Jede/r braucht Versicherungsunternehmen und ihre Produkte. Für Beschäftigte wie Kunden verändert sich die Branche, gerade in der Tarifrunde

Hoffentlich hat hier jemand vorgesorgt. Wenn ja, werden jetzt Kolleg/innen im Innendienst aktiv

von Claudia von Zglinicki

Ihre Unfallversicherung ist Sandra Boss-Catanzaro wichtig. Sie fährt Motorrad, das ist der Grund. Damit fühlt sie sich besser - und mit den Klassikern. Eine Hausrat-, eine Privathaftpflichtversicherung, das muss schon sein. Ihr Sohn, der in der Metallindustrie arbeitet, hat eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen, dafür hat sie gesorgt. Sie ist schließlich Fachfrau auf dem Gebiet. "Aber natürlich weiß ich", sagt sie, "dass man sich nicht gegen alle Risiken versichern kann. So ist das Leben einfach nicht. Scheidungen zum Beispiel sind von keiner Versicherung abgedeckt." Sie lacht. "Wie sollte die auch aussehen?" Im Übrigen sei das wirklich eine komplexe Sache mit den Versicherungen. Schwer zu durchschauen, auch in Zeiten des Internets, in denen man viele Vergleiche und allgemeine Informationen findet. "Aber jeder braucht was anderes, denke ich. Und dafür braucht man wiederum eine gute Beratung - meine Kollegen."

Arbeiten beim Marktführer

Sandra Boss-Catanzaro arbeitet seit 1989 bei der Allianz in Stuttgart, sie hat dort schon ihre Ausbildung gemacht und will auch gern beim Marktführer bleiben. Sie ist im Innendienst. Das sind die Leute, die am Computer und am Telefon sitzen, Anträge und Schadensregulierungen bearbeiten, mit Menschen reden, die in Verkehrsunfälle verwickelt wurden, von schwerem Sturm oder Hagel betroffen sind, bei denen eingebrochen wurde. Sie selbst ist für die Insolvenzbearbeitung zuständig, also für private Kunden und Unternehmen, die Insolvenz anmelden müssen.

Seit Jahren erlebt Sandra Boss-Catanzaro, die auch Mitglied im Betriebsrat ist, wie von ihr und ihren Kolleg/innen täglich mehr verlangt wird: "Mehr Service- und Telefonzeiten, höhere Kennzahlen, die festlegen, wie viele Fälle in der Stunde abgearbeitet werden müssen. Mehr Flexibilität, mehr Leistungsbereitschaft - und dabei sind wir immer weniger Leute. Wir müssen immer mehr Zeit von unserem Privatleben abknapsen, um alles zu schaffen." Das sogenannte "Zukunftsprogramm Sach" bedroht beispielsweise bei der Allianz Deutschland zurzeit noch einmal 400 Arbeitsplätze. Ausgliederungen und Personalabbau gibt es überall in der Branche. In Halle an der Saale baut die Allianz gerade ein Servicezentrum auf, mit Beschäftigten außerhalb des Tarifvertrags. Seit 2008 hat das Unternehmen allein in Deutschland 5000 Stellen gestrichen.

Der Zeitdruck im Innendienst erinnert die Betriebsrätin oft an die Arbeitsbedingungen in Callcentern. Sie weiß, dass viele Kolleg/innen deshalb überlastet sind. "Aber ich sage ihnen dann immer: Leute, wenn wir bei ver.di nicht mehr werden, ändert sich nichts. Tariffragen sind Machtfragen. Wir müssen uns durchsetzen, alle zusammen, nicht nur die Gewerkschafter als ewige Stellvertreter." Diese Stellvertreterpolitik, mit der einige Aktive etwas für alle erstreiten, die hat sie längst satt.

Arbeitgeber im Jammerloch

Am 11. April hat die erste Verhandlung in der Tarifrunde 2013 der Versicherungsbranche mit dem Arbeitgeberverband stattgefunden, ohne ein Angebot. ver.di fordert für die 172.000 Beschäftigten im Innendienst 6,5 Prozent mehr Geld, mindestens aber 160 Euro plus im Monat, und für die Auszubildenden 60 Euro mehr pro Monat. Völlig überhöht sei das, erklärte die Gegenseite. "Eine Frechheit", sagt Ira Gloe-Semler, die Bundesfachgruppenleiterin für die Versicherungen bei ver.di. "Die Beschäftigten wollen von der guten Lage der Wirtschaft und dem großen Erfolg der Branche profitieren."

Sie seien es schließlich, die mit ihrer Arbeit die Gewinne erarbeiteten - trotz der wachsenden Personaleinsparungen und der vielen belastenden Zentralisierungen in der Versicherungswirtschaft. "Wenn sie so gering bezahlt werden wie nur irgend möglich, landen wir bei Servicegesellschaften, die rund um die Uhr arbeiten, nicht tarifgebunden sind und im Niedriglohnbereich zahlen."

Die Betriebsrätin Sandra Boss-Catanzaro ist auch Mitglied der Großen ver.di-Tarifkommission. "Die Arbeitgeber sind wieder in ihr Jammerloch gefallen", sagt sie über den Verhandlungsauftakt. "Es gehe nichts mehr, behaupten sie, es sei nix da für Gehaltserhöhungen. Aber sie haben hohe Gewinne eingefahren." So stieg der Jahresüberschuss der Allianz im vorigen Jahr auf 5,5 Milliarden Euro, der der AXA um mehr als 50 Prozent auf 411 Millionen Euro. "Das sind die Resultate. Und wir brauchen die Wertschätzung für das, was wir tun, auch die finanzielle Wertschätzung, nette Worte reichen nicht aus."

Die Tarifrunde wird schwierig, urteilt Sandra Boss-Catanzaro. Schon Ende April und Anfang Mai haben in mehreren Bundesländern erste Warnstreiks und betriebliche Aktionen stattgefunden, auch in Stuttgart gab es Protestaktionen. "Und wenn ich bei uns zu Warnstreiks aufrufe", sagt Sandra Boss-Catanzaro, "dann klappt das auch". Sie kann sogar mit Kolleg/innen rechnen, die nicht bei ver.di organisiert sind. "Sie sagen: Dann lasse ich mir für die Forderungen eben mal das Gehalt für einen Tag abziehen, das ist es mir wert", weiß Boss-Catanzaro. "ver.di hat bei uns einen guten Stand."

Am 7. Juni wird in Hamburg weiter verhandelt. "In der ersten Verhandlung wurde nur über Zahlen geredet", sagt Ira Gloe-Semler, "ein Ritual bei den Arbeitgebern." Aber es gehe um die Menschen in den Betrieben. Sie erwarten kein Geschenk, sondern wollen gut bezahlt werden. In der zweiten Verhandlungsrunde am 2. Mai haben die Arbeitgeber bei einer Laufzeit von zweieinhalb Jahren eine durchschnittliche Gehaltserhöhung von 1,8 Prozent angeboten. Nicht akzeptabel, urteilte die ver.di- Tarifkommission. "Jetzt müssen wir noch mehr tun", sagt Sandra Boss-Catanzaro.