Ausgabe 03/2011
Gegenöffentlichkeit schaffen
Mitgliedernetz, Streik.tv, Kolleginnen.tv - neben der Mitgliederzeitung ver.di PUBLIK stellt ver.di inzwischen auch elektronische Medien für die Kommunikation der Mitglieder bereit
"Finde euer Profilbild so was von klasse!!!" hat die Kollegin Ulli Schell gerade an die Pinnwand von ver.di bei facebook geschrieben. Wenige Sekunden erst war dort das ver.di-Logo durch das Banner zum 100. Internationalen Frauentag ausgetauscht worden, und schon gab es die ersten Reaktionen. Kein Wunder: Über die ver.di-Seiten bei dem Social Network facebook stehen mittlerweile viele tausend Kolleginnen und Kollegen mit der Dienstleistungsgewerkschaft im ständigen Kontakt. Doch nicht zuletzt der Umgang mit dem Datenschutz bei facebook hat bei ver.di die Meinung bestätigt, dass es notwendig ist, auch das eigene Social Network im Internet weiterzuentwickeln. Das mittlerweile um persönliche Bereiche, Profile und Foren erweiterte Mitgliedernetz ist der neueste Baustein in der Mitgliederkommunikation von ver.di. Mit seinen interaktiven Funktionen spiegelt es die Veränderungen in der Medienlandschaft wider, die seit der Gründung der Gewerkschaft vor zehn Jahren stattgefunden haben.
Wider den Zeitgeist
Der Zusammenschluss der fünf Vorgängergewerkschaften 2001 fiel in eine Zeit, in der sich die privaten und öffentlichen Medien überwiegend gegen gewerkschaftliche Grundprinzipien positioniert hatten: Die Zunahme von Konkurrenz und Individualisierung auf dem Arbeitsmarkt wurde wie die zunehmende Privatisierung und Aufspaltung öffentlicher Unternehmen als alternativlos dargestellt. Neoliberale Grundeinstellungen dominierten die Redaktionsstuben und prägten den Zeitgeist. Die Notwendigkeit, eine eigene gewerkschaftliche Gegenöffentlichkeit zu entwickeln, war von Anbeginn der ver.di-Gründung gegeben. Mit der ver.di PUBLIK als professionell gestaltete, fachbereichsübergreifende Mitgliederzeitung wurde dieser Anspruch auch von Anfang an eingelöst.
Im Zuge der technischen Veränderungen eröffneten sich neue Möglichkeiten, auch andere Medien einzubeziehen. Denn die Perspektiven und Interessen von Beschäftigten und Streikenden wurden auch in den gebühren- oder werbefinanzierten Fernsehprogrammen nur allzu oft übergangen. So entstand 2007 bei ver.di das STREIK.TV als eigenes Fernsehformat im Internet, das jeden Montag über die zunehmenden Arbeitskämpfe informiert. Dazwischen können die bereits fertig gestellten Beiträge online geschaut werden. Aktive sind aufgefordert, selbst die Kamera in die Hand zu nehmen und eigene Beiträge einzureichen, KollegInnen.tv nennt sich dieses neue Format bei STREIK.TV. Gerade dieser beteiligungsorientierte Ansatz spiegelt eine Entwicklung wider, die die gesamte Medienlandschaft erfasst hat. Große Medienkonzerne können die öffentliche Meinung nicht mehr in einer Weise bestimmen, wie dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.
Jeder Mensch mit Zugang zum Internet und einer Kamera kann ein Ereignis heute dokumentieren und über neue online-Kanäle wie facebook und you tube verbreiten. Wenn dies tausendfach geschieht, kann damit eine Dynamik ausgelöst werden, die politische Verhältnisse in ihren Grundfesten erschüttert, wie man es gerade in Nordafrika erlebt. Diese technischen Möglichkeiten der Einbeziehung jedes Einzelnen werden auf lange Sicht wohl auch die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen verändern und zu einer neuen Form der Meinungsbildung "von unten" beitragen. ver.di ist mit der Schaffung eigener interaktiver Angebote auf einem guten Weg, diese Demokratisierung von Öffentlichkeit mit zu befördern.
Romin Khan