Ausgabe 01/2010-02
Auf die weiche Tour
Die Datei hatte im firmeneigenen Intranet eigentlich nichts zu suchen. "Streng vertraulich - nur für den internen Managementgebrauch" steht auf jeder der 26 Seiten. Bis jemand das Versehen entdeckte, war es zu spät. War die Datei heruntergeladen, gespeichert und zigmal verschickt. Betriebsratsmitglieder und ver.di-Gewerkschafter wissen seitdem, wie sich die schwedische Modekette Hennes & Mauritz, kurz: H&M, in Deutschland die "Strategien im Umgang mit dem Betriebsrat" vorstellt. Schließlich stehen die Betriebsratswahlen vor der Tür. Doch das vertrauliche Papier weist weit über den Wahltag hinaus.
H&M ist enttäuscht. Wenn sogar Bundespräsident Horst Köhler die Mitbestimmung als einen der großen Vorteile der hiesigen Wirtschaftskultur bezeichnet, "sind von der Regierung keine wesentlichen Veränderungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu erwarten". Man müsse hinnehmen, dass der Einfluss der Gewerkschaft und die starke Position der Betriebsräte nicht geringer würden.
Kurzum: H&M will eine "Richtungsänderung" im Umgang mit den Arbeitnehmervertretern. Bislang war die Modekette bekannt für die Behinderung von Betriebsräten, Beeinflussung der Stimmung in der Belegschaft gegen eine Wahl und für Missachtung der Mitbestimmung, so das Fazit einer Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2006. Nun also ein Kurswechsel? H&M will ab jetzt "neutral" über die Betriebsratswahl aufklären? Von wegen. "Die Firma will die Deutungs- und Informationshoheit in Filialen mit Betriebsrat zurückerlangen", sagt Jan Richter, Betriebsratsvorsitzender einer Berliner Filiale. Das hat er verhindert. Wenn ein Arbeitgeber anstelle des Betriebsrats der Belegschaft erkläre, wie sie ihre Interessenvertretung zu wählen habe, sei das ebenso absurd, als böte die FDP der SPD an, deren Wahlkampf zu übernehmen. Ist ein Betriebsrat nicht mehr zu verhindern, will H&M wenigstens die eigenen Leute im Gremium platzieren. Im Managementpapier liest sich das so: "Spitzel" oder "U-Boote" wolle man nicht installieren, aber "den geeigneten Mitarbeitern Mut machen" zu kandidieren.
Viel Verständnis und bloß keine Wahl
In Filialen ohne Betriebsrat verfolgt H&M eine andere Strategie. Kündigt sich eine Betriebsratswahl an, taucht der WAB auf, der Wahl-Area-Beauftragte, der verständnisvoll nachfragt, was den Mitarbeitern auf dem Herzen liegt, und der Belegschaft anbietet, eine Vertrauensperson zu bestimmen. Ohne Wahl, ohne Betriebsverfassungsgesetz. Die Botschaft: Lasst uns miteinander reden, ein Betriebsrat ist nicht nötig.
Wo das nicht funktioniert, wird zu härteren Mitteln gegriffen. H&M ist bekannt für eine Firmenkultur, in der sich alle duzen und als Teil einer großen Familie begreifen. Doch wehe jemand widersetzt sich dem "Familienoberhaupt" und plant, einen Betriebsrat zu wählen. Sie fühle sich hintergangen, klagt die Vorgesetzte einer Filiale im süddeutschen Raum. Wenn ihr uns hintergeht, können wir das auch, droht sie der Belegschaft, die einen Betriebsrat will. Schließlich zwinge man niemanden, bei H&M zu arbeiten. Die Kollegen haben die Vorbereitung der Betriebsratswahl aus gutem Grund nicht an die große Glocke gehängt. Erst wenn der Wahlvorstand eingesetzt ist, ist er vor einer Kündigung sicher.
Die Vorgesetzten knöpfen sich einen nach dem anderen in Einzelgesprächen vor. Die Folge: Der Wahlvorstand tritt zurück, die Betriebsratswahl ist gescheitert, und der Filialleiter kann wieder nach Gutdünken über Urlaubsplanung, Einsatzzeiten und Überstunden entscheiden.
Einen Kurswechsel sieht Johann Rösch vom Bundesfachbereich Handel bei ver.di nicht. Vielmehr hat H&M zu Papier gebracht, was längst üblich ist. Was sich im vertraulichen Papier als "Prüfung der Erforderlichkeit" liest, ist für Betriebsratsmitglieder das harte Brot des Alltags. "Alles wird in Frage gestellt", sagen Betriebsräte, der Besuch des ver.di-Seminars, der Internetanschluss für den Betriebsrat, die Schulung zum Datenschutz, die Freistellung für das Betriebsratsmitglied. Für jedes Recht müsse man kämpfen und oft bis vor die Einigungsstelle oder das Gericht gehen. Eine Taktik, die Thomas Müssig, Betriebsratsvorsitzender im Distributionslager in Großostheim, so beschreibt: "Das soll uns von den wesentlichen Dingen ablenken." Und zermürben, ergänzt Cosimo-Damiano Quinto, Betriebsratsvorsitzender einer Trierer Filiale und Mitglied des Gesamtbetriebsausschusses. "Nicht selten missachten Filialleiter trotz besseren Wissens die Mitbestimmung."
Ein Grinsen konnte sich manches Betriebsratsmitglied dennoch nicht verkneifen. Vorgesetzte sollten, empfiehlt das Papier, ihre sprachliche Überlegenheit nicht herausstellen, wirtschaftliche Kennzahlen einfach erklären und sich beim Reden an "das Niveau des Betriebsrats anpassen". Öfter sei es allerdings umgekehrt und die Betriebsräte klärten die Filialleiter über Recht und Gesetz auf, sagt Damiano Quinto, der Politik und öffentliches Recht studiert.
Nicht ohne Betriebsrat
Betriebsräte bei H&M brauchen ein dickes Fell. Doch Belegschaften durchschauen die Strategie von H&M immer mehr. In der Wiesbadener Filiale wurde zur Betriebsratswahl eine arbeitgebernahe Liste per Gerichtsbeschluss durchgesetzt. Aber genützt hat es nichts. Vier von fünf Betriebsratsmandaten gingen an die ver.di-Liste. Wie auch das vertrauliche Papier feststellt: "Betriebsräte wird es immer geben."
Hier wird Geld verdient
H&M macht in Deutschland ein gutes Geschäft. Der Nettoumsatz ist um sechs Prozent auf 2,47 Milliarden Euro gestiegen. Deutschland ist das größte Absatzgebiet der schwedischen Modekette, die Läden in 35 Ländern besitzt und rund 74 000 Menschen beschäftigt.
In Deutschland gibt es in 96 von 362 H&M-Filialen Betriebsräte. In weiteren Filialen sind sie geplant. H&M bezahlt nach Tarif.