Thilo Weichert ist der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein

ver.di PUBLIK | Bei der letzten bundesdeutschen Volkszählung 1987 hat es heftige Proteste gegeben. Diesmal ist es relativ ruhig. Worauf führen Sie das zurück?

THILO WEICHERT | Zunächst mal sind Konsequenzen aus den Erfahrungen der 1980er Jahre gezogen worden. Das Gesetz sieht vor, dass zwischen Statistik und Verwaltung getrennt wird. Die Ratschläge des Bundesverfassungsgerichts wurden umgesetzt, der Fragebogen wurde abgespeckt auf weitestgehend notwendige Fragen. Es werden nur noch zehn Prozent der Bevölkerung über die Stichprobenerhebung erfasst.

Außerdem muss man ganz klar sehen, dass der Widerstand gegen die Volkszählung in den 1980er Jahren auch ein Widerstand gegen die damals geplanten Sicherheitsgesetze und die Innenpolitik generell gewesen ist. Heute hat das Datenschutzbewusstsein zwar massiv zugenommen, aber es hat sich auf andere Bereiche verlagert. Bedenken gibt es eher bei privater Datenverarbeitung durch Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple. Im öffentlichen Bereich richtet sich die Kritik eher gegen die Sicherheitsgesetze und nicht so sehr gegen statistische Erhebungen.

ver.di PUBLIK | Hat sich die Sensibilität im Umgang mit den eigenen Daten in den vergangenen 25 Jahren verändert?

WEICHERT | Die Konfrontation mit dem Internet hat viele Menschen dazu gebracht, sich genauer zu überlegen, was tatsächlich mit ihren Daten passiert. Ein großer Teil der Bevölkerung geht relativ freigiebig mit seinen Daten um. Das war in den 1980er Jahren sicher auch so. Heute hat das zur Folge, dass sich diese Menschen bei Facebook unter Umständen völlig nackt ausziehen. Aber ich würde nicht sagen, dass das repräsentativ für die Bevölkerung insgesamt ist. Es ist ein Zeichen dafür, dass heute in der Informationsgesellschaft mit persönlichen Daten anders umgegangen wird.

ver.di PUBLIK | Ist ein Zensus 2011 überhaupt nötig?

WEICHERT | Meines Erachtens gibt es in der Zwischenzeit hinreichend gesicherte Datenbestände in der Verwaltung und in der Wirtschaft, die Planungsgrundlagen abgeben können. Ich glaube, dass man heutzutage auf eine Vollerhebung verzichten könnte, eine reine Registerauswertung würde ausreichen. Dass es trotzdem in Deutschland anders praktiziert wird, liegt an entsprechenden Vorgaben der Europäischen Union. Offensichtlich ist das Vertrauen der Politik insbesondere in die Verwaltungsdaten noch nicht so groß.

ver.di PUBLIK | Sie sagen, die benötigten Daten könnten durch Abgleich der vorhandenen ermittelt werden. Warum weiß man dennoch nicht, wie viele Menschen wo in Deutschland leben?

WEICHERT | Es wird immer wieder von Seiten der Verwaltung vorgetragen, dass die Melderegister nicht zuverlässig genug seien. Hintergrund ist, dass Kommunen versuchen, möglichst viele Menschen in ihren Melderegistern zu führen. Dann bekommen sie über den Finanzausgleich Geld für sie. Das hat in der Vergangenheit zu einer Verzerrung in den Melderegistern geführt. Durch Datenabgleichsverfahren, die mittlerweile praktiziert werden, und eine Qualifizierung der Melderegister trifft das heute nicht mehr so zu. Man sollte mehr Wert darauf legen, dass die Melderegister sauber geführt werden, als dass man jetzt so eine Ausweichaktion in Sachen Statistik betreibt. Register, die insbesondere auf Leistungsbezug ausgerichtet sind, also zum Beispiel von Rentenversicherungen oder der Bundesagentur für Arbeit, sind sehr valide.

ver.di PUBLIK | Im Zensus wird auch nach der Form der Partnerschaft, Religionszugehörigkeit und Migrationshintergrund gefragt. Ist das Ihrer Meinung nach nötig?

WEICHERT | Es gibt einige Fragen, die so nicht im Katalog der EU vorgesehen sind, insbesondere die Frage zur Religionsgemeinschaft oder zum Migrationshintergrund zurück bis ins Jahr 1955. Ich halte diese Fragen für überflüssig. Dass man wissen möchte, wie viele Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland wohnen, ist für mich vielleicht nachvollziehbar, aber nichts anderes als eine Neugierde, die hier befriedigt werden kann.

ver.di PUBLIK | Kann ich denn davon ausgehen, dass die Regierung und die Statistischen Landesämter mit meinen Daten sorgsam umgehen?

WEICHERT | Davon muss man ausgehen, weil das der gesetzliche Auftrag der Statistischen Ämter ist. Was die Abschottung der Erhebungsstellen und den sicheren Umgang mit den Erhebungsbögen in den kommunalen Erhebungsstellen angeht, bin ich nicht ganz so frohgemut. Da stellen wir sehr unterschiedliche Herangehensweisen fest, zwischen akribischer Haltung und Laissez-faire. Das muss man abwarten. Die Aufbewahrungszeit der identifizierenden Daten der Gezählten ist sehr lang. So lange aber diese Daten wirklich abgeschottet im Statistik-Bereich bleiben, habe ich nicht die ganz große Befürchtung, dass damit Schindluder getrieben wird.

Interview: Heike Langenberg

"Ich glaube, dass man heutzutage auf eine Vollerhebung verzichten könnte, eine reine Registerauswertung würde ausreichen."