Oliver Greie führt seit Jahren Tarifverhandlungen. Doch was der Tarifkoordinator für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diesmal erlebt hat, war ihm noch neu: Nach dem Abschluss des Haustarifvertrags stand er in der Kantine des Chemnitzer Klinikums an der Kasse. Eine Krankenschwester in der Schlange drehte sich um: "Sind Sie nicht der Mann von ver.di?" Ehe er richtig antworten konnte, fiel sie ihm um den Hals. "Das kommt sonst nie vor", sagt er. "Aber bei 1200 Euro Einmalzahlung für ver.di-Mitglieder ist alles anders."

Radikale Vertrauensleute

24 "Nullmonate" ohne Gehaltserhöhungen lagen hinter den 2500 Beschäftigten des kommunalen Klinikums, als die Verhandlungen im Juni dieses Jahres endlich beginnen konnten. So lange war der alte Haustarifvertrag schon gekündigt. Aber die ver.di-Aktiven konnten nicht eher verhandeln. "Dafür hatten wir einfach zu wenig Mitglieder", sagt die Röntgenassistentin Conny Hohler aus der Verhandlungskommission. "Es war auch nicht klar, was die Kollegen genau von uns erwarten. So waren wir noch nicht stark genug."

Und das musste sich ändern. Hohler und viele andere Kolleg/innen wurden zu einer Sitzung der Vertrauensleute eingeladen und aufgefordert, jetzt selbst was zu tun. "Wir brauchen mehr Vertrauensleute", hieß es. "Neue Gesichter müssen her!" Conny Hohler und andere stimmten zu, sie kandidierten und wurden gewählt.

"Und dann sind wir radikal vorgegangen", sagt Peter Schneider, der Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege. Auch er ist Mitglied der Verhandlungskommission. "Radikal" - damit meint er, dass die neuen Vertrauensleute sofort aktiv wurden, und zwar überall im Klinikum, unübersehbar. Sie teilten die Stationen und Bereiche unter sich auf und besuchten ihre Kolleg/innen. Sprachen sie an und kamen beharrlich immer wieder, hängten Zettel mit ihren Namen und Telefonnummern auf, um erreichbar zu sein. "Erstmal haben wir uns bekannt gemacht, ganz persönlich, als Kolleginnen und Kollegen", berichtet Peter Schneider.

Sie hatten sich ausgerechnet: Jede/r von ihnen muss rund 100 Leute ansprechen und mindestens einmal im Monat auf die "zugeteilte" Station gehen. Sie verteilten ihre Flyer und ließen sich auch von negativen Reaktionen nicht abschrecken. Kein Bereich wurde ausgeklammert, auch wenn Vertrauensmann Stephan Scheithauer, der in der Notaufnahme arbeitet, inzwischen feststellt: "Es gibt eben immer ein paar Ungeküsste, und die bleiben es auch. Die erreichen wir einfach nicht." Doch es wurden weniger.

Der Einsatz lohnt sich

Anfangs wollten viele nichts von der Gewerkschaft hören. "Sie hatten bisher immer die Erfahrung gemacht, dass sie nach Tarifverhandlungen sowieso mehr Geld bekamen", sagt Peter Schneider. "Dafür mussten sie nicht Mitglied sein."

Janett Schneider - auch sie arbeitet in der Zentralen Notaufnahme - gehört zu denen, die vor zwei Jahren für die Gewerkschaft geworben wurden. Ja, sagt sie, das koste sie jeden Monat Geld, aber sie profitiere auch davon. Eine Kollegin war damals energisch auf sie zugekommen: "Du kommst jetzt mal mit. Du hörst dir mal an, was ich zu sagen habe!" Das sei für sie genau richtig gewesen. "Ich brauchte Leute, die mich auch mal an die Hand nahmen." Heute ist sie froh, dass sich "so viele für uns einsetzen. Dass da Leute sind, die wirklich sehen und schätzen, was wir in der Pflege für harte Arbeit leisten."

Jetzt weiter ohne Pause

Die Mitgliederzahl stieg. 921 waren es, als die Tarifverhandlungen begannen. Eine Umfrage der Vertrauensleute hatte die ver.di-Position zuvor gestärkt. 465 der rund 900 verteilten anonymen Fragebögen kamen ausgefüllt zurück. Damit war klar, dass die Verhandlungskommission für die Beschäftigten verhandeln sollte und worum es den meisten ging. Mehr Geld, Altersteilzeit und die Übernahme der Azubis standen obenan. Auch nach der Streikbereitschaft war gefragt worden. Die musste diesmal jedoch nicht bewiesen werden; die ver.di-Verhandlungskommission und die Geschäftsführung einigten sich auf das Ergebnis (Kasten). Dass die Sorge vor medienwirksamen Streiks dabei eine Rolle gespielt hat, vermutet nicht nur Stephan Scheithauer.

Der Vertrag wird von vielen als gerecht bewertet, auch - und gerade - der Bonus für ver.di-Mitglieder. Es sei viel Geld, sagt Janett Schneider. Aber dafür sei auch viel getan worden. Beim nächsten Mal sollte es wieder einen Bonus geben, darüber denken manche Vertrauensleute inzwischen schon nach.

Eine Ruhepause für die Aktiven ist ohnehin nicht drin. Als nächstes muss, so legt es der Abschluss fest, ein Demographie-Tarifvertrag ausgehandelt werden. Neue ver.di-Mitglieder werden sowieso immer gesucht. Und: Die Krankenpflegeschüler/innen in Chemnitz haben ihre Tarifverhandlungen noch nicht abgeschlossen. Ende September geht es für sie weiter, mit einer eigenen Verhandlungskommission, für einen eigenen Tarifvertrag.

Haustarif für das Klinikum Chemnitz (Sachsen)

Das städtische Klinikum hat an den vier Standorten des Mutterkonzerns 2500 nichtärztliche Beschäftigte. Im Juni haben ver.di und die Geschäftsführung den neuen Haustarifvertrag für sie abgeschlossen. Laufzeit: zwei Jahre

Der Abschluss:

  • Seit 1. Juli 3,5 Prozent mehr, mindestens 90 Euro, ab Januar 2015 weitere 2,4 Prozent und ab Oktober 2015 noch mal 2 Prozent mehr (insgesamt zwischen 7,9 und 8,5 Prozent mehr)
  • Einmalzahlung von 1200 Euro für alle ver.di-Mitglieder, ein zusätzlicher "Gesundheitstag" für Mitglieder
  • Funktionszulage von 50 Euro pro Monat für Bereiche wie Infektion, Hämatologie, Onkologie, Notaufnahme Akutpsychiatrie. Einführung der Besoldungsstufe 6 für die Entgeltgruppe 9a (Fachkrankenpfleger/innen mit Zusatzqualifizierung)