Heilpraktikerin Michaela Geissler in ihrer Praxis

Der Berliner Verein "Raupe und Schmetterling" berät und bildet seit 25 Jahren Frauen, die nach einer neuen beruflichen Perspektive suchen. Die Angebote sind individuell, preisgünstig und oft auch in schwierigen Lebenslagen erfolgreich

Von Barbara Kerneck

Michaela Geissler (41) ist heute Inhaberin einer Naturheilpraxis in Berlin-Wilmersdorf. Jahrelang hat sie darauf hingearbeitet. Nach dreijährigem Studium absolvierte sie Zusatzausbildungen in Akupunktur, Fußreflexzonen- und klassischer Massage. Ein weiteres Jahr lang assistierte sie einer erfahrenen Heilpraktikerin. Dann musste sie Arbeitslosengeld beantragen. Obwohl das Gutachten für den Businessplan positiv ausfiel, hielt die Vermittlerin in der Arbeitsagentur nichts von ihrer Existenzgründungsidee.

Die Wende brachte ein Kurs beim Berliner Bildungs- und Beratungszentrum "Raupe und Schmetterling - Frauen in der Lebensmitte e.V." Bei dem seit 25 Jahren bestehenden Verein stellen über 50 hochqualifizierte Frauen auf Honorarbasis ihr Wissen zur Verfügung - von Anwältinnen über Finanzberaterinnen, Sozialpädagoginnen bis zu ausgebildeten Coachs. Ihr Ziel: Frauen zu unterstützen, selbstbewusst den eigenen Weg zu suchen und finanziell unabhängig zu werden.

Die meisten haben viel mehr gelernt, als sie denken

Der Kurs, den die Heilpraktikerin belegte, hieß: "Coaching für Selbstständige mit ergänzendem ALG II". In diesem Kreis schöpfte sie Mut, um die Praxiseröffnung auch ohne Gründungszuschuss vorzubereiten - gestützt nur auf praktische Hilfe von Freunden, Sachspenden einer Kollegin und das Privatdarlehen eines Bekannten. Neben der Gewissheit, ihr Handwerk zu beherrschen, half Michaela Geissler dabei die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie: "Was hat mich geprägt, was macht mir Spaß, was unterstützt mein Selbstvertrauen? Danach kannte ich meine Stärken besser."

Im laufenden Programm bietet "Raupe und Schmetterling" 140 Kurse und Vorträge an: aus den Bereichen Arbeit und finanzielle Absicherung, Selbstständigkeit und Existenzgründung, Kommunikation und Handlungsstrategien, Gesundheit und Kreativität. Ein Kurs mit acht Abendterminen plus Wochenende kostet zwischen 40 und 55 Euro. Einzelberatungen in Familien-, Sozial- oder Mietrecht sowie Begleitung bei Behördengängen sind meist gratis. Der Verein finanziert sich aus Mitteln der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, des Europäischen Sozialfonds sowie aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. In den 25 Jahren ihrer Existenz hatte die "Raupe" mehr oder weniger intensiven Kontakt zu einer Viertelmillion Frauen.

"Die hierher kommen, bestimmen selbst, was sie lernen wollen", betont Vereinsgründungsmitglied Angelika Mundt (59). Null-Acht-Fünfzehn-Kurse gibt es nicht. "Außerdem legen wir auch auf die Vernetzung unter den Frauen großen Wert." In der Lebensmitte möchten viele Frauen - oft nach Kindererziehung oder einer Scheidung - in den Beruf zurückkehren, sich umorientieren oder einen Weg aus der Arbeitslosigkeit finden. 90 Prozent der Klientinnen des Vereins sind zwischen 35 und 60 Jahre alt.

Doch die Grenze verschiebt sich immer mehr nach oben. Eine wachsende Zahl von Ruheständlerinnen ist wegen zu niedriger Rentenansprüche auf Jobs angewiesen. Um nicht aus Altersgründen von vornherein von Fortbildungsmaßnahmen der Arbeitsämter ausgeschlossen zu werden, müssen Ältere die behördliche Denkweise besonders gut kennen. Für sie bietet "Raupe und Schmetterling" seit kurzem spezielle Kurse an unter dem Motto: "Und es geht doch - mit 50 Arbeit finden". Im vorletzten Winter haben 29 Frauen an solchen Kursen teilgenommen: Sieben bilden sich noch weiter, acht haben inzwischen eine Stelle.

Und es geht doch - mit über 50 Jahren Arbeit finden

Zu ihnen gehört die 58-jährige Marianne Jürgens, die gleich nach ihrer Scheidung Ende der 90er Jahre noch ein Sozialpädagogikstudium absolvierte. Vor einem Jahr erhielt sie eine unbefristete Stelle als Familienfürsorgerin beim privaten Jugendhilfeträger Trialog. In ihrer Bewerbung konnte die Mutter einer 22-jährigen Tochter dank einer bunten Berufsbiografie mit einer Vielzahl von Fähigkeiten glänzen: Sie hatte bei der Post begonnen, holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach, leitete 16 Jahre lang zwei Boutiquen und jobbte nebenbei - zum Beispiel als Mitgliederbetreuerin bei der IG Metall. Besonders froh ist Marianne Jürgens, dass sie bei "Raupe und Schmetterling" gelernt hat, ihre eigenen Wünsche zu konkretisieren. Sie wollte einen hellen Arbeitsplatz mit viel Grün, einen gründlichen Dialog mit Kollegen und flexible Arbeitszeiten. "Ich habe meine Wünsche visualisiert, ans Universum geschickt und dann hat sich alles gefügt, wie ich wollte", sagt sie und lacht. Nicht nur der Mut und das Selbstbewusstsein, unpassende Stellen abzulehnen, brachten sie an die richtige Stelle, sondern auch das aktive Zugehen auf attraktive Arbeitgeber.

Vereins-Mitbegründerin Angelika Mundt, eine von sechs Festangestellten, zieht Bilanz: "Mir hat der Verein dasselbe gegeben wie den Frauen, die zu uns kommen." Wer hier arbeitet, will gesund und beweglich bleiben, vernetzt und voller guter Ideen zum Geldverdienen. Im Kampf gegen die weibliche Altersarmut möchte sie demnächst eine neue Waffe schmieden: "Wir älteren Frauen sollten richtige Unternehmen gründen, die unseresgleichen Arbeitsplätze bieten."

www.raupeundschmetterling.de