Ausgabe 10/2010
Sparen und klauen
Die Bundesregierung will an der Weiterbildung von Arbeitslosen sparen. Um die drohende Facharbeiterlücke zu füllen, sollen Qualifizierte aus dem Ausland angelockt werden
von Annette Jensen
An Bildung wird nicht gespart - behauptet die Bundesregierung. Doch dort, wo der Bund das Sagen hat, geschieht genau das. 16 Milliarden Euro sollen in den kommenden vier Jahren bei der Arbeitsförderung abgeknapst werden, hat das Kabinett beschlossen. Treffen wird das absehbar zum Großteil die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitslosen.
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie bisherige Pflicht- in Ermessensleistungen umwandeln will. Im Klartext: Hatten Arbeitslose bisher per Gesetz ein Anrecht auf bestimmte Hilfen, so sollen künftig Mitarbeiter/innen von Arbeitsagenturen beziehungsweise Argen darüber entscheiden, ob das Geld für sie ausgegeben wird. Doch welche Leistungen könnte das überhaupt betreffen? Das Arbeitsministerium mauert, und die Bundesagentur für Arbeit (BA) wurde in die Planungen erst gar nicht einbezogen. "Wir machen da zurzeit nichts. Der Gesetzgeber ist gefragt", so BA-Sprecherin Ilona Mirtschin.
"Es gibt lediglich deutliche Signale, dass im Rehabereich nicht gekürzt wird", berichtet ver.di-Weiterbildungsexperte Roland Kohsiek aus Hamburg. Auch glaubt kaum jemand, dass die Bundesregierung es wagt, die Axt beim Kurzarbeitergeld anzusetzen. Dagegen sind die wenigen noch existierenden Arbeitsbeschaffungs- und fast alle Qualifizierungsmaßnahmen bereits heute so genannte "Kann-Leistungen". Hartz-IV-Empfänger/innen haben in punkto Arbeitsmarkthilfen schon jetzt so gut wie keine gesetzlich verankerten Ansprüche: Sie haben lediglich das Recht auf einen Vermittlungsgutschein sowie Unterstützung, wenn sie einen Hauptschulabschluss nachmachen wollen. Letzteres hat den Staat im ersten Halbjahr gerade einmal 1,7 Millionen Euro gekostet, teilte die Bundesagentur auf Nachfrage mit. Hier ist also de facto so gut wie nichts zu holen.
Gekürzt wird also voraussichtlich bei den mehreren Dutzend Eingliederungsmaßnahmen, die die Arbeitsamtmitarbeiter heute in ihrem Instrumentenkasten haben. Schon in den vergangenen Jahren sind Dauer und Niveau von Bildungskursen gesunken - und das wird sich wohl fortsetzen. "Vom vielbeschworenen Fördern von Erwerbslosen wird dann erst recht nichts mehr übrig bleiben", prognostiziert Sabine Zimmermann, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Nahezu alle Arbeitsmarktexpert/innen sind sich einig, dass Kurzmaßnahmen fast nie dazu beitragen, dass jemand wieder auf dem Arbeitsmarkt Tritt fasst. Umschulungen und qualifizierende Weiterbildungen helfen dagegen längerfristig mehr - doch dafür sind mehr Zeit und Geld erforderlich. Geradezu zynisch klingt die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Bündnisgrünen: "Ziel ist es, Arbeitsmarktinstrumente noch effektiver, effizienter und zielgenauer zu gestalten und die Arbeitsmarktpolitik noch stärker auf eine rasche Eingliederung in Beschäftigung auszurichten."
Mindestlohn abgelehnt
Was künftig in punkto Bildung von Arbeitslosen noch drin ist, soll gegen Jahresende klar werden. In der Branche rechnet man mit 20 bis 35 Prozent weniger Geld für 2011. Schon in den letzten Jahren sind die Honorare der Dozenten immer weiter gesunken. Auch für Akademiker sind geringe Stundensätze, manchmal unter zehn Euro, keine Seltenheit. Die Bundesregierung hat es Anfang Oktober abgelehnt, den Tarifvertrag für Weiterbildungsträger für allgemeinverbindlich zu erklären. Sie sagt, sie sei auch bei öffentlich finanzierten Kursen nicht zuständig.
Während etwa eine Million Langzeitarbeitslose weiter abgehängt werden und noch rund 400000 Jugendliche in Maßnahmen geparkt sind, beschwören die Unternehmen einen drohenden Fachkräftemangel. Um den zu beheben fordern sie, bestimmte Berufsgruppen gezielt aus dem Ausland anzuwerben. Der Arbeitgeberverband verlangt, ein Punktesystem zu entwickeln, um die Nützlichkeit von Arbeitskräften zu bewerten. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat ein "Begrüßungsgeld" für erwünschte Einwanderer in die Diskussion gebracht. "Deutschland nähert sich immer mehr dem US-Modell an: Es wird wenig in die Bildung der eigenen Bewohner investiert und zugleich sollen die Qualifiziertesten aus anderen Ländern abgesogen werden. Das trifft in hohem Maße bereits hier lebende Migranten, die doppelt so häufig arbeitslos sind", beschreibt die für Migration zuständige verdi-Sekretärin Sonja Marko die Entwicklung. Nachgehakt Seite 15