Andreas Scheidt ist ver.di-Bundesvorstandsmitglied und leitet den Fachbereich Ver- und Entsorgung

ver.di publik - Die Stadtwerke Gera und unter anderem auch ihre Tochter, die Geraer Verkehrsbetriebe (GVB) sind seit Ende September offiziell in der Insolvenz. Ist das ein Einzelfall?

Andreas Scheidt - Das ist ein Einzelfall. Das Problem ist, dass die Stadtwerke ein Kraft-Wärme-Kraftwerk gebaut haben. Da wurde jetzt eine Sonderabschreibung fällig. Dafür gab es keine Rücklagen. Das könnte auch andere Stadtwerke treffen, aber das ist nicht zwangsläufig die Folge. Man muss immer schauen, wie liquide die einzelnen Stadtwerke sind.

ver.di publik - Hätte es für Gera eine Alternative gegeben?

Scheidt - Die Alternative wäre gewesen, dass das Land der Stadt Gera zugesteht, Schulden aufzunehmen und mit dem Geld die Sonderabschreibung zu stemmen.

ver.di publik - Mittlerweile gibt es ja viele Kommunen, die wie Gera keinen Haushalt oder nur einen Nothaushalt haben. Ist für sie die Gefahr einer Insolvenz städtischer Unternehmen größer?

Scheidt - Ja. Aber das kommt ganz auf die Unternehmen an. Wenn ich eine niedrige Eigenkapitalquote habe und keine Kredite mehr aufnehmen kann für eine Sonderabschreibung oder keine Rückstellungen gebildet habe, dann habe ich ein Problem.

ver.di publik - Haben viele Stadtwerke denn höhere Eigenkapitalquoten als Gera?

Scheidt - Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Kluge Unternehmenspolitik sorgt in der Regel vor, dass die Unternehmenskennzahlen, die die Banken für günstige Kredite setzen, nicht unterschritten werden. Das hat aber auch sehr viel damit zu tun, ob die betreffenden Stadtwerke in Erzeugung investiert haben oder nicht. Der größte Teil der Stadtwerke hat keine eigenen Erzeugungsanlagen, nur ungefähr ein Dutzend Stadtwerke hat da hinein investiert. Rund 80 Prozent sind reine Netzgesellschaften mit Vertrieb.

ver.di publik - Aber Gera hat investiert, und das fällt den Stadtwerken jetzt auf die Füße.

Scheidt - Genau. Aufgrund der Energiewende laufen im Moment die Anlagen nicht, weil der Marktpreis für Strom so niedrig ist. Zur Zeit holt man damit noch nicht einmal die Kosten für den Brennstoff wieder rein. Und wenn die Anlage nicht läuft, muss sie abgeschrieben werden.

ver.di publik - Was bedeutet die Insolvenz für die Stadtwerke in Gera?

Scheidt - Eine Gefahr von Arbeitsplatzverlusten könnte das bedeuten. Ich will mich da nicht zu sehr aus dem Fenster hängen, aber im ÖPNV, dem Öffentlichen Personennahverkehr, wird es Qualitätseinschnitte geben können. Es wird noch mehr Druck auf die Arbeitsbedingungen und Löhne derjenigen geben, die vorne links am Lenkrad sitzen, also auf die Fahrerinnen und Fahrer. Außerdem gibt es in Gera bestimmt Überlegungen, weitere Anteile an den Stadtwerken zu verkaufen.

ver.di publik - Das würde aber auch bedeuten, dass die ohnehin schon klamme Stadt zukünftig weniger Einnahmen aus den Stadtwerken hat...

Scheidt - Das ist der Rattenschwanz, der nachfolgt. Bislang wird der ÖPNV ja mit den Gewinnen aus der Energieversorgung querfinanziert. Wenn ich diesen Querverbund nicht mehr habe, wachsen die Probleme des ÖPNV und der Stadt Gera. Zur Zukunft der Stadtwerke hält sich der Insolvenzverwalter bedeckt.

ver.di publik - Ist Gera eine Art Blaupause für die Insolvenz weiterer kommunaler Unternehmen?

Scheidt - Ich sehe eine politische Gefahr, die dahintersteckt, wenn die Kommune es als Anteilseigner nicht schafft, einzuspringen, und das Land die Kommune dann auch noch im Stich lässt. Wenn andere Kommunen und Länder Gera als Blaupause sehen, birgt das erheblichen Sprengstoff. Die Gefahr ist da, dass dann auch in Kommunen privatisiert wird, die sich bislang dagegen gewehrt haben. Aber, wie gesagt, das hängt immer damit zusammen, wie liquide die einzelnen Stadtwerke sind.

ver.di publik - Was müsste denn jetzt in Gera passieren?

Scheidt - In Gera ist eigentlich alles in den Brunnen gefallen, was reinfallen kann. Die sind in der Insolvenz, das Verfahren ist eröffnet, der Insolvenzverwalter ist jetzt derjenige, der den Hut auf hat. Die Politik hat meiner Meinung nach auf Landesebene versagt - sie hätte einspringen müssen. Sie hätte es gekonnt, aber es sind nur Wahlkampfreden geführt worden.

Interview: Heike Langenberg

Die Alternative wäre gewesen, dass das Land Gera zugesteht, Schulden aufzunehmen.