Ute Brutzki ist Leiterin des ver.di-Projekts "Gute Arbeit durch betriebliche Gleichstellungspolitik"

ver.di PUBLIK | Worum geht es in dem neuen Branchenreport?

Ute Brutzki | Er zeigt, wie es Frauen im Einzel- und Großhandel in ihrem beruflichen Alltag geht. Wir haben den DGB-Index "Gute Arbeit" ausgewertet und gemeinsam mit der Beratungsfirma "Wertarbeit" Arbeitsdirektorinnen und Vorsitzende von Gesamtbetriebsräten befragt - nach Arbeitszeit und Aufstiegschancen, Löhnen und anderem.

ver.di PUBLIK | Für wen ist der Bericht gedacht?

Brutzki | Für alle, die die Branche mitgestalten - Betriebsräte, Gewerkschafterinnen, Tarifkommissionen, Ehrenamtliche. Aber auch für Kundinnen.

ver.di PUBLIK | Zu welchen Ergebnissen seid Ihr gekommen?

Brutzki | Ein Schwerpunkt ist das Thema Ausbildung und Qualifikation. Im Gegensatz zum verbreiteten Klischee ist den Beschäftigten in der Branche ihre solide Berufsausbildung sehr wichtig. Es ist eben nicht so, wie manche glauben: "Verkaufen kann doch jeder." Und die Frauen im Handel wissen das. Bundesweit haben in der Gesamtwirtschaft nur 73 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine abgeschlossene Ausbildung, bei den Frauen im Handel sind es 80 Prozent.

Festgestellt haben wir auch, dass nur lächerliche 19,5 Prozent der Führungskräfte in der Branche weiblich sind, dabei wäre der Handel als ideales Modell geeignet, um mehr Frauen als Vorgesetzte einzusetzen. Das muss ver.di einfordern - Regelungen dafür sollten über Betriebsvereinbarungen verhandelt werden. Gut ist, dass von den Führungskräften viele aus den Unternehmen selbst gewonnen werden. 65 Prozent von ihnen haben im Einzelhandel als Grundlage für die Führungsaufgaben eine dreijährige Berufsausbildung. In der gesamten Privatwirtschaft sind es gerade mal 34 Prozent.

ver.di PUBLIK | Wie steht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Branche?

Brutzki | Schlecht. Es gibt nur wenige betriebliche Vereinbarungen, die sich damit befassen, und - noch schlimmer - kaum Fortschritte. Seit 2008 stagniert die Entwicklung. Wir brauchen mehr Angebote für die betriebliche Kinderbetreuung und bessere Arbeitszeitregelungen, gerade bei den langen Arbeitszeiten in vielen Läden. Es gibt zwar in Bayern, Brandenburg und Baden-Württemberg einzelne Tarifverträge, die besondere Arbeitszeiten für Beschäftigte mit familiären Pflichten ermöglichen, aber da geht es um die Betreuung kleiner Kinder in der Familie; die Pflege von Angehörigen wird nicht berücksichtigt. Und die Zahl von Betriebsvereinbarungen zur Vereinbarkeit und Chancengleichheit nimmt sogar ab. In mehreren Unternehmen, so beim Pharmagroßhandel ANZAG, hatten wir schon unterschriftsreife Betriebsvereinbarungen, aber im letzten Moment sind die Unternehmen zurückgeschreckt und haben doch nicht unterschrieben. Das muss sich ändern.

ver.di PUBLIK | Und die Arbeitszeit?

Brutzki | Mehr als ein Drittel der Frauen - 31 Prozent - im Einzelhandel sind nur geringfügig beschäftigt. Nur noch 43 Prozent der Beschäftigten haben sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen. Damit sind sie zur Minderheit geworden. Das hat nichts mehr mit guter Arbeit zu tun.

ver.di PUBLIK | Welcher Branchenreport folgt als nächster?

Brutzki | Im Juni erscheint der Report über die Frauen im Fachbereich Ver- und Entsorgung, im September folgt der Bereich Finanzdienstleistungen.

Interview: Claudia von Zglinicki

Festgestellt haben wir auch, dass nur lächerliche 19,5 Prozent der Führungskräfte in der Branche weiblich sind, dabei wäre der Handel als ideales Modell geeignet, um mehr Frauen als Vorgesetzte einzusetzen