Ausgabe 08/2013
Was ist Solidarität?
In der letzten ver.di PUBLIK haben wir Euch gefragt, was Solidarität ist und wann Ihr selbst Solidarität erfahren habt. Unter den vielen Antworten haben wir diese ausgewählt. Die Auswahl zeigt, wie vielfältig und verschieden Solidarität ist. Und das Wichtigste: Es gibt sie noch!
Ich würde es mit den Worten von Alexandre Dumas in seinem Roman Die drei Musketiere sagen: "Einer für alle, alle für einen." In diesen Worten ist für mich der Kern von Solidarität enthalten. Als praktische Beispiele für solidarische Systeme stehen für mich funktionierende Familien, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder die gesetzliche Sozialversicherung. Immer wenn Menschen feststellen, dass sie in einem Boot sitzen, besteht die Chance, dass sie füreinander eintreten bzw. sich solidarisch verhalten.
Lars Hanken
Solidarität bedeutet für mich, füreinander da zu sein, anderen auch in schwierigen Zeiten beizustehen und gemeinsam für eine Sache einzutreten.
Manuela Hinderer
Was Solidarität heißt, habe ich 1963 von meinem Ausbilder als Postjungbote (Pjb) gelernt. Als wir unterwegs waren, wurden uns von einer Arzthelferin in der Praxis ihres Chefs Zigaretten angeboten. Er nahm eine. Ich, mit 14 Jahren, habe abgelehnt. Als wir zurückkamen, habe ich ein Donnerwetter erlebt. "Wenn dir jemand eine Zigarette anbietet dann nimmst du sie und gibst sie jemandem, der sie raucht." Damals habe ich gelernt: Solidarität bedeutet auch, an den anderen zu denken.
Robert Bombera, Dettingen
Immer dort, wo Rechte mit Füßen getreten werden, wo Menschen schikaniert, gedemütigt, unterdrückt und Repressalien ausgesetzt sind, kann nur die solidarische Haltung, im Wissen, dass man sie ja auch selbst mal gebrauchen könnte, die Kraft zusammenbringen, die unsere demokratischen Grundrechte und damit auch die Menschenrechte stärkt und schützt. Als Betroffener wünsche ich mir zum Beispiel dringend ein Personalbemessungsgesetz für die Personalbesetzung auf Stationen in Krankenhäusern und in den Wohnbereichen in Altenpflegeheimen, wie überhaupt in allen Bereichen, wo man sozial tätig ist. Wenn wir das nicht erreichen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die humanistische Ethik, die für die Solidarität ein Muss ist, an der Gier des ausschließlichen Gewinnstrebens und der falschen politischen Rücksichtnahme auf solche Bestrebungen, den Bach herunter geht, den Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört und somit dem einzelnen Betroffenen die Würde nimmt. Wir haben nur ein Leben - mehr gibt es nicht!
Rüdiger von Gizycki
"Solidarität ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch werden kann und soll." Unter den vielen Definitionen für das gemeinsame Kämpfen jener, die sich einzeln nicht gegen die politisch und ökonomisch Herrschenden durchsetzen können, scheint mir diese eine der treffendsten zu sein. Solidarität ist mehr als Almosen zu geben oder den Hungernden zu speisen. Es ist die Hilfe für jene Armen und Hungernden, die den Kampf gegen Armut und Hunger aufgenommen haben. Sie ist auch die Unterstützung jener, die den Kampf gegen Hungerlöhne und die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze aufgenommen haben. Wer einmal mit Hunderten im Streik stand, hat erfahren, wie die Solidarität untereinander stärkt. Und es tut gut, wenn dann noch ein paar Kollegen einer anderen Branche mit ihren Gewerkschaftsfahnen hinzukommen.
Volker Metzroth, Fürfeld, Fachbereich 9
Ich finde nach wie vor den Spruch wunderbar: "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker." (Ernesto Che Guevara, d. Red.) Es geht um eine Zärtlichkeit aus der Ferne, der persönlichen Unbekanntheit, ohne Berührungen, aber auf der Basis einer gemeinsamen sozialen Interessen-/ Betroffenheitslage.
Uwe Schuchhardt, Wuppertal
Leben einzeln und frei wie ein Baum und dabei brüderlich wie ein Wald diese Sehnsucht ist unser
Nâzim Hikmet
(gesungen von Hannes Wader)
Besser könnte ich es nicht formulieren.
Andrea Scholz, Essen
Solidarität macht den Menschen menschlich. Sie ist die Basis für ein Wir-Gefühl und macht uns gemeinsam stark. In einer Zeit, in der die Werbeindustrie gezielt versucht, den Egoismus des Einzelnen anzusprechen, und suggeriert, dass man sich ständig irgendetwas "sichern" müsse, ist es besonders wichtig, den Blick wieder verstärkt vom "Ich und dem Meinen" auf das "Wir und Uns" zu richten. In einer solidarischen Gesellschaft gewinnt die Gemeinschaft und dadurch am Ende auch das Individuum, der Einzelne. In einer solidarleeren Gesellschaft gibt es viele Verlierer auch unter denen, die sich zunächst unter den Gewinnern wähnen.
Peter Schmitz
Für die Männer und Frauen, die sich vor über 100 Jahren in Gewerkschaften vereinigten, um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern, war Solidarität ein allgemein bekannter und vor allem eindeutiger Begriff. Sie verstanden darunter gemeinsames Handeln für ein gemeinsames Ziel. Ebenso allgemeines Wissen der Aktiven unter ihnen war auch, dass Solidarität nicht das Ergebnis eindringlicher Appelle mittels Plakaten oder Flugblättern oder Zeitungsartikeln war, sondern nur durch Miteinanderreden über gemeinsame Probleme und deren Lösung entstehen kann.
Dieses Miteinanderreden nannten sie Agitation und die war für sie der Schlüssel, um ihre Kollegen zum gemeinsamen Handeln für ein gemeinsames Ziel zu gewinnen. Agitation - Organisation - Aktion: Diesen Dreischritt erkannten sie als notwendigen Prozess für einen erfolgreichen Kampf. Agitation ist nicht alles. Aber ohne Agitation gibt es keine Solidarität. Und ohne Solidarität gehen Organisation und Aktion ins Leere. Damals wie heute. Eigentlich ganz einfach. Aber das Einfache ist oft das schwerste - weil, wer sich im Vielen verliert, findet das Einfache nicht mehr!
Dieter Haas, Köln
Solidarität bedeutet Einstehen für eine Idee, eine Aufgabe, die den Menschen nutzt und vor allem Benachteiligte und Notleidende unterstützt und ihnen hilft. Hier ist auch die Parallele zur christlichen Nächstenliebe. Welches Beispiel von Solidarität ist mir wichtig? Etwa dieses: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei Mann und Frau. Auch der flächendeckende Mindestlohn und die gerechte Verteilung von Lasten.
Heinz Leidigkeit
Im Faschismus aufgewachsen, in einer Arbeitersiedlung gewohnt - mein Vater 1934 von den Nazis verschleppt. Da war Solidarität nur schwer zu leisten. Aber wir Kinder leisteten sie und die Erwachsenen auch, oft hat sie dies das Leben gekostet. Heute? Ist es fast ein Fremdwort. Leider auch in den Gewerkschaften, den Nachbarschaften und in der Gesellschaft mit all dem Egoismus sowieso. Schade. Denn wir bräuchten Solidarität überall.
Marianne Konze, 84 Jahre, Gelsenkirchen
Solidarität kommt immer von unten und findet auf Augenhöhe statt. Sie kann nicht von oben verordnet werden. Gleichwohl wird sie häufig von oben zu untergraben versucht. Da sind Politiker und Ökonomen, die Arbeitnehmer gegen Arbeitslose, Junge gegen Alte, Eltern gegen Kinderlose, Gesunde gegen Kranke ausspielen. Und da ist der Vorgesetzte, der Teamgeist fordert und Mitarbeiter gegeneinander ausspielt, weil er deren Solidarität fürchtet. Sie alle entlarven sich selbst durch die Widersprüchlichkeit ihres Redens und Handelns. Wir müssen diese perfiden Spiele durchschauen. Wir dürfen uns nicht manipulieren lassen. Solidarität kommt eben immer von unten.
Monika Dierks
"Wir müssen zusammenhalten. Nur wenn wir zusammenhalten, werden wir überleben".
Der Gladiator, ver.di-Mitglied seit 400 n. Chr., Mitglied Nr. II, FB Ver- und Entsorgung
In meinem Alltag in der DDR war Solidarität Realität. Ob verordnet oder nicht. Wichtig und richtig war, dass Menschen geholfen wurde. Als die Bundesrepublik Deutschland sich mit den Mördern Salvador Allendes gemein machte, rettete die DDR Tausenden Chilenen das Leben, indem sie ihnen Asyl gab. Sie wurden ausgebildet und sind der DDR bis heute dafür dankbar. Heute steht dem Recht auf Asyl oftmals der dumpfe Ausländerhass vieler Deutscher entgegen. Und die Politik schweigt und nutzt die weit verbreiteten Ressentiments gegen die "Fremden" zum systematischen Abbau der Asylrechte. Die sozialistische DDR ist zu Recht untergegangen, weil das kein Sozialismus war. Die kapitalistische Bundesrepublik Deutschland wird irgendwann untergehen, weil sie kapitalistisch ist.
Ralf Strobelt, Zwickau
Für mich bedeutet Solidarität, mit wachen Augen meine Umgebung wahrzunehmen und Solidarität da zu zeigen, wo Menschen ungerecht, menschenverachtend, diskriminierend behandelt werden oder auch gedemütigt werden. Mich einmischen, nicht wegschauen. Das versuche ich täglich zu tun, vor allem in meinem Arbeitsbereich.
Mir ist wichtig, nicht nur durch Reden, sondern aktives Tun meine Solidarität zu zeigen. Da gibt es viele Beispiele: Für ehemalige "Maredo"-Beschäftigte Protest vor dem Restaurant zeigen und auf ihre Arbeitsbedingungen und Situation aufmerksam machen. Zu Demonstrationen und Protestveranstaltungen gehen und vor allem, gemeinsam mit anderen Menschen Nazi-Aufmärsche verhindern, Gesicht zeigen und eigene Ängste abbauen. Ein alltägliche Möglichkeit: Ich überlege genau, wo und was ich einkaufe, welche Läden, Restaurants ich meide und boykottiere.
Heike Graf, Dreieich, Erzieherin
Wir als Rentner müssen die Solidarität auch innerhalb unserer Rentnergemeinschaft einfordern. Hier liegt viel im Argen, wie etwa die nicht zu begründende Leistungsbezogenheit, die prozentuale (warum nicht wertmäßige) Rentenerhöhung sowie auch die immer noch fehlende Ost-West-Angleichung der Renten. Es muss hier eine unbedingte Mindestrente und eine Höchstrente eingeführt werden.
Das verlangt ein großes Maß an Solidarität in der Rentnergemeinschaft, ohne die nach unserer Meinung die gesamte Gesellschaft Schaden nehmen würde. Es müssten auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht alle, im Rahmen der Solidarität, in den Rentenfonds einzahlen.
Heidrun Mehlan und Herbert Eckstein, Chemnitz
Generationen-Solidarität und Frauen-Solidarität sind für mich sehr wichtig, was folgendes Gedicht gewordenes Beispiel aus meinem Leben illustrieren soll:
Freundinnen Sie ist 5, die Tochter von K.s Sie sagt: Wenn ich groß bin, rauche ich in Bars Ich: Die ganze Welt und Bars OK, aber tödliches Rauchen? Och nee! Sie ist 5, sie hört im Hort beim Tee Amy, Weinhaus, Musik, Rauch, Schnee - Tod Sie sagt: Eine Freundin wie Du fehlte ihr!, beim Abendbrot
Annika Carmen Schmidt, Studentin der Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Potsdam