Mehr Mensch - Die Pflege ist längst einem Takt unterworfen. Für Zuwendung und Aufmerksamkeit ist keine Zeit mehr, stattdessen zählen Zahlen. Dazu haben die Pflegekassen Leistungen standardisiert, und nach diesem Schema werden sie abgerechnet. "Kinderbetreuung, Krankenhäuser, Pflegeheime" nennt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, in seinem neuen Buch als Bereiche, vor denen das neoliberale Wirtschaftsdenken keinen Halt gemacht habe.

Er geht darin der Frage nach, wie es so weit kommen konnte, "eine Arbeit mit Menschen auf bizarre Weise völlig menschenfremd zu zerlegen". Der Einfluss der Neoliberalen ist insbesondere seit den 1990er Jahren stark gewachsen. Er wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus. Einen weiteren Einschnitt brachte, so Schneider, das In-Kraft-Treten der Pflegeversicherung 1996. Bereits zwei Jahre später hatten die gewerblichen Anbieter schon einen Marktanteil von 36 Prozent. Tendenz weiter steigend, denn man konnte auf einmal große Gewinne machen. Lohnkosten waren da nur hinderlich, wo daran nicht weiter gespart werden konnte, musste immer schneller gearbeitet werden. Nötig sei das allerdings nicht, so Schneider. Geld sei in Deutschland genug vorhanden. Doch habe die Politik in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dafür gesorgt, dass es verstärkt auf privaten Konten und nicht in den öffentlichen Kassen liegt. hla

Ulrich Schneider: Mehr Mensch! Gegen die Ökonomisierung des Sozialen, Westend-Verlag, Frankfurt/Main, 158 Seiten, 13,99 Euro, ISBN 978-3864890796


Nachdenken über Deutschland - Auf der Internetseite www.nachdenkseiten.de findet tagesaktuell eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik statt. Einmal im Jahr gibt es die Nachdenkseiten auch in gedruckter Fassung, als Jahrbuch, das sich mit den großen Linien auseinandersetzt. Da geht es unter anderem um Hochschulen, um Zahlen, mit denen Meinung gemacht wird, um die Rückkehr des Ost-West-Konflikts und die an sich gute Idee Europa, die von einem "Brüsseler Laientheater" in den Sand gesetzt wird. "Mit dem Wissen wächst der Zweifel", steht auf dem Buchcover, und diese Aussage bewahrheitet sich wieder, wenn man die Aufsätze gelesen hat. Das Vorwort hat in diesem Jahr der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske geschrieben. Unter der Überschrift Arbeit 4.0 ruft er das Jahr 2015 zu einem Jahr des Aufbruchs und des Umbruchs für die Gewerkschaften aus - denn auch für die Gewerkschaften sei es von existenzieller Bedeutung, sich mit den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt auseinanderzusetzen. hla

Albrecht Müller, Wolfgang Lieb: Nachdenken über Deutschland. Das kritische Jahrbuch 2014/2015, Westend-Verlag, Frankfurt/Main, 211 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3864890758