Björn Borgmann ist einer der wenigen freigestellten Jugend- und Auszubildendenvertreter im Gesundheitsbereich. Er vertritt über 2.500 Azubis bei der Rhön Klinikum AG

Björn Borgmann, 1988 in Hannover geboren, zieht im Alter von sechs Jahren nach der Scheidung seiner Eltern mit der Mutter nach Marburg. Realschul- abschluss, Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger am Universi- tätsklinikum Marburg, Examen Januar 2009. Kommt über einen Bildungs- urlaub zu ver.di, arbeitet dort mittlerweile in diversen Gremien auf Landes- und Bundesebene mit, unter anderem im Landesbezirksjugendvorstand. Seit Juni 2006 Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV, des Uniklinikums Gießen-Marburg, inzwischen Vorsitzender. Seit Juni 2007 Vorsitzender der Konzern-JAV der Rhön Klinikum AG.

von Uta von Schrenk

Das Design der Plakate passte ausgesprochen gut zum Fachwerk der Marburger Altstadt. Weiß auf schwarz. Eines Morgens im Mai 2007 fragte es fünfhundertfach von Laternenpfählen, Hauswänden und Litfaßsäulen: "Was macht Ulla?" Wer ist Ulla?, begannen sich die Marburger zu fragen. Eine Woche später konnten sie sich die Antwort im Internet holen - www.ullablog.de war über jedes Plakat geklebt. Eine Fleißarbeit. Auf der Internetseite berichtete eine Krankenpflegeschülerin namens Ulla, dass sie im just privatisierten Universitätsklinikum für zwei Drittel des regulären Auszubildendenlohns 40 Stunden die Woche Hilfsarbeiten verrichten musste, von qualitativer Ausbildung keine Spur. Die Geschäftsführung war über das öffentliche Interesse alles andere als begeistert. Es war die heiße Phase der Haustarifverhandlungen. Sie verlangte, dass der Ullablog lahmgelegt wird, sonst werde nichts aus dem Tarifvertrag. Wer sich die Aktion ausgedacht hat?

Björn Borgmann, Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) im Universitätsklinikum Gießen-Marburg, grinst nur, die Jugendbetriebsgruppe hat Stillschweigen vereinbart. In den Tarifverhandlungen ging die Geschäftsführung Björn Borgmann und seinen JAV-Kollegen an. Die Aktion werde Konsequenzen haben, wurde ihnen beschieden. "Zuerst war ich nervös", sagt Björn Borgmann, "aber dann hab ich gedacht: Muss ja wehgetan haben, die Aktion."

Reden gehört zu seinem Job

Björn Borgmann, 20, dessen beeindruckende Körpergröße von fast 1,90 Metern nicht recht zu dem weichen Gesicht passen will, ist einer der wenigen freigestellten Jugend- und Auszubildendenvertreter der Branche. In Marburg ist er verantwortlich für 400 Auszubildende, im Verbund Gießen-Marburg sind es 800 und konzernweit 2 500. Dass die Auszubildenden der Rhön Klinikum AG heute durch eine Konzern-JAV vertreten werden, verdanken sie Borgmann. Nach dem Weggang seines Vorgängers lag die Konzern-JAV brach. Es war Borgmann, der seine Kollegen quer durchs Land vom Neustart überzeugte. "Wir waren damals die einzige Konzern-JAV im Gesundheitswesen." Heute gibt es eine weitere bei der Damp Holding AG.

Björn Borgmann sagt von sich selbst, dass er manchmal von Sprechlawinen ergriffen wird, geradezu mitgerissen vom eigenen Redefluss, der ihn weiter und weiter trägt, oft bis dahin, wo es unbequem wird, und vielleicht auch mal übers Ziel hinaus. Ein Kind, das spät sprechen gelernt hat, aber dann nur noch mit Älteren reden wollte, weil die Gleichaltrigen nicht eloquent genug waren. Als Björn Borgmann 14 Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Die Welt ist nicht immer gerecht - eine bittere Erkenntnis für den Jungen, aber auch eine, die Björn Borgmann früh für soziale Belange sensibilisiert. Heute kommen ihm beide Eigenschaften zugute: Reden gehört zu seinem Job. Und ein sicheres Gespür für die Problemlagen anderer auch. "Die Geschäftsführung in Marburg nimmt die Jugendvertretung nicht immer ernst. Das mag manche einschüchtern", sagt Björn Borgmann. Aber weiche Knie? "Die kann man sich abgewöhnen." Beim Abgewöhnen dürfte geholfen haben, dass die Ulla-Aktion - trotz Drohung der Geschäftsführung - nie irgendwelche Konsequenzen für ihn hatte.

"Wenn mir jemand aggressiv kommt, werd ich inzwischen renitent." Dafür dürfte er allein am Uniklinikum Gießen-Marburg Grund genug haben. Seit der Privatisierung 2006 wurden mehr als 300 Stellen kassiert, der Betreiber mache "seine Profite durch das Auspressen der Beschäftigten", wie der Gesamtbetriebsratsvorsitzende, Dirk Gehrke, sagt. Leistungsverdichtung nennt sich, was auf den Stationen in Marburg und Gießen abläuft. "Ich bin kein Fan von Privatisierung, mit kranken Menschen darf man keine Profite machen", sagt Björn Borgmann. "Der Pflegeberuf ist ein schöner Beruf. Aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Das, was man in der Ausbildung lernt, kann man auf Station gar nicht umsetzen. Es fehlt die Zeit für den Patienten. Das nimmt einem die Freude am Beruf."

Mit der Mutter auf Wahlkampftour

Doch mit Schwarz-Weiß-Denken kommt man als JAVler nicht weit, hat Björn Borgmann bald erkannt. Warum nicht mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten, wenn es den eigenen Interessen entgegenkommt? Also hat er sich mit seinen Kollegen und dem Geschäftsführer zusammengesetzt und eine Berufsmesse für den Sommer initiiert. Der Arbeitgeber braucht dringend Nachwuchs. Und der JAV-Vorsitzende will, dass sich die Azubis untereinander vernetzen. Denn nur wer sich kennt, wer weiß, wie es am Arbeitsplatz der anderen aussieht, kann auch an einem Strang ziehen, wenn es mal hakt. "Ich will, dass jemand aus dem Lager des Krankenhauses weiß, dass ein Azubi in der Küche 4 000 Brötchen pro Jahr schmiert." Also hat Björn Borgmann seine Kolleg/innen davon überzeugt, dass es gut ist, wenn ein Kinderkrankenschüler zeigt, wie ein Säugling gehoben werden muss, und eine Krankenschwester demonstriert, wie man einen bettlägerigen Patienten beweglich hält. Das Klinikum hat über 15 Ausbildungsberufe, ist einer der größten Arbeitgeber in der Region.

Politische Arbeit hat er kennen gelernt, als andere noch auf dem Spielplatz tobten. Seine Mutter nahm ihn mit auf Wahlkampftour für die SPD, für die sie sich als einfaches Parteimitglied einsetzte. "Ich bin mit ihr vor der Wahl mit dem SPD-Bus durch Hessen getourt. Sie hat mich grunddemokratisch erzogen und mir beigebracht, wie wichtig es ist, für seine Überzeugungen einzutreten."

Die Arbeit als JAV-Vorsitzender hat ihren Preis. Björn Borgmann lebt allein, "ich sehe meine Wohnung manchmal nur zum Schlafen". Mindestens zweieinhalb Tage reine Sitzungszeit pro Woche, dazwischen Protokolle schreiben und Termine mit Azubis und Arbeitgebervertretern. Wie lange er das durchhält? "Wenn den Leuten gefällt, was ich mache, kann ich, bis ich 25 bin, wiedergewählt werden", sagt Björn Borgmann, ganz der gewiefte Politiker. Später, im Leben nach der Jugend- und Auszubildendenvertretung, wird er vielleicht einmal studieren, allerdings nicht Medizin, wie ursprünglich geplant. "Inzwischen weiß ich, wie undankbar der Job als Assistenzarzt im Klinikum ist." Sozialökonomie, das wäre etwas für ihn. Die Erfahrungen aus dem Betrieb eines Klinikkonzerns mit dem Wissen eines Wirtschaftswissenschaftlers verbinden. Auch einer gewerkschaftlichen Karriere dürfte spätestens dann nichts mehr im Weg stehen.

"Ich habe bei meiner Mutter gesehen, dass man im Leben nicht nur eines macht. Man muss sich den Gegebenheiten anpassen." Sie, die ausgebildete Einzelhandelskauffrau, arbeitete als Filialleiterin, als Hauswirtschafterin bei einer Professorenfamilie, als Kosmetikerin, als Geschäftsführerin. Nun pflegt sie ihren zweiten Mann. Ein gewisser Pragmatismus, dürfte Björn Borgmann gelernt haben, kann im Leben nicht schaden.

"Der Pflegeberuf ist ein schöner Beruf. Aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht."