Andreas Kuhl nervt vor allem der alltägliche Rassismus. In der ver.di Jugend sieht er eine Möglichkeit, sich gegen Rechts und einiges mehr so zu engagieren, dass sich etwas ändert

Angefangen hat alles mit dem Punk, wenn man Andreas Kuhl fragt. Es ging nicht gleich um das Ton-Steine-Scherben-Stück Macht kaputt, was euch kaputt macht. So radikal ist der 26-Jährige bis heute nicht. "Solche Ansichten entwickeln sich erst mit der Zeit", sagt er. Das Stück Sand im Getriebe der Hamburger Punk-Band Slime trifft den Punkt besser, an dem Andreas mit ungefähr 15 Jahren begann, politisch zu denken. "Die Gewerkschaften stecken noch voll im letzten Jahrhundert", sagt er - und ist deshalb seit 2008 bei ver.di dabei, ist Sprecher des Arbeitskreises Anti-Rassismus in Berlin, aktiv im Bundesarbeitskreis Anti-Diskriminierung, ist stellvertretender Vorsitzender der Auszubildendenvertretung (JAV) bei der Telekom und Vertrauensmann in seinem Betrieb. Das klingt erst mal nach allem anderen, nur nicht nach Punk und Aufbegehren. Aber Slime hallt irgendwie im Hintergrund: Sand im Getriebe will er sein.

"Gesamtscheiße" ist ein Wort, das Andreas nicht nur gelegentlich im Gespräch fallen lässt. Er trägt es auch mit sich rum, als weißen Aufdruck umrankt von Arabesken auf seinem schwarzen Baumwollbeutel, der an seiner rechten Schulter hängt. Allerhand kleine Buttons zieren den Beutel darüber hinaus. Andreas sieht aus, wie viele junge Männer in seinem Alter heutzutage aussehen: schwarze Turnschuhe, schwarze Baumwollbermudas, blaue Kapuzenjacke, darunter ein bedrucktes weißes T-Shirt, rotblonder Vollbartansatz, goldblonde kurze Haare. Am rechten Handgelenk baumelt noch das Stoffbändchen von einem Festival. Musik ist immer noch wichtig.

"Ich wollte wissen, was die da eigentlich singen", antwortet Andreas auf die Frage, warum ihn ausgerechnet der Punk zu dem politisch und gesellschaftlich engagierten Menschen gemacht hat, der er heute ist. Tatsächlich ist Punk-Musik mehr als lauter, einfach gestrickter Schrammelrock. Bevor der Begriff des Punk für die britischen Bands Sex Pistols und The Clash geläufig wurde, galt ihre Musik als der "Working Class Rock'n'Roll", also der Rock'n'Roll der Arbeiterklasse. Anarchie forderten die Sex Pistols, schreiend und mit ohrenbetäubenden Gitarrenriffs. Andreas sitzt ziemlich gerade in einem Terrassenstuhl in der ver.di-Bundeszentrale und sagt ganz ruhig, wie er sich die ideale Gesellschaft vorstellt: "Basisdemokratisch, mit imperativen Mandaten, föderalistisch."

Besonnenheit und Klarheit sind die Eigenschaften, die Andreas auf den ersten Blick auszeichnen. Dennoch, das System würde er schon gern stürzen, "aber das ist leider nicht wirklich einfach, insbesondere nicht im globalisierten Kapitalismus", sagt er. Vom Punk ist er zu Michail Bakunin gekommen, dem russischen Revolutionär, der im 19. Jahrhundert der Antreiber der anarchistischen Bewegung war. Gerade mal volljährig ist Andreas, als er sich eine von Bakunins Schriften vornimmt und erkennt, dass soziale Ungleichheit, Machtstrukturen und Hierarchien das Problem unserer Gesellschaften sind.

"Wie können wir uns so verändern, dass auf die Jugend gehört wird?"

Andreas steckt mitten in seiner Ausbildung, als er die Gedanken des Russen beginnt weiterzudenken, wie sie in sein eigenes Leben passen könnten. Nach dem Realschulabschluss 2003 tritt er im Herbst des Jahres seine Ausbildung zum IT-Systemelektroniker bei der Deutschen Telekom an. 2006, nach Ende seiner Ausbildung, ist er eineinhalb Monate arbeitslos. Über eine Zeitarbeitsfirma fängt er wieder bei der Telekom an. Nach ungefähr einem Jahr, im Januar 2008, übernimmt ihn die Deutsche Telekom Technischer Service GmbH, eine ausgelagerte Telekom-Tochter, unbefristet. Eigentlich ein rundum gelungener Berufseinstieg: Bereits die erste Bewerbung sichert ihm einen Ausbildungsplatz, die Ausbildung ist gut, eine kurze Zeit der Erwerbslosigkeit, aber seither eine Vollzeitstelle, eine Wohnung im immer noch hippen Berlin-Friedrichshain, die sich heute nicht mehr viele leisten können.

"Die Gesamtscheiße kotzt mich an", sagt Andreas. Da ist es wieder, das Wort. "Ich hätte ein schlechtes Gewissen. Ich gehöre zu den Privilegierten, bin ein weißer Mittelstandsdeutscher, verdiene mehr als viele andere in meinem Alter", sagt er - und: "Ich werde nicht ausgegrenzt. Wohingegen sehr viele Menschen unterdrückt, ausgebeutet und diskriminiert werden. Das kotzt mich tatsächlich an."

Die meisten in seinem Alter würden das vermutlich nicht verstehen, sich mit ihrer Situation zufriedengeben, aber die haben auch nicht Punk-Rock gehört und Bakunin gelesen. Es ist der alltägliche Rassismus, der Andreas nervt und umtreibt. In der vorletzten Augustwoche in diesem Jahr mobilisiert er mit dem ver.di-Arbeitskreis Anti-Rassismus zur Gegendemo in Berlin-Hellersdorf, als dort Flüchtlinge in eine neue Unterkunft ziehen und von Neonazis bedrängt werden. Er steht selbst ein paar Abende mit vor dem Flüchtlingsheim und drängt die Nazis zurück.

Und zum Schluss "We want Sex"

Er hat einige Aktionen parat, die er in letzter Zeit mit der ver.di Jugend gestemmt hat. Allen voran den Jugendblock, der jedes Jahr zum 1. Mai in Berlin-Kreuzberg gegen Nazis loszieht. Immer wieder engagiert er sich für die großen "Dresden-nazifrei"-Blockaden, die jedes Jahr im Februar stattfinden. Mehrere hundert Euro und massig Materialspenden hat er im letzten Herbst mit der ver.di Jugend für die Flüchtlinge am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg gesammelt. Aber auch eine Diskussionsveranstaltung zur Frauenquote am Frauentag im März haben sie organisiert. "Zum Schluss haben wir noch den Film We want Sex gezeigt", sagt Andreas. Es ist ein Film ganz nach seinem Maß. Näherinnen, die sich emanzipieren und nicht nur den Arbeitgebern zeigen, wo es lang geht, sondern auch dem Gewerkschaftsboss.

"Ich bin ein weißer Mittelstandsdeutscher, ich werde nicht ausgegrenzt. Wohingegen sehr viele Menschen unterdrückt, ausgebeutet und diskriminiert werden. Das kotzt mich tatsächlich an."

Aufregen kann er sich noch heute über eine Aktion vor der ver.di-Zentrale. Er ruckelt sich dabei in seinem Stuhl immer wieder zurecht. Die rassistische Partei "Pro Deutschland" hatte zu einer Kundgebung unmittelbar vor dem ver.di-Gebäude aufgerufen, sie standen oben auf einem Balkon und hielten mit Sprechchören und Musik dagegen. Doch am Ende seien nicht die Rechten von der Polizei überprüft wurden, sondern sie. Hauptamtliche ver.dianer hatten der Polizei Zutritt zum ver.di-Haus gewährt. Das war natürlich voll daneben.

"Ich mache bewusst nur etwas in der Jugend", sagt Andreas. Weil sie viele gute und im Vergleich mit anderen Organisationen fortschrittliche Positionen vertrete. Die "Alten" in ver.di sind ihm viel zu konservativ. "Wir brauchen neue Handlungs- und Organisationsformen", sagt er und fragt: "Wie können wir uns so verändern, dass auf die Jugend gehört wird?" Er hat selbst eine Antwort. "Kämpferisch und konsequent" müsse ver.di sein, so wie große Teile der ver.di Jugend. Spontan aufstehen und handeln, wenn es nötig ist. So wie zuletzt in Berlin-Hellersdorf gegen die Rassisten.

Er selbst ist jetzt auf dem Sprung. Gleich trifft sich der ver.di-Bezirksjugendvorstand. In dem ist er auch noch aktiv. Fünf bis zehn Stunden in der Woche bringt er in der Regel für ver.di auf. Bei der Telekom versucht er, die Auszubildenden zu überzeugen, dass es sich über eine Übernahme oder Verbesserungen in der Ausbildung hinaus lohnt, "den Arsch hochzukriegen". Für ihn ist das kein Problem. Am kommenden Tag geht er zu einer Soli-Vorstellung des Films Blut muss fließen, das Ergebnis einer neunjährigen Undercover-Recherche unter Rechtsrock-Bands. Auf seinem schwarzen Beutel ist auch dann zu lesen, was hilft: "Raven gegen die Gesamtscheiße."

http://aktiv-gegen-diskriminierung.info

"Wie können wir uns so verändern, dass auf die Jugend gehört wird?"

"Ich bin ein weißer Mittelstandsdeutscher, ich werde nicht ausgegrenzt. Wohingegen sehr viele Menschen unterdrückt, ausgebeutet und diskriminiert werden. Das kotzt mich tatsächlich an."