Im Februar 2013 wollte Wolfgang Zeh mit 64 Jahren in Rente gehen. Vier Jahre Altersteilzeit, zwei Jahre arbeiten, zwei Jahre vorzeitiges Frei, damit sollte sein Arbeitsleben nach 45 Jahren enden. Doch dann kam alles anders. Heute schreibt er wieder Bewerbungen

Von Heike Langenberg

Über die Insolvenz der Firma Honsel wurde schon lange gemunkelt. Immer wieder neue Finanzinvestoren hatten sich seit 1999 über den Familienbetrieb hergemacht. Er produziert an verschiedenen Orten im Sauerland Gussteile für die Automobilindustrie. Hinzu kam der Konjunktureinbruch im Jahr 2009, ein Desaster für die Automobilindustrie. "Letztlich gehörte uns nicht einmal mehr das Metall, das auf dem Hof stand", erinnert sich Wolfgang Zeh, der das Qualitätswesen des Honsel-Walzwerks in Meschede geleitet hat.

Doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits entschlossen, nach fast 45 Jahren vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen: Am 1. Februar 2010 begann die passive Phase seiner Altersteilzeit. Die zwei Jahre zuvor hatte er Vollzeit gearbeitet, um die folgenden zwei Jahre frei zu haben. Im Gegenzug hatte die Firma seine halben Bezüge auf 82 Prozent aufgestockt. Wolfgang Zeh ist keiner, der unüberlegt handelt. Und mit Renten kennt er sich aus, ist seit 25 Jahren Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung Bund und Mitglied des Rentenausschusses der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. Arbeitslos werden wollte der Mann mit dem grauen Stoppelhaar auf keinen Fall. Daher verzichtete er darauf, für eine entsprechende Abfindung erst in die Arbeitslosigkeit und dann in Rente zu gehen. Im Ruhestand wollte er Ruhe haben, in seinem gewerkschaftlichen und sozialen Engagement kürzer treten. Und mit seiner Frau nach Hawaii reisen. Aber es kam anders.

Plötzlich nicht mehr zahlungsfähig

Als Honsel im Oktober 2010 endgültig Insolvenz angemeldet hatte, wähnte Wolfgang Zeh sich noch auf der sicheren Seite. Das Altersteilzeitgesetz verpflichtet die Arbeitgeber immerhin, die vorgearbeiteten Bezüge der Altersteilzeitler vor einer Firmenpleite abzusichern.

Dieses Gefühl der Sicherheit hielt bis zum 20. Dezember 2010. Formlos hatte der Insolvenzverwalter die 56 Altersteilzeitler in der passiven Phase in die Firma gebeten. "Zwei Sachbearbeiter der Personalabteilung saßen dort, gemeinsam mit zwei Männern im dunklen Anzug und zwei weiteren Personen, die wir nicht kannten", erinnert sich der heute 63-Jährige. Die Sachbearbeiter erklärten, die insolvente Firma sei nicht in der Lage, ab Januar wieder das Gehalt zu zahlen. Von Oktober bis Dezember war die Bundesagentur für Arbeit mit dem Insolvenzgeld eingesprungen, aber das ist auf drei Monate befristet. Die beiden Anzugträger sprachen im Namen des Insolvenzverwalters, auch er könne sie nicht weiter bezahlen.

Jetzt machte sich Unruhe im Saal breit. Ja, wer zahlt denn dann? Die beiden Unbekannten stellten sich als Vertreter der örtlichen Arbeitsagentur vor. Sie könnten zahlen, aber nur, wenn sich die Männer arbeitslos melden. Dafür war alles vorbereitet. 56 Aufhebungsverträge lagen ebenso bereit wie 56 Anträge auf Arbeitslosengeld. Eine Unterschrift hier, eine Unterschrift dort und die Männer waren zum 1. Januar 2011 nicht mehr in Altersteilzeit, sondern arbeitslos. "Mir war die Aussichtslosigkeit sofort klar", sagt Wolfgang Zeh und unterschrieb. Schnell, aber nicht ohne Emotion. "Ich bin ein abgebrühter Hund, aber das ging mir nah." Noch heute muss der sonst so besonnen wirkende Mann schlucken, wenn er von diesem Tag erzählt.

Ein Schnäppchen für spätere Chefs

Vorbei war es mit dem Ruhestand, vier Tage vor Weihnachten. Jetzt kreisten seine Gedanken um die Frage, wie es weitergehen soll. Wie hoch wird das Arbeitslosengeld? Was haben wir im Rahmen der Insolvenz zu erwarten? Fragen, bei denen auch Wolfgang Zeh mit seinem Latein am Ende war. Denn der Fall ist speziell. Honsel hatte, wie vorgeschrieben, die vorgearbeitete Arbeitszeit von Zeh vor Insolvenz gesichert. Das schützt aber nur einen Teil der monatlichen Bezüge. Dieses Geld wurde den Männern im April 2011 in einer Summe ausgezahlt. Der Betrag jedoch, mit dem die Firma Honsel das halbe Gehalt auf 82 Prozent aufstockt, hätte Monat für Monat gefehlt.

"Ich bin ein abgebrühter Hund, aber das ging mir nah"

Stattdessen erhalten die Männer für 24 Monate Arbeitslosengeld. Die Arbeitsagentur verzichtete darauf, wegen der Aufhebungsverträge die sonst übliche Sperrzeit aufzuerlegen. Allerdings: Die ehemaligen Fast-Rentner müssen wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Das bedeutet für Wolfgang Zeh maximal drei Wochen Urlaub im Jahr, Meldepflichten und mindestens drei Bewerbungen pro Monat schreiben.

Jetzt liest er wieder den Stellenteil in der Tageszeitung, bewirbt sich bei ehemaligen Kunden. Aussichtslos ist das nicht. "Ich kann Qualitätsmanagement, Arbeitssicherheit, Umweltschutz", sagt er. Damit sei er gefragt, auch mit 63 Jahren. 37 Bewerbungen hat er bis Ende Februar in seiner akribisch geführten Liste notiert. Vier Vorstellungsgespräche hat er schon gehabt, zwei telefonische, zwei persönliche. "Da wurde ich dann von einem 35-Jährigen gefragt, warum ich nicht noch bis 67 arbeiten wolle", sagt er. Für einen zukünftigen Arbeitgeber ist er ein Schnäppchen, das ist ihm klar. Der neue Chef müsste ihm nur so viel zahlen, dass er netto auf denselben Betrag wie sein Arbeitslosengeld kommt. So etwas definiert die Arbeitsagentur als "zumutbar".

Rückwirkend betrachtet, würde sich Wolfgang Zeh nicht noch einmal für Altersteilzeit entscheiden, schon gar nicht in einem kriselnden Unternehmen. Auch wenn er bislang ohne große finanzielle Verluste davongekommen ist. Er warnt davor, sich mit dem Eintritt in die passive Phase sicher zu fühlen. Dabei denkt er an einige seiner Kollegen, die ein längeres Altersteilzeitmodell gewählt hatten: Drei Jahre vorarbeiten und drei Jahre vorzeitiges Frei. Doch für langjährig Versicherte wird das Arbeitslosengeld nur zwei Jahre lang gezahlt, danach droht Hartz IV. Kollegen mit Migrationshintergrund wiederum wollten ihren Ruhestand in ihrem Heimatland verbringen. Sie mussten wieder zurück nach Deutschland kommen. Für ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld müssen auch sie dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Heute würde er es anders machen

Es ist die Unsicherheit, die Wolfgang Zeh quält, die Frage, ob er noch mal Arbeit findet, und wenn ja, wie lange er dann noch arbeiten muss. Er hofft, dass er am 1. Januar 2013 endgültig in Rente gehen kann. Wolfgang Zeh lehnt sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und sortiert die Akten, in denen er die Details seines neuen Lebens abheftet. Er hat sich mittlerweile mit der neuen Situation arrangiert, auch wenn das eine Weile gedauert hat: "So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber das Leben hält halt dauernd Überraschungen bereit."

Für seinen ehemaligen Arbeitgeber hat sich im Juli 2011 ein neuer Investor gefunden. Die Konjunktur ist bereits kurz vor der Insolvenz wieder angesprungen, die Geschäfte laufen gut. Jede Hand wird gebraucht. Arbeitslos geworden sind durch die Insolvenz nur die ehemaligen Altersteilzeitler.

Wolfgang Zeh, Jahrgang 1949, verheiratet, zwei Kinder. Er lebt in Bestwig im Sauerland, ist gelernter Fertigungstechniker für Blechverarbeitung. Mit einer Ausnahme von vier Jahren hat er sein Leben lang für die Firma Honsel gearbeitet, zuletzt als Leiter des Qualitätswesens im Walzwerk in Meschede. Er saß 14 Jahre lang für die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), eine ver.di-Vorläuferorganisation, im Betriebsrat, war zehn Jahre Mitglied im Honsel-Aufsichtsrat. Er ist seit 30 Jahren ehrenamtlicher Arbeitsrichter, seit 25 Jahren Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sowohl bei der DAG als auch bei ver.di hatte er zahlreiche Ehrenämter auf unterschiedlichen Ebenen. Anfang Februar 2012 wurde er zum 1. Vorsitzenden des DGB-Kreis- verbandes Hochsauerland gewählt.

"Ich bin ein abgebrühter Hund, aber das ging mir nah"

Wolfgang Zeh, Jahrgang 1949, verheiratet, zwei Kinder. Er lebt in Bestwig im Sauerland, ist gelernter Fertigungstechniker für Blechverarbeitung. Mit einer Ausnahme von vier Jahren hat er sein Leben lang für die Firma Honsel gearbeitet, zuletzt als Leiter des Qualitätswesens im Walzwerk in Meschede. Er saß 14 Jahre lang für die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), eine ver.di-Vorläuferorganisation, im Betriebsrat, war zehn Jahre Mitglied im Honsel-Aufsichtsrat. Er ist seit 30 Jahren ehrenamtlicher Arbeitsrichter, seit 25 Jahren Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung Bund. Sowohl bei der DAG als auch bei ver.di hatte er zahlreiche Ehrenämter auf unterschiedlichen Ebenen. Anfang Februar 2012 wurde er zum 1. Vorsitzenden des DGB-Kreis- verbandes Hochsauerland gewählt.