Filip Kourtoglou von der ver.di Jugend Frankfurt hat die Europäische Zentralbank täglich vor Augen. Als Antikapitalist, als der er sich versteht, führte sein Weg zwangsläufig zu Blockupy

von Heide Platen

Frankfurt am Main, Ostend, Danziger Platz: Auf der Verkehrsinsel mitten zwischen Schutt und gegenüber dem heruntergekommenen Ostbahnhof ist eine Oase entstanden. Der "Frankfurter Garten" lädt ein zum Mitmachen. Anwohner und Interessierte haben in Hochbeeten Gemüse und Blumen gepflanzt. Kohl, Kohlrabi, Bohnen, Tomaten und Kräuter reifen im Schatten der Platanen. Holztische laden ein zum Verweilen, zu Imbiss, Apfelwein oder Kaffee. Ein eher bürgernaher Versuch der Aufwertung des verschlafenen Viertels, das seiner Umstrukturierung mit eher gemischten Gefühlen entgegensieht. Denn kaum 200 Meter weiter wächst der verspiegelte Turmbau der Europäischen Zentralbank (EZB) mit schräger Fassade steil in den Himmel. Rund 3 000 Arbeitsplätze sollen auf dem Gelände der einstigen Großmarkthalle am Mainufer entstehen. Die Anwohner/innen fürchten Luxus- sanierungen und steigende Mieten.

Filip Kourtoglou, 27 Jahre, schlank, groß, blaue Augen und lustige Wirbel im hellbraunen Haar, kommt manchmal zur Mittagspause hierher. Er hat den EZB-Neubau, direkt gegenüber am Mainufer, von seinem Bürofenster aus jeden Tag vor Augen. Der Fachinformatiker arbeitet im Hause Telekom an der Nordseite des Danziger Platzes, dort, wo in vergangenen Wirtschaftswunderzeiten von 1953 bis 1960 der Versandhauskönig Josef Neckermann residierte. Filip sagt: "Ich verstehe mich vollkommen als Antikapitalist."

Die EZB-Zentrale, bis zum Umzug noch zentral in der Innenstadt, ist der Ort, an dem er gegen die europäische Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik demonstriert. Das Engagement für die Interessen der Beschäftigten liegt bei ihm in der Familie. Die griechischen Großeltern kamen als "Gastarbeiter" nach Deutschland, arbeiteten "auf Schalke" im Ruhrgebiet, ehe sie ihr eigenes Restaurant eröffneten. Zu ver.di ist er 2008 durch ein Neuanfängerseminar gekommen, wurde Jugend-Vertrauensmann in seiner Firma, dann Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) für den Bezirk Frankfurt & Region und immer aktiver in ver.di.

Mit damals nur "vier bis fünf Aktiven" bei der Telekom überlegte er sich Aktionen, die nicht nur der Mobilisierung und Erhöhung der Mitgliederzahlen innerhalb des Betriebes galten. Junge Leute, ist er sicher, wollen sich auch außerhalb engagieren, sich nicht auf Tarifkonflikte und innerbetriebliche Probleme beschränken. "Das fing 2011 bei uns nach einer Auszubildendenversammlung mit einer Demonstration vor der Industrie- und Handelskammer und der Frankfurter Börse an", sagt er. Rund 200 Menschen kamen, um gegen die "desolaten Zustände" an den Berufsschulen und Bildungseinrichtungen zu protestieren. "Da hat man gemerkt, dass man die Jugend begeistern kann."

Ihre letzte Aktion war ein lautstarker Besuch des Wahlkampfauftaktes von Bundeskanzlerin Angela Merkel im August im südhessischen Seligenstadt. Der Protest wandte sich gegen Sozialabbau und heimliche Überwachung. Die ver.di Jugend demonstrierte gemeinsam mit Jusos und Grüner Jugend. "Die Kanzlerin hat uns wahrgenommen und uns sogar dreimal direkt angesprochen." Den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück habe sie nur einmal erwähnt. Der zeigte sich eher verärgert über den jugendlichen Elan. Es gehe nicht an, dass die Wahlkampfveranstaltungen politischer Gegner gestört würden.

"Alle haben gesehen, dass wir friedlich sind."

Filip weiß, dass solche Aktionen auch innerhalb der SPD und der Gewerkschaften nicht immer gerne gesehen werden, "weil wir die direkte Konfrontation suchen". Aber "aktiven Widerstand zu leisten", das bedeute nun einmal, auch Kritik aus den eigenen Reihen zu ertragen. Da fehle es "den Erwachsenen", meint er, wohl an Demokratieverständnis. "Aber wir sehen uns ja auch als emanzipierte Organisation", sagt er. Außerdem: "Widerstand erzeugt Wärme." Dass Filip auch Mitglied bei den Jusos ist, trennt er säuberlich von der Gewerkschaftsarbeit: "Da halte ich mich immer neutral." Eine Wahlempfehlung gibt es nicht.

Gewalt ausgeschlossen

2012 beteiligten sich die ver.di-Jugendlichen zum ersten Mal als "stille Teilnehmer/innen" beim Bündnis Blockupy: "Ich sehe es auch als Gewerkschaftsarbeit, dahinzugehen, wo es brennt." Ein großer Erfolg sei auch die Sperrung des Eingangs der Billigklamotten-Kette Primark auf der Zeil gewesen. In dem "Ramschladen", so Filip, seien die Arbeitsbedingungen der Zulieferer bei der Fertigung in Bangladesch "noch schlimmer als bei KIK". Auch vor die Türen von Karstadt seien sie gezogen, "weil die aus dem Einzelhandelstarifvertrag aussteigen wollten". Dass sie auch mit Autonomen und Antifa auftreten, habe ihnen auch dort, wo Gewerkschafter eigentlich als "Weicheier" gelten, Anerkennung als verlässliche Partner eingebracht. Gewalt allerdings lehnen sie ab: "Wir halten uns an die Bündnisaufrufe."

Zur spektakulären Blockupy- Demonstration am 1. Juni 2013 in Frankfurt seien sie bester Laune gegangen: "Wir hatten uns auf einen friedlichen und schönen Tag gefreut." Dass die Polizei sie noch vor Erreichen der EZB gewaltsam stoppen würde, hatten sie nicht erwartet. Einige der rund 100 ver.di-Auszubildenden seien in den Polizeikessel geraten, mit Pfefferspray attackiert und verprügelt worden: "Die wussten nicht, warum. Die Polizisten wussten das selber auch nicht." Vermummungen und gefährliche Gegenstände habe es auf Seiten der Demonstranten nicht gegeben. Der Polizeieinsatz sei völlig unverhältnismäßig und "ein Riesenskandal" gewesen.

Dass dann am folgenden Wochenende rund 10 000 Menschen einem neuen Demonstrationsaufruf gefolgt und "für eine antikapitalistische Krisenpolitik und weniger Staatsgewalt" auf die Straße gegangen seien, habe die Solidarität der Bevölkerung mit den Demonstrant/innen gezeigt. "Und alle haben gesehen, dass wir friedlich sind."

Seit 2012 bietet die ver.di Jugend Demonstrations- und Blockadetraining und Seminare zum "zivilen Ungehorsam" an. Dort lernt man zudem, "Streiks so interessant zu gestalten, dass sie auch Spaß machen". Spaß machen auch die Sitzungen des Bezirksjugendvorstandes der "Javis" im Jugendclub U68 im Souterrain des Gewerkschaftshauses an der Wilhelm-Leuschner-Straße. Zuerst einmal zieht Filip ein Fazit der letzten Aktion in Seligenstadt. Die sei ein Erfolg gewesen, obwohl sie vor Ort argen Gegenwind hatten. Drei junge ver.dianerinnen seien von CDU-Anhängern, "älteren Menschen", geschubst und verletzt worden: "Die meinen ja, dass Trillerpfeifen Waffen sind."

Harun, ein anderer ver.di-Jugendlicher, bittet in der Sitzung um Unterstützung für eine "kleine Aktivenkonferenz" für junge Muslime aus der Region, die sonst keinen Zugang zur Gewerkschaft finden und gezielt angesprochen und beraten werden sollen. "Woanders gibt es das schon!" - "Nur Muslime?", fragt Santina nach. "Ja", sagt Harun, das helfe, Probleme der "unsichtbaren Barrieren" anzusprechen.

Filip erwähnt bei dieser Gelegenheit, dass gespart werden müsse. Das sei von den "Erwachsenen" aus der Buchhaltung angemahnt worden. Vielleicht ließen sich bei der "teambildenden Maßnahme", der alljährlichen Klausurtagung des Vorstandes, Kosten senken? Keine Reise nach Wien wie das letzte Mal, sondern stattdessen in den Kletterpark und abends "zusammen was trinken"?

Dass nicht alles nur Spaß machen muss, weiß Filip. Er wünscht sich, dass sich "die Politik mehr an den Menschen ausrichtet, die wirklich Hilfe brauchen. Starke Schultern können und müssen mehr tragen als schwache."

https://blockupy-frankfurt.org https://jugend.verdi.de

"Ich sehe es auch als Gewerkschaftsarbeit, dahinzugehen, wo es brennt."

"Alle haben gesehen, dass wir friedlich sind."

"Ich sehe es auch als Gewerkschaftsarbeit, dahinzugehen, wo es brennt."