Ausgabe 01/2019
Wer A sagt, muss auch B sagen
Die Fahrgastzahlen steigen, nur das Personal nicht. Und an Fahrzeugen und Wartung mangelt es der BVG auch
Berlin – „Alle aussteigen bitte, der Zug ist defekt!“ Der U-Bahn-Fahrer beherrscht sich mühsam, die Fahrgäste grummeln. Kein guter Tagesbeginn. Doch der Vorfall passt ins Bild: Ausfälle und Verspätungen bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) liegen auf Rekordhoch. Seit Monaten wird über fehlende Fahrzeuge, unzureichende Werkstattkapazitäten, nötigen Streckenausbau, marode Tunnel, Busse und Straßenbahnen im Stau, die Tücken der Dienstplanung, über fehlendes Personal in Fahrdienst und Werkstätten debattiert. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Die BVG hält sich mit nötigen Investitionen stark zurück.
Wahr ist aber auch: Die BVG hat erneut mehr Fahrgäste transportiert. 1,1 Milliarden waren es 2018. Beschäftigte bei U-Bahnen, Bussen und Tram geben ihr Bestes, oft bis an die Grenze der Belastbarkeit. Belohnt sehen sie sich dafür nicht, die Fluktuation ist hoch. Bei Entgelt und Arbeitsbedingungen landen die 14.200 Berliner Nahverkehrsbeschäftigten von BVG und der Tochter Berlin Transport auf dem vorletzten Platz im Bundesvergleich. „Da muss ganz dringend etwas geschehen“, sagt der Gesamtpersonalratsvorsitzende Lothar Stephan. Existenzsichernde Einkommen stehen für ihn ganz obenan. „Wenn die Landespolitik Ernst macht und den Vergabe-Mindestlohn auf 11,30 und demnächst 12,63 Euro erhöhen will, müssten unsere unteren Lohngruppen komplett gestrichen werden.“
Andere bieten mehr
Große Verwunderung hätten die aktuellen Verdienste der BVGer neulich im Abgeordnetenhaus hervorgerufen, sagt Frank Kulicke, Stephans Personalratskollege von der Straßenbahn. „Die Beschäftigten wollen einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Viele sagen: Wenn in dieser Tarifrunde nichts für sie rumkommt, gehen sie. Andere kommunale Unternehmen oder die S-Bahn bieten mehr.“
Für ver.di-Verhandlungsführer Jeremy Arndt geht es an erster Stelle um die Arbeitsbedingungen. Verbesserungen sind für ihn der Schlüssel, die BVG wieder zu einem konkurrenzfähigen Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt zu machen. Nur dann seien auch die für 2019 geplanten 1.100 Neueinstellungen in Fahrdienst und Instandhaltung realistisch. „Unsere Mitgliederbefragung im vergangen Sommer ergab: Neben dem Entgelt hat der Faktor Arbeitszeit bei den Beschäftigten einen hohen Stellenwert“, sagt Arndt.
Ab 28. Januar steht bei der BVG der Manteltarif zur Verhandlung. Eine 36,5-Stunden-Woche für alle bei vollem Lohnausgleich ist ein Ziel der ver.di-Tarifkommission. Das würde die seit September 2005 Eingestellten mit den Altbeschäftigten der BVG gleichstellen. Und das Unternehmen etwa 33 Millionen Euro kosten. Nicht billig wäre es auch, die Entgeltordnung zeitgemäß zu überarbeiten. Kürzere Stufenlaufzeiten und höhere Entgeltgruppen müssten vereinbart werden, um den Beschäftigten mehr Perspektive zu bieten. Die Schieflage, dass bisherige Eingruppierungen nach der Tätigkeit die persönliche Qualifikation weitgehend außer Acht lassen, gehöre mit in den Blick.
Mitgliedervorteil: 500 Euro Einmalzahlung
Als „klein, aber wirkungsvoll“, schätzt Jeremy Arndt die dritte Manteltarifforderung ein: Wer bei der BVG eine Ausbildung absolviert hat, soll bereits im ersten Beschäftigungsjahr Weihnachtsgeld erhalten. „Das hat mit Wertschätzung zu tun“, sagt Arndt. Und nicht zuletzt will ver.di zudem einen „Mitgliedervorteil“ erreichen. 500 Euro Einmalzahlung für alle Gewerkschaftsmitglieder sind das Ziel. Bei der Hamburger Hochbahn wurde das zuletzt durchgesetzt, warum nicht bei der BVG?
„Das Forderungspaket ist groß, aber nötig“, sagt der Verhandlungsführer. Es geht um insgesamt 60 Millionen Euro zusätzlich. Die durchzubekommen wird um so schwieriger, als ab März auch das Entgelt zur Debatte steht. Die BVG werde Tariferhöhungen nicht aus eigenen Mitteln stemmen können, sind sich die ver.di-Aktiven sicher. „Seit zwei Jahren hat es keine Fahrpreiserhöhungen gegeben“, erinnert Tarifkommissionsmitglied Lothar Stephan. Die für die Fahrgäste begrüßenswerte politische Entscheidung schmälere allerdings die zweite Finanzierungssäule der BVG. Und wer A sagt, müsse dann auch B sagen, sagt er in Richtung Berliner Senat. „Die BVGer sind kampfbereit“, sagt Jeremy Arndt und sieht auch die Landespolitik mit in der Pflicht.