Ausgabe 05/2009
Andere Länder - andere Sitten
Von Silke Leuckfeld |Andere Länder - andere Sitten
Erste internationale Konferenz von Betriebsräten aus Wachschutzunternehmen. Weitere werden folgen. Die Themen: Europäische Betriebsräte und Zusammenarbeit, Sprachprobleme und andere Hürden
Auf Wacht in Dussmanns Kulturkaufhaus in Berlin
Aus acht europäischen Ländern kamen die 33 Betriebsräte aus dem Wach- und Sicherheitsgewerbe, die im April auf einer Konferenz in Berlin ihre Erfahrungen austauschten - der Auftakt für weitere Treffen, die auf Initiative von ver.di in Gdansk, Stockholm und Wien stattfinden werden. Das Ergebnis dieser internationalen Kontakte soll im November 2009 bei einem Abschlusstreffen in Brüssel diskutiert werden.
"Wenn deutsche Betriebsräte einen Brief an einen Betriebsratsvorsitzenden in Frankreich schreiben, wundern sie sich, wenn sie keine Antwort bekommen", erzählt Ivonne Jackelen vom internationalen Gewerkschaftsbund UNI. "Sie wissen nicht, dass ihr Brief in Frankreich beim Arbeitgeber landet. Dort ist der Vorsitzende des Betriebsrates immer ein Vertreter der Geschäftsführung." Das gilt auch, wenn in einem Unternehmen Europäische Betriebsräte nach französischem Recht gewählt werden.
Der Kontakt unter den Betriebsräten ist nicht immer einfach - nicht nur Sprachprobleme und unterschiedliche Mentalitäten können eine Hürde sein, auch die Rechtssysteme der einzelnen Länder sind unterschiedlich.
Kontaktpool
Auf der Berliner Konferenz stellte Ivonne Jackelen den Betriebsräten das Angebot der UNI vor. "Wichtig ist unser Kontaktpool. Wenn jemand eine Information braucht, helfen wir über unser Netzwerk", erklärt sie. Die europäische Bildungseinrichtung ETUI, die von drei gewerkschaftlichen Instituten gegründet wurde, bietet Sprachkurse für Betriebsräte in Englisch und Französisch mit dem speziell benötigten Vokabular an. ETUI hat zudem eine Internetseite eingerichtet (am Ende dieses Artikels), die Betriebsräten - und anderen - Informationen zur Verfügung stellt.
Ivonne Jackelen berät auch Gewerkschaften und Betriebsräte, die in ihrem Unternehmen eine europäische Arbeitnehmervertretung gründen oder deren Arbeit verbessern wollen. "Wichtig sind Sprachkenntnisse, aber auch Wirtschaftsschulungen, um die Finanzbegriffe zu verstehen, und das Wissen, wie die verschiedenen Vertretungen in den einzelnen Ländern funktionieren", sagt sie.
Lohngefälle
Unterschiedlich ist auch das Lohngefälle im Wach- und Sicherheitsdienst zwischen den einzelnen Ländern. "Löhne von 1,50 Euro in Polen, 4,50 Euro in Ostdeutschland und 15 Euro und mehr in den skandinavischen Ländern gehen einher mit Arbeitszeiten von bis zu 400 Stunden in Polen und 200 bis 250 Stunden in Ostdeutschland", sagt Gerald Richter, Gewerkschaftssekretär im ver.di-Bundesfachbereich Besondere Dienstleistungen.
Gewerkschafter befürchten, dass die Beschäftigten der verschiedenen Länder gegeneinander ausgespielt werden. Die Geschäftsführung der Firma Securitas hat nach Informationen des Betriebsrates bereits Kontakt nach Polen aufgenommen. Auch Betriebsräte in anderen Ländern sehen das Lohngefälle zu ihrem Nachbarland mit Sorge. "Die Schweden haben dieses Problem mit den Unternehmen aus Lettland", berichtet Clemens Petruschke, Mitglied im europäischen Betriebsrat von Securitas. Das schwedische Unternehmen hat weltweit rund 240000 Beschäftigte, davon 1800 in rund 200 Objekten in Berlin. "Europäische Betriebsräte sind wichtig, um den Kontakt zu halten und Informationen auszutauschen", sagt Petruschke. Der Europäische Betriebsrat bei Securitas trifft sich regelmäßig einmal im Jahr.
Mit Sorge betrachtet Petruschke die Entwicklung des Arbeitsrechts und der Mitbestimmung in der Europäischen Union. "Ich sehe die Gefahr, dass sich die EU künftig nicht am Stärksten, sondern am Schwächsten orientiert. Für uns ist die Gewerkschaft im Betrieb selbstverständlich, in anderen Ländern ist das erst ein hart erkämpftes Recht."
Um die Kommunikation zu den Betriebsräten aus den anderen Ländern noch zu verbessern, will er selbst auch einen Englischkurs besuchen. Das Recht darauf wurde in der Vereinbarung über einen Konzernbetriebsrat zwischen der Geschäftsleitung und der schwedischen Gewerkschaft festgeschrieben.
Der Stand bei Dussmann
So weit ist Reiner Meltz, Mitglied im Gesamtbetriebsrat der Firma Dussmann, noch nicht. Sein Arbeitgeber ist in 26 Ländern mit einem umfangreichen Dienstleistungsangebot vertreten, zu dem auch Wach- und Sicherheitsdienste gehören. Einen Europäischen Betriebsrat hat das Unternehmen bisher aber nicht. Reiner Meltz nahm an der Konferenz in Berlin teil, der Gesamtbetriebsrat prüft aber noch, ob er einen Europäischen Betriebsrat überhaupt will. "Mit den Kollegen in Österreich sind wir bereits in Kontakt", betont er. Dem Europäischen Betriebsrat fehle die Praxisnähe, im betrieblichen Alltag stünden aber die aktuellen Probleme im Vordergrund.