Stephan Sievert hatte Angst, sein Publikum zu enttäuschen. "Alt, aber glücklich", der Titel der Studie, die er an diesem Abend in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin erstmals vorstellte, sei womöglich missverständlich. Angesichts des doch nicht unerheblichen Anteils ergrauter Frisuren im Auditorium eröffnete der Forscher seinen Einführungsvortrag mit der Klarstellung, die von ihm erstellte Untersuchung sei leider "keine Anleitung zum Glücklichsein im Alter".

Die Studie, die Sievert zusammen mit seinem Ko-Autoren Reiner Klingholz für das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung verfasst hat, versucht stattdessen die im Untertitel gestellte Frage zu ergründen: "Führt eine schrumpfende und alternde Bevölkerung zu weniger Wohlstand?" Und kommt zu der Antwort: Jein. Denn zwar seien sich alle Wissenschaftler einig, dass die demografische Entwicklung in Deutschland für bestenfalls minimale Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts sorgen wird. Aber weil das individuelle Wohlbefinden nicht allein vom ökonomischen Wohlstand abhängt, könne die Gesellschaft nach einem erfolgreichen Umbau trotzdem eine glücklichere sein. Zwar leidet der Mensch an Arbeitslosigkeit sogar mehr als unter einer Scheidung, aber aktive Menschen mit sozialen Kontakten und einer Aufgabe bleiben auch im Alter zufrieden.

Eine neue Arbeitskultur braucht das Land

Moderator Ralf Fücks, als Vorstand der Böll-Stiftung Gastgeber der Veranstaltung, verglich in seiner Einleitung "die Dramatik des demografischen Wandels", in dem wir uns bereits befinden, mit der "der ökologischen Herausforderung". In ihrer Folge beobachte er eine "Renaissance der Wachstums-Debatte", die schließlich sogar "bis zur Veränderung unserer Lebenskultur" führen könne, ja vielleicht sogar müsse. Die Studie stellt fest: Die Deutschen werden immer älter, aber auch immer gesünder. Nun ist es die Aufgabe der Politik, die Gesellschaft so umzubauen, dass die Alten ihre Erfahrung einbringen können, die Jungen aber genug Raum haben, weiter innovativ zu sein. Dazu braucht es eine neue Arbeitskultur, fortschrittliche Arbeitszeitmodelle und ein generelles gesellschaftliches Umdenken.

Auch auf dem Podium war man sich bei der anschließenden Diskussion einig: Der uns bevorstehende Wandel birgt Risiken, aber auch Chancen. "Die nächsten 30, 40 Jahre sind die kritische Phase des demografischen Wandels", so Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts. Kerstin Andreae warnte: "Das Versprechen Wachstum gleich Wohlstand funktioniert nicht mehr." Die stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion empfahl den Babyboomern, sich schon mal an den Gedanken zu gewöhnen, im Alter mit weniger auszukommen, aber sah die Gelegenheit "die Qualität des Wachstums" zu verbessern. Nun ja. Und Michael Müller, SPD-Politiker und bis 2009 Staatssekretär im Umweltministerium, glaubt: "Wir haben große Chancen, diesen Prozess positiv zu gestalten."

Potential der Alten besser nutzen

Dazu müsste aber, so Fücks, "das enorme Potential einer gut gebildeten, gesunden und unternehmungslustigen älteren Bevölkerung" besser genutzt werden. Schlagworte, die fielen, waren einmal Teilzeit und Lebensarbeitskonto, was auch die ver.di-Experten seit langem empfehlen. Wie die Gewerkschaft raten auch die Autoren der Untersuchung zur Schaffung "altersgemischter Teams", weil die "gerade wegen der unterschiedlichen Begabungen und Herangehensweisen bessere Ergebnisse erzielen als homogene". Müller forderte "ganz anders in Bildung und Ausbildung zu investieren, als wir das bisher tun". Das Publikum ging zwar nicht eben restlos glücklich, aber knapp zwei Stunden älter nach Hause. ́ß Thomas Winkler