...oder auch nur die Schultern und der Nacken verspannt sind, lockert Rolfen das Bindegewebe und löst Fehlhaltungen auf

Die Rolferin Birgit Frank bringt den Körper mit Hilfe der Schwerkraft wieder ins Lot

VON CLAUDIA VON ZGLINICKI

Rolfing - nie gehört. Soll gut sein für Haltung, Balance und Beweglichkeit, gegen Verspannungen und Verkrampfung. Soll teuer sein. Ob es auch weh tut? Alles unklar, aber ich habe die Chance, es zu testen. Während der 1. Europäischen Rolfingwoche Ende April kann man sich informieren und selbst ausprobieren, wie es sich anfühlt. In vielen Städten, auch in Berlin. Ich melde mich in einer Naturheilpraxis am Arnimplatz im Bezirk Prenzlauer Berg an. Vorsichtshalber gehe ich zuerst zum Tag der offenen Tür, ich will wissen, was kommt. Es ist Sonntagnachmittag, ein Vortrag ist angekündigt.

Vor dem Haus ein Menschenauflauf. Doch die meisten wollen eine freie Wohnung besichtigen. Die Praxis ist im Erdgeschoss, ich klingle, Birgit Frank lässt mich ein. In einem fast leeren Raum stehen Kräutertee, Gemüsesticks, Brot, Vollkornkekse auf einem großen Holztisch. Neugierige, Vor-Informierte und Unwissende füllen langsam die Praxis. Mehr Frauen als Männer. Birgit Frank würde auch hervorstechen, wenn sie jetzt nicht anfinge zu reden. Sie wirkt wie eine Tänzerin, schmal und muskulös. Sie bewegt sich flink, mit auffallender Anmut. Kommt das vom Rolfen?

Rolfen, sagt Birgit Frank, soll die Haltung eines Menschen verbessern, Fehlfunktionen beseitigen, "die Körperstruktur mit Hilfe der Schwerkraft ins Lot bringen. Nach zehn Sitzungen ist man gerolft - und man ist verändert. Das betrifft die äußere und meist auch die innere Haltung."

Eine Frau holt tief Luft und fragt: "Tut es weh? Man hat mich vor den Schmerzen gewarnt." Spannung kommt auf. Ist Rolfing eine Sache, die dem Rücken hilft und den Menschen quält?

Birgit Frank, die Heilpraktikerin und Rolferin, hat eine Erklärung. "Die Vorstellung könnte aus den 70ern kommen, als man noch dachte: Was uns nicht umbringt, macht uns stark. Heute arbeiten Rolfer längst nicht mehr so. Ich selbst reagiere auf jede Reaktion. Wenn einem Menschen vor mir auf der Liege der Druck, den ich ausübe, zu viel wird, lasse ich sofort nach. Aber es gibt auch so etwas wie Wohlfühlschmerz - so nennen es die Japaner."

Die Probe am Skelett

Die Stuttgarterin hat früher als Dokumentarfilmschnittmeisterin gearbeitet. Sie sagt: "Wir Rolfer sind ein kunterbunter Haufen. Ärzte sind dabei, Biologen, Physiotherapeuten, Computerspezialisten... Manche suchen eine Erweiterung in ihrem Beruf, ein zweites Standbein; andere beginnen ein ganz neues berufliches Leben. Viele stoßen durch die eigene Krankheitsgeschichte aufs Rolfing." So wie sie. Birgit Frank wollte "mehr Stabilität", ließ sich rolfen - und entschied sich vor zehn Jahren spontan, selbst Rolferin zu werden. "Ich arbeite gern mit den Händen. Und mit Menschen. 1999 habe ich einmal auf einem Festival in Ungarn zum Spaß Freunde massiert. Dafür bekam ich kleine Trinkgelder, von denen kaufte ich mir auf dem Markt mein Gemüse und dachte, oh, jetzt lebe ich von meiner Hände Arbeit. Ein gutes Gefühl." Sie fing an, Anatomie zu büffeln und sich intensiv auf die Rolfing-Ausbildung vorzubereiten. Ihre Eltern schenkten ihr dafür Gustav, das Skelett, das jetzt in der Berliner Praxis steht.

Das Exempel auf der Liege

Am nächsten Tag ist meine Probestunde. Rückenprobleme habe ich nicht. Aber die eine oder andere Verspannung in Schultern und Nacken, vom langen Sitzen am Computer. Ich lege mich auf Birgit Franks Liege. Es ist jetzt ganz still. Sie beginnt, drückt aufs Brustbein. Und ja, das spüre ich, drückt nach einer Weile ziemlich heftig. Aber unterbrechen muss ich sie nicht. Sie legt die eine Hand unter meine rechte Schulter und drückt von oben dagegen. Mit der Faust? Ich blinzele. Mit dem Ellbogen. Es fühlt sich gut an, gibt Halt und dehnt den Schulterbereich. So empfinde ich es. Ihre Hände gleiten zum Oberarm, greifen kräftig zu, gehen weiter bis zum Handgelenk. Dann die andere Schulter. Ich höre auf, alles genau zu verfolgen. Rolfing ähnelt einer Massage und ist doch ganz anders; das Kneten fehlt. Manchmal soll ich tief einatmen. Ich fühle mich wohl. Es könnte noch weitergehen, aber die Zeit ist um. Ich fühle mich - schon wieder angezogen und stehend - aufrecht und locker. Schwebe raus. Ist das was für mich? Bezahlen es eines Tages die gesetzlichen Krankenversicherungen? Von Akupunktur wollten sie früher schließlich auch nichts wissen.

Manche Hausärzte und Orthopäden empfehlen Rolfing schon, zusätzlich oder vorbeugend. "Wer vorbeugen und einfach etwas für sich tun will, ist mir willkommen", sagt Birgit Frank. "Aber die meisten finden eben leider erst nach dem dritten Bandscheibenvorfall hierher, um alle Möglichkeiten zur Entspannung für sich zu nutzen." Erst dann? Gustav knarrt warnend mit den Wirbeln.

Gezielter Druck

Rolfing ist eine manuelle Behandlungsmethode zur Verbesserung von Struktur, Haltung und Beweglichkeit des Körpers, entwickelt von der amerikanischen Biochemikerin und Physiologin Dr. Ida Rolf (1896-1976), daher der Name Rolfing.

Nach Informationen der Europäischen Rolfing-Gesellschaft (European Rolfing Association e.V.) wird "mit gezieltem Druck das Bindegewebe umgeformt. Ziel ist eine aufrechte Haltung, leichte Bewegungen, freie Atmung". Empfohlen werden zehn Sitzungen, die jeweils ca. eine Stunde dauern. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten (ca. 80 Euro pro Sitzung) nicht.

www.rolfing.org