Alles unter Kontrolle

Gesundheit ist Privatsache - Krankheit auch. Dennoch wollen viele Unternehmen offenbar alles über die innersten Werte ihrer Mitarbeiter wissen. Rechtlich sind die Grenzen jedoch eng gesteckt

Krankenakten der Berliner Charité: Hier werden sie zu Recht archiviert

VON SABINE SCHMITT

Der Fund der Krankenakten von Lidl-Mitarbeitern in einem Müllcontainer in Herne Anfang März dieses Jahres war offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Innerhalb von zwei Monaten sind weitere Belege über die Datensammelwut von Unternehmen hinzugekommen: Auch bei Daimler in Bremen, der Drogeriekette Müller und jüngst auch bei der Post kam zu Tage, dass offenbar systematisch Krankendaten von Mitarbeitern archiviert wurden. Dass dieses Vorgehen illegal ist, darüber lassen Datenschützer keinen Zweifel. Doch was darf ein Arbeitgeber eigentlich wirklich über seine Mitarbeiter wissen? Schlicht gesagt: Nur das Nötigste - und das gilt für Arbeitnehmer gleichermaßen wie für Bewerber.

Es ist inzwischen fast schon zur Gewohnheit geworden, dass Unternehmen vor der Einstellung so genannte Gesundheitstests für ihre Bewerber "anbieten". Anbieten deshalb, weil die Untersuchungen nicht vorgeschrieben werden dürfen, sondern freiwillig sind. Doch in der Realität sieht die Sache so aus: Wer den Gesundheitscheck vor der Einstellung verweigert, ist aus dem Rennen um den Job. Also liefern Bewerber brav Blut oder Urin zur Untersuchung ab, lassen ihren Blutdruck messen und geben in Fragebögen alle möglichen Auskünfte über Diabetes bis Depression, um die neue Arbeitsstelle zu ergattern. Datenschutzrechtlich ist das alles äußerst bedenklich, denn ein Arbeitgeber hat kein Recht darauf, vollständig und umfassend über den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter oder Bewerber informiert zu sein. "Sicherlich steht das immer im Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsschutz auf der einen Seite und dem Informationsrecht auf der anderen", sagt Helmut Platow, Leiter des Bereichs Recht und Rechtspolitik bei ver.di. "Aber der Arbeitgeber darf nur wissen, was direkt zur Ausübung der Tätigkeit an einem bestimmten Arbeitsplatz wichtig ist."

Ein Sehtest etwa kann für einen Lokführer, Busfahrer oder Piloten wichtig sein, schließlich will ein Unternehmen die Gefährdung von Passagieren ausschließen. Eine Blutuntersuchung allerdings ist keinesfalls notwendig. Manche Firmen allerdings schließen Betriebsvereinbarungen oder auch Einzelverträge mit ihren Beschäftigten über regelmäßige Bluttests ab. Üblich sei dies beispielsweise bei Kraftfahrern und Maschinen- oder Kranführern, sagt Ingra Freigang-Bauer, Medizinsoziologin beim Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft in Eschborn. "Eine Null-Promille-Regelung muss auch für Arbeitgeber überprüfbar sein", sagt sie.

Der gläserne Mitarbeiter

Doch manche Unternehmen wollen einfach ganz genau wissen, was in ihren Mitarbeitern schlummert, um böse Überraschungen zu vermeiden: Unter dem Vorwand Alkohol- und Drogenmissbrauch auszuschließen, dürfen bereits Bewerber zum Bluttest antreten. "Geht man davon aus, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, dann muss ein Bewerber einen künftigen Arbeitgeber ohnehin davon in Kenntnis setzen", sagt Platow. Denn dann sei davon auszugehen, dass der Mitarbeiter wegen dieser Krankheit häufiger ausfalle. "Und wenn jemand die Krankheit im Griff hat und keine Beeinträchtigungen zu erwarten sind, dann geht das den Arbeitgeber auch nichts an", sagt der Jurist. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Chef seinen Mitarbeiter um einen Bluttest lediglich dann bitten, wenn es ausreichende Verdachtsmomente gibt, dass Alkohol am Arbeitsplatz im Spiel sein könnte.

Besonders harsch geht der Jurist mit Gentests ins Gericht. "Da gibt es in keinem Fall berechtigtes Interesse. Der Arbeitgeber hat kein Recht über genetische Dispositionen Bescheid zu wissen." Das lang diskutierte und jüngst vom Bundestag verabschiedete Gendiagnositikgesetz hat da weitgehend einen Riegel vorgeschoben - erlaubt aber Ausnahmen, wenn der Arbeitgeber die begründete Vermutung hat, dass ein Beschäftigter aufgrund eines genetischen Defektes den Beruf nicht ausüben kann. Unumstritten ist auch das nicht. "Ich halte die traditionelle Probezeit für vollkommen ausreichend, um festzustellen, ob jemand seinen Job machen kann", sagt Platow. "Den gläsernen Mitarbeiter gibt es einfach nicht."

Auch wenn sich genau das viele Unternehmen wünschen. Wie sonst lässt sich die Sammelleidenschaft bezüglich Krankheitsdaten mancher Unternehmen erklären? Arbeitnehmer sollten allerdings wissen, dass sie nicht verpflichtet sind, ihrem Arbeitgeber mitzuteilen, warum sie krank waren und unter welchen gesundheitlichen Beeinträchtigungen sie leiden. Bei der Rückkehr nach längerer Krankheit und in Eingliederungsgesprächen jedoch kann es sinnvoll sein, offen zu sprechen, um die Integration am Arbeitsplatz zu fördern. Der Arbeitgeber hat aber kein Recht, eine Diagnose zu verlangen. Wichtig sei es in dieser Hinsicht, dass der Mitarbeiter Herr über seine Daten bleibe und festlegen könne, welche Informationen aus dem Gespräch dokumentiert würden, sagt Medizinsoziologin Freigang-Bauer. Auch der Zugang zu solchen Daten im Unternehmen müsse strikt geschützt sein.

Sorglos lügen

Im Vorstellungsgespräch sollte der Bewerber immer schön bei der Wahrheit bleiben - allerdings gibt es einige Ausnahmen. Bei manchen Fragen sollte man "einfach die richtige Antwort kennen", empfiehlt der Jurist Helmut Platow von ver.di. Eine Schwangerschaft etwa ist keine Krankheit und somit darf sie verschwiegen werden. Die Frage danach ist verboten, deshalb darf eine Bewerberin dann auch lügen.

Auch Krankheiten, die keinen Einfluss auf die Erbringung der Arbeitsleistung haben, muss ein Bewerber nicht offen legen. Dazu kann eine HIV-Infektion ebenso zählen wie eine psychische Erkrankung oder Heuschnupfen.

Bei der Infektion mit dem HIV-Virus gehen die Lehrmeinungen allerdings auseinander. Während einige Juristen der Ansicht sind, nicht einmal von operierenden Chirurgen ginge eine erhöhte Ansteckungsgefahr aus, sind andere der Ansicht, dass es durchaus Berufe gibt, bei denen das Risiko zur Ansteckung durch die Ausübung der Tätigkeit erhöht sein könnte.

Relativ sorglos, was das Lügen angeht, darf der Bewerber bei psychologischen Tests oder Fragebögen sein. "Das darf jeder im für sich positiven Sinne ausdrücken", sagt Platow. Für psychologische Tests gilt ansonsten wie für alle anderen Tests auch: Ohne Zustimmung des Betroffenen sind sie nicht zulässig.