Wenn's juckt und spannt

Die Berufsdermatose ist die häufigste Berufskrankheit. Besonders betroffen sind Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen, Friseurinnen, Metallarbeiter, Küchen- und Reinigungspersonal

Regelmäßiges Arbeiten mit Wasser schadet der Haut

VON Irene Meichsner

Die Haut rötet sich, wird rau und trocken. Häufig beginnt sie auch zu jucken. Kleine Risse, Schuppen, Knötchen und Bläschen breiten sich von den Fingerzwischenräumen oder Fingerspitzen über die ganzen Hände aus. Menschen, die solche Symptome an sich beobachten, können sich von einem Dermatologen mit Salben und Medikamenten behandeln lassen. Bleibt es beim so genannten "irritativen Ekzem", ist die Krankheit im Prinzip zwar noch heilbar. Doch wenn zum Beispiel Metallarbeiter, Pflegekräfte oder Friseurinnen betroffen sind, besteht höchste Alarmstufe. Vielleicht sind sie an ihren Arbeitsplätzen über Jahre hinweg mit Kühlschmierstoffen, Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln in Berührung gekommen. Dann besteht die Gefahr, dass sich aus der entzündlichen Irritation der Haut ein schweres "allergisches Kontaktekzem" entwickelt. Schlimmstenfalls droht die Berufsunfähigkeit, weil der direkte Kontakt mit winzigen Mengen von entsprechenden Substanzen reicht, um schwere Hautallergien auszulösen.

Soziale Probleme als Folge

Dies ist in Deutschland nach wie vor in beunruhigendem Ausmaß der Fall. Die Zahlen gingen seit Mitte der 90er Jahre zwar deutlich zurück, doch nach wie vor stehen die so genannten Berufsdermatosen ganz oben auf der Liste der Berufskrankheiten. Der aktuelle Bericht der Bundesregierung Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2007 verzeichnet 18 448 neue Verdachtsfälle allein für das Jahr 2007. Erst mit großem Abstand folgen Verdachtsanzeigen auf eine beruflich bedingte Lärmschwerhörigkeit und Rückenschäden. "Hautleiden sind nicht nur bei den Fallzahlen negativer Spitzenreiter, sondern verursachen unter allen berufsbedingten Erkrankungen die höchsten Kosten", erklärt Swen Malte John, Leiter des Fachgebiets Dermatologie, Umweltmedizin und Gesundheitstheorie der Universität Osnabrück. Er beziffert den volkswirtschaftlichen Schaden durch die direkten und indirekten Kosten hierzulande auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro pro Jahr.

"Unzureichend versorgte Handekzeme sind hartnäckig. Hände sind unsere Kontaktorgane. Wenn sie stark gerötet und geschwollen sind, schuppen, nässen, sogar bluten, führt das auch zu gravierenden Problemen im sozialen Umfeld", sagt John. "Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Lebensqualität durch berufsbedingte Hauterkrankungen vergleichbar eingeschränkt wird wie durch einen Myokardinfarkt (Herzinfarkt, die Red.) oder Schlaganfall", schrieb das Ärzteblatt. Für etwa ein Drittel der bestätigten Verdachtsfälle wird die "Feuchtarbeit" verantwortlich gemacht. Einer Dokumentation des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) aus dem Jahre 2006 zufolge spielt sie damit eine "herausragende Rolle", ihre Relevanz habe in den letzten Jahren "stark zugenommen".

Unter "Feuchtarbeit" versteht man das regelmäßige Arbeiten mit Wasser, vor allem wenn Reinigungs- und Desinfektionsmittel zugesetzt werden. Das betrifft hauptsächlich Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeberufen, Friseurinnen, Metallarbeiter, Küchen- und Reinigungspersonal - in Deutschland insgesamt etwa eine Million Arbeitnehmer. "Es ist paradox, aber wahr: Wasser schadet der Haut", heißt es im Begleitmaterial zu einer zweijährigen Präventionskampagne, bei der die Sozialversicherungsträger, darunter auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), mit vereinten Kräften für ein größeres "Hautbewusstsein" geworben haben. Die anhaltende Feuchtigkeit störe die komplexe Hautarchitektur: "Der schützende Film auf der Haut wird löchrig und die Fette zwischen den Hautzellen werden ausgewaschen. Zudem entfernen und neutralisieren Wasser, Seife und Reinigungsmittel den Säureschutzmantel der Haut. Ihre natürliche Schutzfunktion ist geschwächt: Sie ist durchlässiger für Schadstoffe, Allergie auslösende Stoffe und Infektionen."

Mangelnder Hautschutz

Dem ließe sich häufig vorbeugen, etwa durch geeignete Pflege- oder alternative Arbeitsmittel. Doch die Experten wissen sehr genau, dass für die anhaltend hohe Zahl der quälenden Hautleiden nicht ein zu geringes Wissen über Hautschutz verantwortlich ist. "Oft hapert es an der Umsetzung. Darauf haben die Ergebnisse einer Umfrage bereits im Vorfeld der Kampagne hingedeutet", heißt es in dem Abschlussbericht zu der bundesweiten Aktion.

Fest steht, dass sich nicht alle Branchen über einen Kamm scheren lassen. "Jeder Beruf und jede Arbeitssituation braucht einen individuell abgestimmten Hautschutz und eine spezifische Hautpflege", sagt Fritz Bindzius von der DGUV. In einigen Branchen geht man mit gutem Beispiel voran, zum Beispiel bei den Friseur/innen, wo sich die Lage schon deutlich entspannte, nachdem 1995 die so genannte "saure Dauerwelle" mit der stark allergisierenden Substanz "Glycerylmonothioglycolat" verboten worden war. Seit 2007 bietet die zuständige Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ein innovatives Präventionskonzept an: Im Bochumer "Studio 78", einem eigens zur Prävention eingerichteten Friseursalon, können Auszubildende, Friseurinnen und Berufsschullehrer unter anderem lernen, wie man seine Haut vor Chemikalien am besten schützt.

Von einem einheitlichen Vorgehen ist man in den Industrieländern indes noch weit entfernt. Einem Bericht der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz vom Herbst 2008 zufolge gleicht das vereinte Europa in Sachen Berufsdermatosen eher einem Flickenteppich. Die Regularien sind oft unvereinbar. Auch verbindliche Diagnose-Standards fehlen. Ärztliche Tests auf individuelle Hautempfindlichkeit oder -belastbarkeit sind "für die Betroffenen häufig von großer Tragweite, da sie unter anderem bei Entscheidungen über Rentenzahlungen herangezogen werden", sagt Swen Malte John. Doch streng wissenschaftlich stehen solche Gutachten noch auf relativ tönernen Füßen.

Aber immerhin: Das Problembewusstsein ist stetig gewachsen. An einem interdisziplinären stationären Heilverfahren, das in Osnabrück für Menschen mit schweren Berufsdermatosen entwickelt wurde, nahmen seit Oktober 1994 über 3 000 Betroffene teil. Zwei Drittel der Patienten mit schweren Handekzemen konnten durch die Maßnahmen in ihrem Beruf verbleiben. Früher hätten sie wohl nahezu ausnahmslos den Arbeitsplatz verloren und sich neu orientieren müssen. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Hautleiden beruflich bedingt ist, steht Betroffenen in Deutschland ein "Berufsdermatologe" zur Seite. Der ist aufgerufen, praktische Angebote zu machen, um das Auftreten berufsbedingter Krankheiten möglichst zu verhindern.

Service: www.2m2-haut.de