Dreizehn Mal schlägt die Uhr Mitte Oktober in Homburg an der Saar. Genau in diesem Moment stehen die Pflegekräfte und anderen Krankenhausbeschäftigten auf, die gerade noch auf dem Boden in der Innenstadt gelegen haben. Mit ihrem "Homburger Aufstand" wollen sie an die Anfänge der Demokratie in Deutschland erinnern, die auch von Homburg ausgingen. Sie wollten aber auch ein Zeichen setzen für die Pflege, die in Deutschland am Boden liegt.

Pflege-Personalbemessung auf Grenzwertig niedrigem Niveau

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Während sich in Deutschland eine Pflegekraft um 10,8 Patient/innen kümmern muss, gilt die Aufmerksamkeit ihrer Kollegin in Norwegen rechnerisch 3,8 Kranken. "Die Personalbemessung für die pflegerischen Berufsgruppen in deutschen Krankenhäusern liegt auf einem grenzwertig niedrigem Niveau", lautet das Fazit von Jürgen Wasem. Der Professor für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen hat sich im Auftrag von ver.di das Pflegesystem in Deutschland genauer angesehen. Sein Ergebnis: Häufig sei nicht gewährleistet, dass alle notwendigen pflegerischen Maßnahmen auch tatsächlich erledigt werden können.

Immer wieder macht ver.di bundesweit mit öffentlichen Aktionen wie in Homburg auf die schlechte Situation der Beschäftigten in der Pflege aufmerksam. Sie fühlen sich überfordert, mit der Situation allein gelassen und nicht mehr wertgeschätzt. Schlechte Bezahlung, viele Überstunden und ein enormer Druck kommen dazu. 162.000 Stellen fehlen in Deutschlands Krankenhäusern, hat ver.di ermittelt, 70.000 davon allein in der Pflege. "Das ist gefährlich für Patientinnen und Patienten und ungesund für die Beschäftigten", sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler.

Sie forderte den Gesetzgeber auf, endlich zu handeln. ver.di macht sich stark für eine gesetzliche Personalbemessung mit wirksamen Sanktionsmöglichkeiten. "Tarifliche Regelungen können hier kein Gesetz ersetzen", so Bühler. Wo Kranke und Verletzte gut oder schlecht versorgt werden, sollte von den politisch Verantwortlichen abhängen und nicht von der jeweiligen betrieblichen Durchsetzungsfähigkeit der ver.di.

Statt Vollmilch gibt's jetzt nur noch billigere fettarme Milch

Professor Wasem und sein Forscherteam haben festgestellt, dass die Verschlechterungen in der Pflege seit dem Jahre 2003 rasant zugenommen haben. Seitdem müssen die Kliniken ihre Leistungen nach Fallpauschalen abrechnen und nicht mehr nach dem tatsächlichen Aufwand. Das habe zu einer enormen Arbeitsverdichtung geführt. Die Höhe der Fallpauschalen basiert auf dem vorhandenen Personal, nicht auf dem pflegerisch notwendigen. Das führe dazu, dass den Beschäftigten in der Pflege die Zeit fehlt, das zu tun, was notwendig und sinnvoll wäre.

In seinem Redebeitrag bei der Homburger Veranstaltung beschrieb ver.di-Sekretär Michael Quetting, welch grotesken Züge die Sparwut in den Krankenhäusern bisweilen annimmt.

So soll das Pflegepersonal immer mehr ärztliche Aufgaben übernehmen, dafür bekommen Assistent/innen immer mehr pflegerische Aufgaben zugewiesen. Aber selbst vor der Verpflegung mache die Sparwut nicht halt, berichtet Quetting. So wurde an der Uniklinik Homburg der Fettgehalt der verwendeten Milch von 3,5 auf 1,5 Prozent reduziert, weil diese Milch billiger sei. Außerdem wurde die Mittagssuppe gestrichen und die Grammzahl der Butter reduziert, erzählt der Gewerkschafter. "Krankenhäuser wurden zu Fabriken gemacht, in denen die Ökonomie regiert, nicht die Medizin. Sie werden nicht mehr als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gesehen und geführt, sondern als Wirtschaftsunternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen und sich am Markt behaupten müssen", so Quetting.

Personalkosten abrechnen

Pflegeeinrichtungen können künftig ihre tariflichen Personalkosten in vollem Umfang bei den Pflegesatzverhandlungen geltend machen. Das sieht ein Änderungsantrag zum Pflegestärkungsgesetz vor. Er kam aufgrund der Anhörung im Gesundheitsausschuss zustande. Dort hatte ver.di gefordert, den Wettbewerb zwischen den Einrichtungsträgern um möglichst niedrige Personalkosten endlich zu beenden. Pflegearbeit müsse entsprechend ihrer Verantwortung besser bezahlt werden. ver.di hoffe, dass im Interesse der Beschäftigten die tarifliche Vergütung bei Pflegediensten und -heimen mit dieser gesetzlichen Klarstellung deutlich zunehmen werde, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Bisher liege der Verdienst in Einrichtungen mit Tarifvertrag etwa um 20 Prozent über dem bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern in der Pflege.