"Durchmarsch der Konzerne"

Jürgen Buxbaum

ver.di publik - Über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, die die EU mit den USA bzw. Kanada abschließen möchte, wird viel diskutiert. Doch was ist TiSA?

Jürgen Buxbaum - Die Abkürzung TiSA steht übersetzt für Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Aus unserer Sicht geht es in seinen Gefahren für Bürgerrechte, öffentliche Dienste und Demokratie über die Erstgenannten noch hinaus.

ver.di publik - Worüber wird verhandelt?

Buxbaum - Vor allem steht die Beseitigung von so genannten Hemmnissen für ausländische Investitionen im Dienstleistungsbereich im Mittelpunkt. Gemeint sind dabei Bereiche wie Bankwesen, Wasser, Energie, Transportwesen, Bildung, Gesundheit, und Kultur. Ziel ist, die schon vorhandenen Freiheiten für Konzerne zu erweitern. Durchgesickerte Dokumente belegen, dass Verhandlungsführer Kommissionen einrichten wollen, in denen Konzerne gemeinsam mit Beamten die Erforderlichkeit von öffentlichen Regulierungen unter dem Gesichtspunkt der Interessen des freien Handels prüfen.

ver.di publik - Welche Gefahren drohen dadurch öffentlichen Dienstleistungen?

Buxbaum - Es drohen weitere Privatisierungen, die man anschließend nicht mehr rückgängig machen kann. Quersubventionierungen von öffentlichem Nahverkehr oder Stadtwerken hin zu Kindergärten, Schwimmbädern oder Büchereien werden unmöglich. Wenn Regulierungen, die angeblich den Handel hemmen, abgebaut werden müssen, sind Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzbestimmungen ebenso in Gefahr wie Normen für Wasserqualität, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, Abfallbeseitigung oder Kraftwerke. Ein zentraler Punkt der Verhandlungen ist die so genannte Stillstandsklausel. Sie soll den derzeitigen Stand der so genannten Liberalisierung zementieren. Einmal privat, immer privat.

ver.di publik - Befürworter sagen, TiSA solle keine hoheitlichen Aufgaben liberalisieren. Aber wer bestimmt denn, welche Aufgaben hoheitlich sind?

Buxbaum - Dienstleistungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt sollen auch in Zukunft unangetastet bleiben. Das klingt gut, aber der Teufel steckt im Detail. Diese Dienstleistungen sind so definiert, dass sie weder kommerziellen Zwecken dienen noch im Wettbewerb mit anderen Anbietern erbracht werden. Welcher öffentliche Dienst wird heute nicht im Wettbewerb erbracht? Viele Länder haben bereits einen Teil ihrer Gefängnisse, des Gesundheitswesens oder der Steuereintreibung dem Wettbewerb preisgegeben. Die USA betreiben sogar Militäreinsätze mit privaten Sicherheitsfirmen.

ver.di publik - Wie kann es sein, dass über Abkommen mit solch weitreichenden Konsequenzen geheim verhandelt wird?

Buxbaum - Ich denke, dass jeder, der die Recherchen internationaler Experten zu den Verhandlungen und die durchgesickerten Dokumente liest, versteht, dass es einen Aufschrei geben würde, wenn all dies im hellen Licht der Öffentlichkeit verhandelt würde. Es ist offensichtlich, dass die Lobbyisten vollendete Tatsachen schaffen wollen - was ihnen jetzt jedoch nicht mehr zu gelingen scheint.

ver.di publik - Warum lassen sich demokratisch gewählte Regierungen darauf ein?

Buxbaum - Deren Verhalten macht uns in der IÖD, ehrlich gesagt, sprachlos. Ich kann es mir nur so erklären, dass der Einfluss der Lobbyisten sehr groß ist, dass viele einzelne Abgeordnete sich mit der Kompliziertheit der Materie nicht befassen können oder wollen und dass manche von ihnen auf die mehrfach widerlegten Versprechungen von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen hereinfallen.

ver.di publik - Welche Gefahren drohen den Arbeitnehmerrechten durch TiSA?

Buxbaum - Arbeits- und Gesundheitsschutzbestimmungen sind aus Sicht privater Anbieter eindeutig Handelshemmnisse. Das Gleiche gilt für das Recht, Betriebsräte zu gründen, Betriebsversammlungen abzuhalten, sich auf Kündigungsschutz zu berufen. Der Stand der Handelsfreiheit in einem Land soll das Minimum der Handelsfreiheit für alle TiSA-Länder begründen.

ver.di publik - Wie können Gewerkschaften bei aller Geheimhaltung die Verhandlungen beeinflussen?

Buxbaum - Die IÖD wertet sorgfältig alle durchgesickerten Verhandlungsdokumente und veröffentlichten Stellungnahmen von Regierungen und Verhandlungsführern aus. Wir tun dies, um alle unsere Mitgliedsgewerkschaften zu informieren. Diese wiederum rütteln in breiten Bündnissen mit verschiedensten gesellschaftlichen Gruppierungen die Öffentlichkeit auf, um auf diese Weise die Regierungen unter Druck zu setzen. Wenn wir unsere demokratische Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir alles tun, um diesen beispiellosen Durchmarsch der privaten Konzerne zu verhindern.

Interview: Heike Langenberg

Bericht Seite 9


Wer steht hinter TiSA?

Hinter verschlossenen Türen verhandeln 51 Staaten über das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen TiSA. Diese Staaten beherrschen bereits heute gut zwei Drittel des Welthandels mit Dienstleistungen. Dazu gehören die USA, EU und Japan sowie einige wirtschaftlich mittlere und kleine Länder. Ausgeschlossen sind Länder wie China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika. Treibende Kraft der Verhandlungen war zunächst die Koalition der Dienstleistungsindustrie in den USA, die CSI, der sich die Globale Dienstleistungskoalition GSC angeschlossen hat, also Lobbyverbände, in denen die meisten Wirtschaftsriesen der Branche organisiert sind.

Demo gegen TTIP und CETA

Für den 10. Oktober rufen ver.di sowie andere Gewerkschaften und Organisationen zu einer bundesweiten Großdemonstration gegen TTIP und CETA und für einen gerechten Welthandel auf. Um 12 Uhr ist der Treffpunkt am Berliner Hauptbahnhof, um 15 Uhr beginnt die Kundgebung am Brandenburger Tor.

http://ttip-demo.de