Ausgabe 03/2015
In jeder Branche bleiben Menschen übrig
Constanze Kurz - Informatikerin, Sachbuchautorin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs - über den digitalen Wandel in der Arbeitswelt
ver.di publik - Sie haben das Buch geschrieben: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen. Vieles klingt utopisch, beschreibt aber den Ist-Zustand. Wie verändert sich Arbeit im digitalen Zeitalter?
Constanze Kurz
CONSTANZE KURZ - Maschinen ersetzen uns heute schon in vielfacher Weise. Roboter, aber natürlich auch Softwaresysteme, übernehmen typische Tätigkeiten, die wir im Arbeitsleben ausüben. Und das wird noch sehr viel mehr zunehmen. Bestimmte Tätigkeiten werden nicht mehr von Menschen ausgeführt, sondern sind längst roboterisiert. Besonders Tätigkeiten, die sehr gut messbar sind und sich wiederholen, werden ersetzt, etwa in der Autoindustrie.
Inzwischen werden auch sehr viele Tätigkeiten, die Mitdenken voraussetzen, also kognitiv sind, von Computern übernommen, umorganisiert und umstrukturiert. Es betrifft also nicht nur die sogenannten Blaukittel, sondern auch die Weißkittel - Bereiche, von denen man früher nicht angenommen hat, dass Maschinen das können, weil man geglaubt hat, dass nur Menschen zu diesen Tätigkeiten kognitiv fähig sind. Man sieht das sehr gut im Dienstleistungsbereich der Banken. Über meine Kreditwürdigkeit entscheidet die Software, nicht mehr der Banker. In anderen Ländern werden sogar Entscheidungen an Rechner ausgelagert, die hier mitbestimmungspflichtig sind, etwa im Bereich Personal. Die Rechner bekommen Parameter und treffen Personalentscheidungen. In den USA ist das schon ein relativ großer Markt.
ver.di publik - Gibt es Branchen, in denen Maschinen Menschen nicht ersetzen?
KURZ - Nein, dafür sind heute einfach die Tätigkeiten, die Software und Roboter übernehmen, zu vielfältig. Ich glaube, in jeder Branche werden Menschen übrig bleiben. Aber das es eine Branche gibt, die nichts mit der Digitalisierung und Automatisierung zu tun bekommt, glaube ich nicht.
ver.di publik - Aber was ist mit sozialen Berufen? Kein Roboter oder Softwaresystem kann einen Sozialarbeiter im Gespräch mit Jugendlichen ersetzen oder eine Erzieherin, die in der Kita unsere Kinder nicht nur betreut, sondern bildet und sozialisiert.
KURZ - In solchen Bereichen wird die Automatisierungsquote viel geringer sein als am Fließband. Aber auch solche Berufe können Assistenzsysteme brauchen. Im Bereich der Pflege gibt es ja schon eine starke Roboterisierung, zum Beispiel kann das Umbetten von Patienten maschinell unterstützt werden. Oder Roboter kümmern sich, dass die Medizin immer pünktlich dasteht. Auch in anderen sozialen Berufen gibt es diese Effizienzdenke. Wenn die primäre Aufgabe des Sozialarbeiters ist, mit Jugendlichen zu reden, ihre Freizeit mit zu gestalten, wird es sicherlich wenig Computerunterstützung geben. Aber bei Lehrern sieht die Sache schon anders aus, wenn man überlegt, was heute schon möglich ist, in Bezug auf Techniken, die das Lernen unterstützen.
ver.di publik - Was passiert mit den Menschen, wenn Maschinen sie ersetzen? Es können doch nicht alle arbeitslos Werdenden in technische Berufe umschulen.
KURZ - Nein, Menschen haben bestimmte Fähigkeiten, die man nicht in einem Jahr umschulen kann. Ein Fernfahrer zum Beispiel wird nicht allzu schnell zum Computerprogrammierer oder Roboteringenieur. Aber gerade bei den Lkw-Fahrern ist absehbar, dass sie in wenigen Jahren von autonomen Fahrsystemen ersetzt werden. In Deutschland sind es etwa 800.000 Menschen, die im Bereich von Taxi, Kurier, Speditionen arbeiten. Was passiert, wenn sich in fünf oder sieben Jahren ganze Flotten ändern und Maschinen Menschen ersetzen? Die Frage ist eine politisch-soziale Frage, die man auch politisch-sozial beantworten muss. Zieht man die Menschen, die aus dieser Automatisierung Gewinne erzielen, hinzu, um soziale Folgen abzufedern? Es ist auch eine Umverteilungsfrage. Wie verteilen wir die Arbeitszeiten neu? Und wie besteuert man Arbeit? Wir müssen von Szenarien ausgehen, dass ein Drittel, irgendwann die Hälfte, später mehr als die Hälfte der heute menschlich ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr stattfinden wird. Wenn man aber weiß, dass in bestimmten Branchen fast kaum noch menschliche Arbeit stattfindet, kann man schlecht menschliche Arbeit besteuern. Da muss man sich andere Formen überlegen, zum Beispiel eine Maschinensteuer.
ver.di publik - Was muss gesellschaftlich und politisch passieren, damit wir den digitalen Wandel positiv erleben beziehungsweise überleben?
KURZ - Es ist nicht nur die Frage, wie man das sozial abfängt, sondern auch, wie die Gesellschaft damit umgeht, dass der Wegfall von Jobs als etwas Negatives gesehen wird. Man sollte diejenigen, die durch Maschinen ersetzt werden, nicht stigmatisieren. Denn im Wesentlichen ist es eine gute Entwicklung, dass uns Maschinen Arbeit abnehmen, weil wir dann Zeit haben für schönere Dinge. Dafür braucht man natürlich eine soziale Absicherung. Und wer bezahlt das? Darüber müsste man sich streiten und Ideen entwickeln. Es gibt die Idee der Maschinensteuer und des bedingungslosen Grundeinkommens, nur: Im politischen Bereich werden die wenig debattiert. Es ist aber evident wichtig, dass wir darüber jetzt reden und nicht so tun, als wäre es eine Debatte, die in 15 Jahren ansteht.
Und man muss natürlich gleichzeitig mit dieser Entwicklung dafür sorgen, dass die jungen Leute für die neuen Aufgaben ausgebildet werden. Wenn man sehr viele Maschinen hat, viel Software, dann muss die jemand warten, programmieren, weiterentwickeln. Das ist eine Riesenbranche. Man muss also auch sehr stark in den Bildungsbereich gehen. Was heute viel zu wenig passiert. Die Forderung an die Politik ist also auch, dass man jetzt, wo diese Technologiewelle absehbar ist, anfängt, möglichst schnell, die Bildungssysteme umzustellen.
ver.di publik - Angenommen der Verdienstverlust der durch Maschinen ersetzten Menschen würde sozial abgefangen: Bräuchten Menschen nicht trotzdem Arbeit, um sich nützlich zu fühlen?
KURZ - Die Frage ist, wie man Arbeit definiert. Ist Arbeit nur Bezahlarbeit oder ist es auch, dass ich mich dort, wo ich wohne, für meine Community engagiere? Oder ich versuche meine Talente auszuleben, weil ich kreativ sein kann. Ich denke, dass es einen Anteil in der Bevölkerung geben wird, der vor der Playstation sitzen wird, aber ich glaube, dass eine große Mehrheit sinnvolle Beschäftigung suchen wird. Mit mir kann man über das Grundeinkommen prächtig streiten, ich würde es aber gern mal ausprobieren!
ver.di publik - Welche Risiken sehen Sie durch die Automatisierung und Digitalisierung?
KURZ - Mit Maschinen zu arbeiten ist oft mit einem gefühlten oder tatsächlichen Druck verbunden. Denn Maschinen, die optimal, pausenlos und emotionslos arbeiten, sind natürlich etwas anderes als Menschen. Man hat also einen gewissen Effizienzdruck, wenn man unmittelbar mit einer Maschine arbeitet. Bei der Software gibt es noch andere Probleme, weil mitgemessen wird, wie man arbeitet, mit wem man kommuniziert. Wie ändert sich die Machtasymmetrie zwischen mir und meinem Arbeitgeber, wenn er deutlich mehr Informationen über meine Tätigkeiten hat?
Da ist aber ein noch größeres Problem. Die ganze Basis unserer Automatisierung und Digitalisierung basiert auf IT-Systemen, die ein hohes Maß an Sicherheitsproblemen haben. Und in einer Welt, in der Geheimdienste abschnorcheln, was sie können, ist das ein Riesenproblem. Wir können nicht eine Gesellschaft durchdigitalisieren, ohne Antworten darauf zu finden. Und ich meine jetzt gar nicht die Überwachung. Die Überwachung ist auch ein Problem, ja. Aber ich meine vor allem das Hacken, also Angriffe im Sinne der IT-Sicherheit. Mich stört ungemein, dass das politisch totgeschwiegen wird. In der Wirtschaft ist es aber durchaus ein Thema. Die wissen, dass das kein bürgerrechtlicher Skandal ist, sondern letztlich einer der Industriespionage.
ver.di publik - Wie kann man sich als Beschäftigte und Beschäftigter schützen?
KURZ - Wir sind in Deutschland in einer sehr guten rechtlichen Situation, wir haben Betriebsräte, wir haben Mitbestimmung. Da gibt's natürlich auch Probleme, aber das haben wir. In vielen Betrieben gibt es auch einen Datenschutzbeauftragten. Aber das Wichtigste ist Information - darüber, welche Folgen es hat, wenn sich Änderungen in meinem unmittelbaren Arbeitsumfeld ergeben. Man kann keine informierte Entscheidung treffen, wenn man darüber nichts weiß. Wissen, Information ist immer die Basis.
INTERVIEW: Fanny Schmolke
"Wir müssen davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte der heute menschlich ausgeübten Tätigkeiten nicht mehr stattfinden wird."