Der Auftritt von Lars Schlecker bei 50 Betriebsrätinnen war ein starkes Signal. Es war der erste persönliche Kontakt zur Geschäftsleitung in 16 Jahren. Ein Bericht von der Gesamtbetriebsratssitzung in Oberhof

Gruppenbild auf der Hotelterrasse. Versammlung des Schlecker-Gesamtbetriebsrates, eine Woche nach Bekanntwerden der Insolvenz

Rund sechsmal im Jahr haben sich die 47 Betriebsrätinnen und drei Betriebsräte bisher im thüringischen Oberhof zur Gesamtbetriebsratssitzung getroffen. Für mehr als einen Blick in die Landschaft des Skigebiets hat immer schon die Zeit gefehlt; heute aber mag sich erst recht niemand den glitzernden Schnee ansehen. Was draußen los ist, spielt keine Rolle. Zu aufgewühlt sind die Schlecker-Beschäftigten, weil sie nicht wissen, ob sie im April noch Arbeit haben. Es ist der zweite Sitzungstag, und alles steht unter dem dunklen Vorzeichen der Schlecker-Planinsolvenz. Immerhin, eine solche setzt den Willen voraus, das Unternehmen und die Arbeitsplätze zu retten, anstatt es zu filetieren und zu verkaufen, wie es bei einer Regelinsolvenz der Fall wäre.

Christel Hoffmann, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, Barbara Cybard, Vizechefin des Gremiums, Anwalt Rüdiger Helm und Achim Neumann von ver.di (v. li.)

Der Konferenzraum des einer Skischanze nachempfundenen Hotels von 1969 wirkt wie die Schlecker-Läden: aus alten Tagen übriggeblieben. Gleich um neun Uhr geht es los mit der Tagesordnung; es wird diskutiert, wer in den Lenkungsausschuss geschickt wird, und wer vom Personalplanungsausschuss in den Gläubigerausschuss geht, um die Mitbestimmung zu erhalten. Das ist erstmal Antrags-Kleinklein, es wird konzentriert argumentiert, dann abgestimmt. In Nebensätzen kommt immer mal wieder die Sprache auf den gestrigen Besuch von Unternehmersohn Lars Schlecker.

Von jetzt an gemeinsam

Tatsächlich war es der Spross von Kaufmann Anton Schlecker, der zum ersten Mal um einen persönlichen Austausch mit seinen Beschäftigten gebeten hatte. Jetzt, wo das Porzellan zerschlagen ist. Neben dem Auftritt des Insolvenzverwalters Arndt Geiwitz, der die Einbeziehung der Schlecker-Betriebsrätinnen im Insolvenzverfahren ankündigte, und den Erläuterungen der Agentur für Arbeit über die weitere Verfahrensweise war sein Auftritt das wichtigste Signal für die Beschäftigten.

Britta Schröder, 43, aus Schwerin

"Also, ich habe gestern Abend unsere Kollegen aus der Filiale angerufen und allen gesagt, dass unser Arbeitgeber tatsächlich ein Gesicht hat, das wir ja vorher nur von Fotos in den Büros kannten, die ganz, ganz alt sind. Er hätte viel früher kommen müssen, aber dass er sich gestern - wie er sagt - getraut hat, zu kommen, fand ich toll und ich glaube ihm, dass er sehr bedrückt ist in dieser ganzen Situation", gibt Britta Schröder aus der Filiale Wittenförden in Schwerin die Stimmung wieder. Die empathische Sicht auf den Unternehmersohn erstaunt, denn, so sagt auch Britta, "viel Unschönes ist passiert in den letzten Jahren".

Gabi Wittig, 51, aus Dortmund

Davon kann Katja Deusser aus Darmstadt wie ihre Kolleginnen landauf, landab einige Lieder singen: "Das Allerschlimmste waren natürlich die Arbeitsbedingungen. Alles, was wir bisher erreichen konnten, haben wir hart erkämpft. Der Arbeitgeber war zu keiner Zeit bereit, Konflikte mit uns einvernehmlich zu lösen, das ist immer nur durch Druck entstanden."

Trotzdem, es nützt ja alles nichts. Tausende Arbeitsplätze von Frauen sind akut bedroht, da sagt auch Christel Hoffmann, die Vorsitzende des Schlecker-Gesamtbetriebsrats, GBR: "Ich bin der Meinung, wir dürfen die Vergangenheit nicht mehr so sehr in den Vordergrund rücken, sondern müssen jetzt, in der Phase der Insolvenz, Entscheidungen für die Zukunft treffen. Und oberstes Gebot ist es halt, die Arbeitsplätze zu erhalten. Mit Herrn Geiwitz als Insolvenzverwalter haben wir wirklich eine Vertrauensperson, und ich denke mal, das passt."

Signal für den gesamten Discounthandel

Katrin Wegener, 40, aus Berlin

Marlies Ausmeier, 60, aus Trier

Zu den Errungenschaften der Schlecker-Beschäftigten zählen nach 16 Jahren 12.000 ver.di-Organisierte und 183 Betriebsräte, es gelten Tarifverträge. Sie konnten im Jahr 2010 erfolgreich die Leiharbeit bekämpfen und die Schlecker XL-Läden kamen in die Tarifbindung des Einzelhandelstarifvertrags Baden-Württemberg. Soziale Standards, mit denen ein Unternehmen wie Schlecker wuchern könnte - und müsste, gerade in dieser Situation, wie ver.di-Unternehmensbetreuer Achim Neumann betont. "Im Management hat man kapiert, dass unethisches Verhalten in die Insolvenz führen kann, dass es die Kunden aus dem Laden treibt", ergänzt ver.di-Anwalt Rüdiger Helm. Im Umkehrschluss bedeute das, "wenn ich ethisch wirtschafte, kann ich die Kunden wiedergewinnen, die ich mit unethischem Verhalten vergrault habe". Unterm Strich sei es sogar gut, dass das Unternehmen jetzt in die Insolvenz gegangen sei. Zu hart sei der Eiertanz um Filialschließungen für die Beschäftigten gewesen. "Die Auseinandersetzungen waren ja gewaltig", so Helm weiter, "vor allem die Auseinandersetzungen um die Leiharbeitsfirma Meniar. Selbst Ministerin von der Leyen fand Leiharbeit plötzlich doof. Na ja, ein blindes Huhn trinkt auch mal einen Korn."

Jutta Just, 58, aus Hachenburg

Unbedingt als eine Erfolgsgeschichte sei es zu werten, dass die Beschäftigten soziale Ungerechtigkeiten nicht akzeptiert hätten, und die Kunden auch nicht. "Und wenn das Unternehmen dann zu so etwas wie Fair Trade übergeht, dann hat es nicht nur kein Problem, seine Kunden wiederzukriegen, dann ist das ein Signal für den gesamten Discounthandel. Und das ist unsere Chance. Deshalb lohnt es sich, um Schlecker zu kämpfen", erläutert der Anwalt.

Katja Deusser, 39, aus Darmstadt meldet sich zu Wort

Substanz ist genug da

Achim Neumann greift diesen Punkt auf und wendet sich noch einmal an die Betriebsrätinnen. Er spricht aus, was allen hier den Schlaf raubt: "Wir alle schreiben mit diesem Kampf um Schlecker ein Stück Wirtschaftsgeschichte! Aber noch sind wir da nicht durch. Es wird hunderte von Schließungen geben, es wird mit Sicherheit tausende von betriebsbedingten Kündigungen geben. Das wird extrem hart! Da müssen wir durch. Ich kann nur hoffen, dass die Konzernlenker aus diesem Prozess gelernt haben, dass unwürdiges Verhalten gegenüber Mitarbeitern ein Unternehmen in den Abgrund reißt."

Sandra Schumacher, 37, aus Rostock

Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz muss jetzt bis spätestens Ende März ein Gutachten für das Insolvenzgericht in Ulm erstellen. Er wird einen Fortführungsplan erarbeiten, aus dem hervorgeht, wie die Schlecker-Kette weiter bestehen bleiben kann. Das Unternehmen könne fortgeführt werden, so der Verwalter, denn Substanz sei genug da.

Bis einschließlich März werden die Gehälter der Beschäftigten weiter aus dem Insolvenzgeld gezahlt. In den nächsten Wochen werden sich die Betriebsrätinnen in das komplexe Insolvenzrecht einarbeiten, um von den inzwischen nur noch 28.000 Arbeitsplätzen zu retten, was noch zu retten ist.

Auf einen Blick

Derzeit hat Schlecker noch rund 28.000 Mitarbeiter/innen. Die überwiegende Zahl der Betroffenen sind Frauen. Noch bis März wird ihr Gehalt aus dem Insolvenzgeld von der Agentur für Arbeit gezahlt. Bei Filialschließungen sind auch die Betriebsrät/innen von betriebsbedingten Kündigungen bedroht.

Schwer getroffen sind die Kolleg/innen aus den betriebsratslosen Bezirken. Sie werden gebeten, sich mit dem GBR-Büro in Verbindung zu setzen, wo die aktuellen Informationen aus den Betriebsratsbezirken und den Regionalversammlungen zusammenlaufen.

Der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz wird bis spätestens Ende März ein Gutachten für das Insolvenzgericht in Ulm erstellen. Die Schlecker-Betriebsrätinnen und ver.di will er eng in das laufende Insolvenzverfahren einbeziehen. Außerdem wird ein Fortführungsplan erarbeitet, aus dem hervorgeht, wie Schlecker weiter bestehen kann. Dass das Unternehmen fortgeführt werden kann, ist für Geiwitz sicher, Substanz sei genug da. Auch bei diesem Prozess dringen die Betriebsrätinnen auf Mitbestimmung.