Ausgabe 02/2012
Fragen Sie Dr. Quentin
Mit der Arbeit für die Gewerkschaft ist es wie mit dem Alkohol - auf das richtige Maß kommt es an, besonders bei Ärger und Verdruss
Dr. Stephan Quentin (48) ist der betreuende Betriebsarzt von ver.di. Er ist seit 19 Jahren Allgemeinmediziner und hat in den Townships von Kapstadt, in England und Schottland praktiziert. Mit seiner holländischen Frau hat er drei Kinder. Einmal im Monat hält Dr. Quentin in der ver.di-Bundesverwaltung seine Sprechstunde für Haupt- und Ehrenamtliche. Darüber hinaus berät er ver.di in Fragen des Arbeitsschutzes und der Medizin.
ver.di PUBLIK | Herr Doktor, ist im Alter die Arbeit für die Gewerkschaft eigentlich noch gesund?
Dr. Quentin | Das wichtigste Prinzip im Alter ist Aktivsein. Aktiv ist immer besser als passiv. Und die Gewerkschaftsarbeit stärkt die Eigenaktivität, darum kann ich das nur empfehlen. Etwas anderes ist es, wenn ich im Alter nur deshalb in der Gewerkschaft bleibe, weil ich glaube, ohne Stress nicht mehr leben zu können. Es sollte mehr darum gehen, seine Lebenserfahrungen mit einzubringen. Dann gehen auch der Gewerkschaft diese tiefgehenden Erfahrungen nicht verloren.
ver.di PUBLIK | Aber Engagement resultiert ja - auch bei Senior/innen - oft aus Verärgerung. Über die Zustände im Land oder über den Abbau alter arbeitsrechtlicher Errungenschaften.
Dr. Quentin | Man kann generell sagen, dass alles, was die Leute zum Engagement bewegt, was sie sozial einbezieht und geistig herausfordert, sie gesund erhält und gerade dem Frust vorbeugt. Da ist vor allem eine gelassene Haltung wichtig, und unter welchen Umständen man sich engagiert.
ver.di PUBLIK | Was heißt das konkret?
Dr. Quentin | Das Problem im Alter ist die soziale Isolierung und das Nichtgebrauchen seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Fähigkeiten, die man nicht benutzt, verkümmern im Alter besonders. Deshalb rate ich zu allem, was ältere Menschen in einen Tätigkeitszusammenhang setzt. Sie dürfen sich nur nicht übernehmen.
ver.di PUBLIK | Wir müssen uns also um unsere ver.di-Senioren keine Sorgen machen?
Dr. Quentin | Nein. Ein ganz wichtiger Aspekt im Alter ist doch, sein Leben so lange selbstbestimmt zu führen wie möglich. Lassen Sie sich bloß nie sagen: "Dafür bist du zu alt!" Ich muss im Alter halt einschätzen, wo ich sinnvoll etwas beitragen kann und wo ich akzeptieren muss, dass das jetzt zu anstrengend ist.
ver.di PUBLIK | Zum Beispiel eine lange und laute Demo?
Dr. Quentin | Nein, da sollen die mal ruhig hingehen. Viele ver.di-Senioren wandern ja auch gern, und die frische Luft ist allemal für Körper und Geist gesund.
ver.di PUBLIK | Wie sieht es dann mit den regelmäßigen ver.di-Seniorentreffen in der lokalen Kneipe aus? Gesund oder eher nicht?
Dr. Quentin | Nun ja, es kommt darauf an, wie viel da getrunken wird. Man muss sich klarmachen, der alternde Körper geht schwerer mit dem Alkohol um. Das Treffen in der Kneipe ist sozial natürlich sehr schön, aber nicht zu vergleichen mit frischer Luft. Also: Das Trinken ist nur in Maßen gesund.
Interview: Jenny Mansch
Man kann generell sagen, dass alles, was die Leute zum Engagement bewegt, was sie sozial einbezieht und geistig herausfordert, sie gesund erhält und gerade dem Frust vorbeugt