Das Konzept der Mikrokredite kommt aus Bangladesch, dort soll es der Armut entgegenwirken. Die Kleinstdarlehen werden auch in Deutschland immer beliebter, um kleine Unternehmen zu gründen oder ihr Fortbestehen zu sichern

Sein Unternehmen Syncrage ist mit einem Mikrokredit aufgeblüht: Existenzgründer Enrico Falk (vorn) und seine starken Männer

Von Jenny Mansch

Eigentlich brauchte er nur einen Kühlschrank, einen Teppichboden, Tische, Stühle und neue Hardware für die Rechner. 10 000 Euro hätten fürs erste gereicht. "Meine Hausbank hätte mich ausgelacht, wenn ich dort um einen Kredit gebeten hätte", erzählt Enrico Falk. Der 34-Jährige ist Spiele-Entwickler für Smartphones und Spielkonsolen. Und er ist Existenzgründer.

Wer will schon Schulden?

Noch im Winter 2007 saß Falk mit vier Mitarbeitern in einem 20-Quadratmeter-Raum, den er sich mit einem anderen Unternehmen teilte. Das sparte Miete, Strom und andere Kosten. Doch Falk zog einen großen Fisch an Land. Er bekam den Auftrag, aus dem Bestseller "Tintenherz" ein Spiel für Nintendo DS zu entwickeln. Dafür brauchte er weitere Mitarbeiter, mehr Platz und neue Rechner. Falk musste den Auftrag ablehnen oder expandieren.

"Bis zu diesem Punkt konnte ich nur dahindümpeln, weil ich versuchte, den Betrieb aus dem laufenden Auftragsgeschäft zu finanzieren. Aber die Reserven, um etwas Größeres anzugehen und das Geschäft weiterzuentwickeln, hatte ich nicht", erinnert er sich. Doch er hatte "immer den Anspruch, mich nicht zu verschulden. Wer will das schon?"

Also besann sich der studierte Informatiker auf das, was er einst in einem Gründerseminar an der Uni gelernt hatte: ein Darlehen, das ihn später nicht in seiner Existenz bedrohen würde. Falk besorgte sich bei der landeseigenen Investitionsbank Berlin einen Beratungstermin, "von zuhause hab ich immer auf den Schriftzug an ihrem Hochhaus geguckt".

Im Hochhaus traf er auf Dessislawa Thordsen. Sie ist Kundenberaterin bei der Investitionsbank Berlin, die kleinen und mittleren Unternehmen in Berlin mit Mikrokrediten bis zu 10 000 Euro hilft. Die Beraterin zeigt ehrliche Begeisterung für diese Darlehens-Form und schwärmt von den kreativen Ideen, die in der Region brach liegen, weil ihnen die Anschubfinanzierung fehlt. Auch dass Hartz-IV- Empfänger das Angebot in Anspruch nehmen können und nicht wie bei anderen Finanzinstituten nach Hause geschickt werden, freut sie. Die intensive Beratung und die enge Begleitung der Kreditnehmer durch die Bank minimiere für alle Beteiligten das Risiko, so Dessislawa Thordsen.

Kleiner Praxistest

Um einen Mikrokredit zu bekommen, musste Enrico erst durch einen kleinen Praxistest: Er musste alle geforderten Unterlagen vollständig einreichen, seine Geschäftsidee plausibel erläutern, eine grobe Standortanalyse vorlegen und einen Plan, wie er das Geld verwenden wird. Das ist einfach im Vergleich zu einem aufwändigen und komplizierten Businessplan, an dem ein Existenzgründer schon mal leicht verzweifelt. Bekommt der Kreditnehmer dieses vereinfachte Antragsverfahren auf die Reihe und wird seinem Antrag stattgegeben, kann er innerhalb von zwei Wochen mit dem Geld rechnen, das Ganze immer eng begleitet durch die Bank. So war es auch bei Enrico Falk. Bei dem Termin ist es ihm gelungen, die IBB von seinem Vorhaben zu überzeugen. Die hielt sein Geschäftskonzept für tragfähig und ihn für zuverlässig, seine Idee ging weit über "das fünfte Nagelstudio in derselben Straße" hinaus. Sowas nämlich lehnt die Bank wegen mangelnder Erfolgsaussichten ab und bewahrt beide vor Folgeschäden. Falk aber erhielt seinen Kredit über 10 000 Euro, der ihn fünf Jahre mit rund 230 Euro im Monat belasten wird. Bei sechs Prozent Zinsen, die ersten sechs Monate sind tilgungsfrei. Nach drei Monaten musste er nachweisen, ob er das Geld korrekt verwendet hat. Hat er brav seine Raten zurückgezahlt, kann im Anschluss über Nachschub geredet werden.

Heute ist Falk Mieter eines eigenen Großraumbüros. Mit dem ersten Geld von der IBB kaufte er den Teppich, die Stühle, die Hardware und den Kühlschrank. Und er konnte einen neuen Mitarbeiter fest anstellen, das war eine Bedingung für den Kredit. Auch einen weiteren großen Auftrag für die XBox 360 konnte er annehmen und erfolgreich umsetzen, er blickt optimistisch in die Zukunft seines Unternehmens Syncrage.

Für Migrant/innen noch schwerer

Cemalettin Özer ist Geschäftsführer der interkulturellen Unternehmensberatung Mozaik-Consulting in Bielefeld und hat sich auf die Mikrokreditvergabe an Migrant/innen spezialisiert. Der akzentfrei und schnell sprechende Deutschtürke weiß, dass Migranten - oft arbeitslos - noch schwieriger an Geld kommen als Deutsche. "Sie haben Probleme mit der Sprache", sagt Özer, "und die Banker wiederum wissen nicht, wie sie mit denen umgehen sollen." Außerdem passen den Banken die kleinen Summen nicht, für die der Verwaltungsaufwand gleich hoch ist. Oft geht's aber nur um eine Ausfallfinanzierung, die zum Beispiel einen Taxiunternehmer vor Arbeitslosigkeit bewahren könnte. Özer arbeitet mit Arbeitsagenturen oder der Regionalstelle Frau und Beruf zusammen, um das Risiko zu mindern. Der maximale Erstkredit liegt bei ihm bei 6 000 Euro bei zehn Prozent Zinsen, fünf für den Fonds und fünf für die Bank. "Mikrofinanzierung ist vom wirtschaftlichen zum sozialen Thema geworden", hat Özer festgestellt. 70 Kredite hat er inzwischen vermittelt, nur drei davon sind geplatzt. Dann haftet er mit. Er hat mit seiner Unternehmensberatung inzwischen Türken, Ukrainern, Syrern und Deutschen geholfen, die anderswo keine Chancen auf ein Darlehen hatten. Der kleinste Betrag, den er vermittelt hat, ging an eine junge Frau aus Jamaika. Sie wollte sich als Dolmetscherin und Englisch-Übersetzerin selbstständig machen. Sie bekam einen Kredit über 500 Euro.

Langsam, so Özer, kommen immer mehr Deutsche zu ihnen. Bisher wollten sie sich nicht vom Sohn eines Gastarbeiters beraten lassen.

Wer zahlt das?

Der Mikrofinanzfonds Deutschland wurde 2006 von der Bochumer GLS-Bank aufgelegt. Das Fondsvolumen beträgt 3,2 Millionen Euro und wird von der GLS verwaltet. Investoren sind das Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Europäischer Sozialfonds, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, die KfW-Bankengruppe, die GLS-Bank und einige Privatpersonen.

Derzeit gibt es 13 Mikrofinanzinstitute in Deutschland, die mit dem Mikrofinanzfonds Deutschland kooperieren, drei davon sind Genossenschaften. Hier ist eine Einlage von einem Drittel der Kreditsumme nötig. Die Banken werden zu 100 Prozent von den Kreditrisiken freigestellt und durch die zwischengeschalteten Finanzdienstleister in der Betreuung entlastet. Diese bewerten und betreuen die Anträge und vermitteln den Kredit. Liegen ihre Kreditaus- fälle unter zehn Prozent, erhalten sie aus dem Fonds eine Gratifikation, im umgekehrten Fall werden Strafen fällig.