2005 und Herbst 2007 die Arbeitszeit verlängert. Nur jedes zweite Unternehmen zahle dafür einen Lohnausgleich. Im Schnitt leiste jeder Beschäftigte wöchentlich 0,7 unbezahlte Überstunden.

Besonders Arbeitnehmer/innen in leitenden Positionen arbeiten regelmäßig länger als 40 Stunden pro Woche. Das belegt die Erwerbstätigenbefragung 2005/2006 des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Vorn liegt hier das Führungspersonal aus den Ordnungs- und Sicherheitsberufen mit durchschnittlich 50,66 Wochenstunden, gefolgt von den Verkehrsberufen und dem Verwaltungs- und Organisationsbereich im Büro. Etwa die Hälfte der hoch dotierten Leitungskräfte kommt gar auf eine 60 bis 70-Stunden-Woche, belegt eine andere Untersuchung.

Unfälle durch Übermüdung

Was viele Beschäftigte bereits als Leistungsnorm verinnerlicht haben, hat schwerwiegende Folgen: Wer lange arbeitet und regelmäßig Überstunden macht, riskiert seine Gesundheit. Dieser Zusammenhang gilt inzwischen international unter Arbeitswissenschaftlern als gesicherte Erkenntnis.

Als häufigste Erkrankungen treten Magen-Darm-Störungen, Herz-Kreislaufbeschwerden, Schlafstörungen und innere Unruhe auf. Hinzu kommen bei vielen Menschen Rücken- und Muskelschmerzen. Als Faustregel gilt: Mit jeder zusätzlichen Arbeitsstunde jenseits einer 40-Stunden-Woche steigt das Risiko einer gesundheitlichen Beeinträchtigung um 2,5 Prozent. Macht bei zehn Überstunden die Woche einen Risikozuwachs von immerhin 25 Prozent.

Doch die gesundheitliche Belastung ist nur ein Effekt überlanger Arbeitszeiten. Zusätzlich wiesen mehrere internationale Expertisen nach, dass das Unfallrisiko nach sieben bis acht Arbeitsstunden rasant ansteigt. Ab der zwölften Arbeitsstunde verzeichnen die Berufsgenossenschaften gar eine Verdoppelung der meldepflichtigen Arbeitsunfälle. "Stress und überlange Arbeitszeiten führen auch zu einem deutlich erhöhten Risiko bei den Wegeunfällen, also den Fahrten zwischen Heim und Arbeit", ergänzt Horst Riesenberg-Mordeja, bei ver.di zuständig für Arbeits- und Gesundheitsschutz.

Das Urteil von Arbeitswissenschaftlern in Sachen überlanger Arbeitszeiten fällt entsprechend harsch aus: "Überstunden sind weder sinnvoll noch effizient. Sie gehen mit einer erhöhten Fehlerquote einher, gefährden die Gesundheit und verursachen Folgekosten", sagt Friedhelm Nachreiner, Arbeitspsychologe der Universität Oldenburg. Diese Kosten entstehen etwa durch häufigere Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentungen, medizinische Behandlung und Rehabilitationen.

ver.di fordert Arbeitszeitverkürzung

"Zunehmende Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck und dazu lange Arbeitszeiten gefährden die Gesundheit massiv", sagt Sylvia Skrabs von der tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei ver.di. "Deshalb gilt es, an unserem Ziel von Arbeitszeitverkürzung festzuhalten."

Arbeitspsychologe Nachreiner erstellt gegenwärtig zusammen mit Kollegen eine Risikobewertung von Arbeitszeiten - besonders bei Schichtarbeit. Dazu befragen sie Beschäftigte aus der Produktion, dem öffentlichen Dienst, der Logistik und anderen Bereichen, in denen Wechsel- und Schichtdienste vorherrschen. "Überlange Arbeitszeiten verursachen nicht nur einen Übermüdungseffekt, sondern sie nehmen den Betroffenen auch Zeiten für Erholung und soziale Teilhabe", kritisiert Nachreiner.

Informationen:

www.gawo-ev.de Die Teilnahme an der Risikostudie der "Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts-und Organisationspsychologische Forschung" zu Schichtarbeit ist unter dem Link "Befragung Arbeitszeit und Gesundheit" möglich.

www.inqa.de Unter der Adresse der "Initiative neue Qualität der Arbeit" soll es ab Sommer ein Berechnungsmodul geben, mit dem das persönliche, durch Überstunden bedingte Gesundheitsrisiko bewertet werden kann.

www.arbeitszeit.verdi.de Materialien der tarifpolitischen Grundsatzabteilung von ver.di zum Thema Arbeitszeit