Schon am 1. "Schraubertag" wurden 30 Fahrräder repariert

Tom und François singen "Alle Vögel sind schon da", alle Strophen, weil Tom es sich gewünscht hat. "Was heißt ‚scherzen‘?" fragt er nach dem letzten Ton. "Einen Witz machen, etwas Lustiges sagen", sagt Hannah Schubach, eine junge Frau mit kurzen Haaren. Sie bringt dem Syrer Tom und dem Kameruner François - beide Anfang 30 - Deutsch bei, seit etwa zwei Monaten. Zum Unterricht bringt sie Bilderbücher und Schulhefte ihrer Kinder mit. Eigentlich steht heute das Wetter auf dem Programm, gesungen wird nur zum Ausklang der Stunde. Tom singt auch im Gospelchor von Schubachs Mann.

Gransee liegt im Landkreis Oberhavel in Brandenburg, 70 Kilometer nördlich von Berlin. Seit Ende April hat die 6000-Einwohner-Stadt ein Wohnheim mit Platz für 80 Flüchtlinge. Nach und nach sind bisher 74 Menschen eingezogen. Etwa genauso so viele Menschen aus der Stadt und der Umgebung engagieren sich in der Initiative "Willkommen in Gransee". Das Ziel: "Die Ankommenden sollen sich willkommen und unterstützt fühlen, als Basis für ein möglichst konfliktfreies Miteinander", so steht es auf der Website.

Eine der Initiatorinnen ist Viviane Zipperling. Vor vier Jahren kam sie aus der Mark Brandenburg nach Gransee. Im Oktober 2013 rief sie einen Frauengesprächskreis ins Leben. Bald nach dessen Gründung lud der Landkreis zur Bürgerversammlung, um über Pläne zu informieren, im Herbst 2014 Flüchtlinge in Gransee aufzunehmen. Viele Menschen seien mit dem Gefühl aus der Veranstaltung gegangen, der Landrat sei auf Befürchtungen und Ängste aus der Bevölkerung nicht ausreichend eingegangen, sagt Zipperling. "Wir dachten dann, dass wir uns darum kümmern müssen, die Menschen zu integrieren." Sie gründeten die Initiative - eineinhalb Jahre, bevor die ersten Flüchtlinge kamen.

Abende im Hospital Global

Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, steigt stetig, wie die Zahl der Landkreise, denen Flüchtlinge zugewiesen werden. Nach Gransee sollten bis zu 100 Menschen kommen, die Mehrzahl in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden. Statt im Herbst 2014 kamen die ersten im Frühjahr 2015.

Da wagten sich alle auf die Tanzfläche: Willkommensfest für die Asylsuchenden in Gransee

In dem roten Flachbau am Rand von Gransee "war früher das Hartz-IV-Amt untergebracht", sagt der Pförtner, der Bewohnerausweise kontrolliert und Besucherausweise ausstellt. Hinter der Glastür liegt ein langer Flur. Die Türen zu den Gemeinschaftswaschräumen und der Küche stehen offen. Draußen jagen sich zwei Kinder auf Fahrrädern. François parkt seins gerade neben dem Eingang. Er hat es selbst repariert, an einem der Schraubertage, die die Initiative "Willkommen in Gransee" organisiert hat. Fast 100 Räder wurden nach einem Aufruf gespendet, manche sogar voll funktionstüchtig. Fast 50 wurden bereits repariert. François fährt mit seinem die fünf Minuten zum Begegnungshaus, das die Initiative "Hospital Global" nennt, weil es früher ein Krankenhaus war und jetzt die Flüchtlinge, die unter anderem aus Albanien, Serbien, Syrien, dem Tschad, Kamerun und dem Iran kommen, mit den Neu- und Alt-Brandenburgern zusammenbringen soll. François nennt es "Partyhaus". Er ist oft hier. Jeden Freitag lädt die Initiative zum "Bunten Abend" in den Backsteinbau. "Wir sprechen, wir essen, wir machen alles Mögliche." Jeden Vormittag bieten Ehrenamtliche Deutschunterricht an, wie Hannah Schubach. Ein Künstlerpaar gibt Mal- und Linolschnittkurse.

Nicht alle Granseer freuen sich über die neuen Mitmenschen. Auf Facebook hat sich eine heute noch aktive Gruppe "Nein zum Heim in Gransee" gegründet. Nach der Bürgerversammlung hatte sich auch eine Initiative aus Anwohnern der Umgebung des geplanten Heims gegründet, die die Unterbringung der Flüchtlinge in Wohnungen erreichen wollte. Doch die Gruppe sei mittlerweile praktisch verschwunden, sagt Zipperling. Einmal habe die NPD in Gransee gestanden und gegen das Heim gewettert, zweimal hätten Rechte Fackelumzüge organisiert. "Als die kamen, haben wir gleich die Polizei gerufen", sagt Zipperling. "Wir sind sehr präsent in Gransee."

François war in Frankreich, bevor er nach Deutschland kam. Seit zweieinhalb Monaten ist er in Gransee. Er fühlt sich gut aufgenommen: "Die Menschen sind sehr freundlich." Die Stadt sei zwar klein, "aber dafür schlafen hier keine Menschen nachts auf der Straße wie in Paris."

www.willkommen-gransee.de