Ausgabe 02/2018
Am Widerstand gewachsen
Sie sind noch frisch gewählte Mitbestimmer beim Einzelhandelsriesen Netto Marken Discount im Herzen Niedersachsens: Lisa Chacholla und ihre Mitstreiter/innen wurden am 21. Dezember 2017 in die bundesweit zweite Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) bei Netto in der Betriebsratsregion Hodenhagen / Ganderkesee gewählt. Die neue JAV vertritt die Interessen von über 2.000 Auszubildenden und jungen Beschäftigten aus mehr als 500 Filialen. Bundesweit beschäftigt das Unternehmen derzeit rund 5.200 Auszubildende. Doch eine Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung gibt es beim drittgrößten Discounter Deutschlands bislang nicht.
Vom Arbeitgeber schikaniert
Und auch der Weg bis zur Wahl der niedersächsischen JAV war von Schwierigkeiten gesäumt. "Der Arbeitgeber Netto hat viel getan, um die Wahl zu verhindern", sagt Franziska Foullong von der ver.di Jugend im Handel. Die Kandidatinnen und Kandidaten und die unterstützenden Betriebsräte seien mit klassischen Union-Busting-Methoden blockiert worden. Darüber verging fast ein Jahr von der Bildung des JAV-Wahlvorstandes im Januar 2017 bis zur konstituierenden Sitzung der JAV im Dezember 2017. Der Arbeitgeber habe das gesamte Wahlverfahren absichtlich hinausgezögert, indem er die Wahlausschreibung und die Wahlunterlagen mehr als zehn Mal korrigieren ließ.
Zudem habe sich Netto zunächst geweigert, die Portokosten für den Versand der Wahlunterlagen zu übernehmen, sagt Sven Kowalczyk, Betriebsrat und JAV-Wahlvorstand. "Das war eine unheimliche Zitterpartie, ob wir die Wahlunterlagen noch rechtzeitig vor dem Wahltermin an alle Wahlberechtigten würden schicken können", erinnert er sich. Am Ende seien die 1.200 Briefe einen Tag vor dem Wahltermin verschickt worden.
"Wir haben viel kostbare Zeit verloren", sagt die Vorsitzende der neuen JAV, Lisa Chacholla. Sie hätte gerne früher mit der eigentlichen JAV-Arbeit losgelegt und sich nicht mit den Verzögerungsversuchen des Arbeitgebers beschäftigt. Die 24-jährige Einzelhandelskauffrau schildert die Zeit rund um die JAV-Wahl als "stressig und unübersichtlich". Die größte Verwirrung aber sei aufgekommen, als Netto sich weigerte, das Wahlergebnis in den Filialen auszuhängen.
Die Bekanntmachung ist jedoch eine Grundvoraussetzung, um die Wahl auch formell abzuschließen. Laut Paragraph 18 des Betriebsverfassungsgesetzes kann eine tatsächliche Anfechtung der Wahl nur vor einem Arbeitsgericht entschieden werden. Der JAV-Wahlvorstand berief deshalb Ende Dezember 2017, trotz zweimaliger Untersagung durch den Arbeitgeber, die konstituierende Sitzung der JAV ein.
Der Betriebsrat stand zur Seite
Die frisch gewählten JAV-Mitglieder befürchteten zeitweilig, sich in einer rechtlichen Grauzone zu befinden. "Doch die drei Betriebsratskollegen, die auch den JAV-Wahlvorstand gebildet haben, standen uns wirklich Tag und Nacht zur Seite. Moralisch und mit all ihrem Wissen", sagt Lena Herz. Die 22-jährige Auszubildende ist ebenfalls Mitglied der JAV. Von Netto fühlt sie sich ausgebremst. Ihr Vorgesetzter habe sie nach der Wahl in einem persönlichen Gespräch darüber informiert, dass sie nicht an den Sitzungen der JAV teilnehmen dürfe, sondern in dieser Zeit arbeiten müsse. Zweimal sei sie deshalb tatsächlich nicht zu den JAV-Sitzungen gegangen. "Bei so viel Gegenwind durch den Arbeitgeber musste ich erst lernen, welche Rechte wir als JAV-Mitglieder haben", sagt Lena Herz. Inzwischen habe der Betriebsrat die Situation geklärt.
Eilantrag ans Arbeitsgericht
"Wir haben einen Eilantrag beim Arbeitsgericht Celle eingereicht, denn das Verhalten von Netto konnten wir nicht akzeptieren. Es ist rechtswidrig", sagt Sven Kowalczyk. In einem Gütetermin hat Netto die Wahl der JAV inzwischen anerkannt, sodass die frisch gewählten Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit nun auch offiziell aufnehmen konnten. Abgeschlossen ist das Verfahren gegen Netto allerdings noch nicht. Am 19. März wird in Celle über weitere offene Punkte verhandelt. Sven Kowalczyk berichtet unter anderem von ausstehenden Reisekosten in Höhe von 2.500 Euro, die bei seiner Tätigkeit als JAV-Wahlvorstand entstanden sind. Netto hat die Kosten bis zum Andruck dieser ver.di publik nicht erstattet. Der betreuende ver.di-Jugendsekretär Franz Hartmann aus Bremen, sagt dazu: "Netto versucht systematisch, die engagierten Betriebsräte finanziell auszutrocknen."
"Wir kämpfen diesen Kampf"
Doch da ist das Handelsunternehmen bei Sven Kowalczyk an der falschen Adresse. Der 36-jährige JAV-Wahlvorstand und Betriebsrat will sich trotz der finanziellen Belastung und des Ärgers auch weiterhin für die Mitbestimmung einsetzen. "Wir kämpfen diesen Kampf, um die JAV zu schützen", sagt er. Einige wenige JAV-Mitglieder seien trotzdem schnell wieder aus der JAV ausgeschieden, weil der Druck durch den Arbeitgeber zu hoch gewesen sei. Den restlichen JAV-Mitgliedern werde er in ihrer Amtszeit bis zum Oktober 2020 weiter den Rücken stärken.
Und auch Lena Herz und Lisa Chacholla sind überzeugt: Eine JAV kann viel erreichen, wenn die Mitglieder zusammenhalten. Sven Kowalczyk unterstützt sie, darauf können sie vertrauen. An Widerständen kann man nur wachsen. Das hat auch Netto zu spüren bekommen.
Jetzt wird gewählt
Vom 1. März bis zum 31. Mai werden in großen wie in kleinen Betrieben und Unternehmen neue Betriebsräte gewählt. Dort, wo es bislang noch keine Betriebsräte gibt, kann übrigens jederzeit eine neue Interessenvertretung gewählt werden. Dazu empfiehlt es sich, vorher Kontakt zum zuständigen ver.di-Bezirk aufzunehmen, damit man rechtlich auf der sicheren Seite ist: https://br-wahl.verdi.de
Auch die Wahlen zur Jugend-und Auszubildendenvertretung im öffentlichen Dienst auf Bundesebene finden vom 1. März bis zum 31. Mai statt. Gewählt wird wieder für die nächsten zwei Jahre. In der Privatwirtschaft beginnt der nächste reguläre Wahlturnus im Oktober 2020. Weitere Informationen zu den JAV-Wahlen bietet die ver.di-Jugend auf ihrem Serviceportal: http://www.jav.info