Zwei bunte Demonstrationszüge treffen sich am Regierungsviertel in Berlin: die Streikenden von der Charité und von der Deutschen Post AG

Trotz der Hitze, die am 2. Juli herrscht - dies ist für viele ein Gänsehautmoment. Der Demonstrationszug der streikenden Charité-Beschäftigten erreicht auf dem Weg vom Campus Mitte des Berliner Unikinikums die Spree, mit Blick aufs Regierungsviertel und plötzlich auch auf den Gegenzug: Die Streikenden der Post ziehen über die Brücke. Am Ufer treffen sich beide Züge. Um 5 vor 12 schwillt der Lärm an. Bis in den Bundestag sollte man ihn hören.

Dabei ist auch Ulla Hedemann von der Charité-Streikleitung. Die Krankenschwester arbeitet auf der Kinder-Intensivstation des Campus Virchow-Klinik. "Zehn Tage Streik für mehr Personal liegen jetzt hinter uns", sagt sie. "Mehr als 1000 Charité-Betten sind leer geblieben." Wichtig war für Ulla Hedemann, dass ihre Kolleg/innen auf der Station ihr den Rücken freigehalten haben. "Und dass so viele mitgestreikt haben."

Am Vortag hatten noch Patienten von ihren Erfahrungen mit der Pflege in der Charité berichtet. Vom Zeitdruck, vom ständigen Hasten und Rennen. Davon, dass Angehörige immer mehr Hilfe leisteten, weil es nicht anders ginge bei so wenig Personal. Der Vater eines fünfjährigen Jungen hatte erzählt, wie wichtig es für die Familie sei, dass die Pflegekräfte auch Zeit für ein Gespräch haben. Sein Sohn brauche diese Zuwendung, um die Krebserkrankung zu überwinden. Deshalb unterstütze die Familie den Streik wie so viele Patienten und Angehörige. "Um uns geht es dabei schließlich auch."

Mindeststandards für die Besetzung auf den Stationen

In ihrem Eckpunktepapier für den künftigen Tarifvertrag Gesundheit und Demografie haben ver.di und die Geschäftsführung der Charité sich darauf verständigt, Regelungen festzulegen, die die Arbeitsbelastung in allen Bereichen des Klinikums reduzieren. Kriterien für die Belastung sollen definiert und klare Standards für die Mindestbesetzung festgelegt werden.

"Auf den Fluren werden keine Patienten mehr liegen", sagt Carsten Becker, der Vorsitzende der ver.di-Betriebsgruppe an der Charité. Wie viele Patienten aufgenommen werden können - das wird sich nach der Arbeitsbelastung richten, nicht nach vorhandenen Räumen, in die man noch ein paar Betten quetschen könnte. Mehr als 100 Charité-Beschäftigte aus allen Bereichen sind als "ver.di-Tarifberater/innen" aktiv. Sie entwickeln Kriterien dafür, was geleistet werden muss - und kann. Schon jetzt ist klar, dass in der Intensivmedizin eine Pflegekraft für zwei Schwerkranke da sein soll. In der Kinderklinik soll der Schlüssel 1 : 6,5 gelten. Und auch diese Forderung der Streikenden wird erfüllt: "Keine Nacht allein!" Denn wenn nur eine Pflegekraft nachts für eine Station mit mehr als 30 Patienten zuständig ist, ist das zu viel Arbeit und zu viel Verantwortung - und gefährlich kann es auch werden.

"Befristete Arbeitsverträge werden jetzt entfristet", sagt Carsten Becker. "Das ist die erste Veränderung, die man spüren wird." Im Tarifvertrag werde auch die "Aufstockung des Stammpersonals" festgelegt. Was bedeutet: Weniger Leiharbeitskräfte auf den Stationen, Schluss mit dem ständigen Wechsel der Schwestern und Pfleger.

ver.di fordert die gesetzliche Personalbemessung

Seit 2012 haben ver.di und viele Charité-Beschäftigte unter dem Motto "Mehr von uns ist besser für alle" für mehr Personal gestritten. Nach zwei Warnstreiks im April dieses Jahres entschieden sich dann fast alle ver.di-Mitglieder in einer Urabstimmung für Streik. Seitdem sind 450 Beschäftigte am Klinikum in die Gewerkschaft eingetreten. Bundesweit haben Pflegekräfte den Streik unterstützt, ebenso wie die Öffentlichkeit, wie Ärzte und Patienten. "Mehr Personal wird überall gebraucht", sagt Becker. "Deshalb fordern wir eine gesetzliche Personalbemessung." Jetzt seien die Politiker am Zug.