Der Begriff Fairness taucht in jedem Unternehmensleitbild auf – zur Erfahrung einiger Betriebsräte bei Aldi Nord passt er schlecht. Gegen unbequeme Interessenvertretungen geht man im Reich der Discount-Erfinder rabiat vor.

Betriebsratsvorsitzender Uli Kring trägt Verantwortung für über 1.000 Beschäftigte in 59 Filialen der Niederlassung Bad Laasphe (Nordrhein-Westfalen). Ein harter Job. Immer wieder gibt es dort Anfeindungen und anonyme Briefe mit üblen Verleumdungen. "Du und deine Verdi macht unseren Aldi nicht kaputt!", so eine der Hassbotschaften. Dabei ist der Rückhalt für Kring groß. 11 von 15 Betriebsratsmandaten entfielen bei der letzten Wahl an seine ver.di-Liste. Vermutlich ist das ein Grund für den Ärger – und wie das Management in solchen Fällen versucht hat, die Verhältnisse zu "drehen", ist eindeutig belegt.

Dr. Emil Huber leistet seit über 40 Jahren diverse Dienste für die Aldi-Gründer und ihre Erben. Zunächst als Rechtsbeistand, später als enger Vertrauter mit Büro in der Essener Nord-Zentrale. Für das "Handelsblatt" ist Huber "der große Strippenzieher". Er sitzt auch im Vorstand der Markus-Stiftung, die mit 61 Prozent der Aldi-Nord-Anteile wichtigste Macht- und Finanzzentrale der Eigentümer ist.

Brisantes Papier

Umso bedeutsamer ist ein von ihm zu verantwortendes Strategiepapier, verfasst für das Top-Management. Gezeichnet mit dem Kürzel HU für Huber, ist diese Blaupause für Betriebsratsmobbing vor einiger Zeit in die richtigen Hände gefallen. Empfohlen wird darin "eine Aufklärungskampagne gegen den BR" in Schwelm, um dessen Widerstand gegen längere Geschäftszeiten zu brechen. Diese Kampagne sollte "wie seinerzeit in Berlin" auf Rundschreiben von Filialleitern aufbauen, um den Betriebsrat (BR) "innerbetrieblich als Störer" darzustellen. Für eine Unterschriftenaktion gibt es im Huber-Papier vorsorglich Formulierungshilfe: "Wir wollen nicht, dass mit den vom BR zu verantwortenden Umsatzeinbußen für uns zunächst Vergütungseinbußen und später Arbeitsplatzgefährdungen einhergehen."

Das planvolle Vorgehen gegen Interessenvertretungen, die nicht nach der Aldi-Pfeife tanzen, zieht sich über die Jahre bis heute hin. Bereits 2002 gingen einige Filialleiter bei Aldi Berlin und Aldi Großbeeren mit Verleumdungen gegen ver.di-geführte Betriebsräte vor. Der Slogan "Wer die Falschen wählt, muss mit weniger Geld rechnen" machte die Runde und führte die zeitweise von Aldi mitfinanzierte "Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger" (AUB) zum Erfolg.

"Aldianer" attackieren

Die siegreichen Listen, auf die im Strategiepapier verwiesen wird, stellten sich als "Aldianer" zur Wahl. Schaut man sich an, was heute einige in Bad Laasphe unter dem Label "Aldianer" treiben, fällt nicht nur die Namensgleichheit auf. Auch die Vorgehensweise ist nahezu identisch.

Seit Wochen ziehen die "Aldianer" dort alle Register, um zu diffamieren. Das reicht von einem offenen Brief, in dem 20 Filialleiter dem Betriebsratsvorsitzenden Uli Kring ein drohendes Verhalten andichten und ihn für unerwünscht erklären. Einige stürmten Ende Juli die Betriebsratssitzung. "Solche Attacken auf demokratisch gewählte Betriebsräte müssen umgehend gestoppt werden", fordert Orhan Akman, der bei ver.di die Bundesfachgruppe Einzelhandel leitet.

Besonders starker Tobak findet sich im Begleitschreiben der "Aldianer" für eine Unterschriftenaktion. Sie unterstellen, dass der Betriebsratsvorsitzende Arbeitsplätze gefährde und "ausschließlich aus persönlichem Interesse der Gesellschaft schaden will". Der Brief richtet sich an den Gesamtverantwortlichen von Aldi Nord, Torsten Hufnagel.

Video umgedeutet

Ein anderes perfides Manöver startete bei der Betriebsversammlung im September: Einer der Anführer der "echten Kaufleute", wie sie sich auch nennen, spielte eine Videosequenz von ver.di-TV aus dem Jahre 2016 vor. Kring ist dort mit der Aussage zu hören: "Mit ein bisschen Angst verbreiten erreicht man alles." Der "Aldianer" kommentierte dies vorwurfsvoll mit der Bemerkung: "Das ist euer Betriebsratsvorsitzender!"

Bewusst verschwiegen wurde, dass in dem Video die Strategie des Arbeitgebers Aldi Nord aufgedeckt wurde, mit erpresserischem Druck zum Ziele zu kommen.

Konkret geht es um neue Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen zu einem Arbeitszeitmodell, bei dem die Nachteile stark überwiegen. So soll der Betriebsrat auf seine Mitbestimmungsrechte bei Mehrarbeit verzichten, Überstunden wären bis zur gesetzlichen Höchstgrenze pauschal genehmigt. Und auch in Bad Laasphe will die Geschäftsführung jetzt eine spezielle Formulierung in die Arbeitsverträge einbauen. Sie kann als Drohung mit dem Ausstieg aus der Tarifbindung verstanden werden, selbst wenn Aldi Nord aktuell seine Tariftreue beteuert.

Und hier schließt sich der Kreis. Anfänglich sollen rund die Hälfte der über 30 Betriebsräte ihre Zustimmung zu den Aldi-Plänen verweigert haben, während die AUB-beeinflussten Gremien schnell grünes Licht gaben. Um die 100 Prozent voll zu machen, griffen viele Geschäftsführer zu einem bekannten Szenario: Sie drohten mit Standortschließungen, Investitionsstopps oder der Fuhrparkausgliederung. Das zeigte fast überall Wirkung. Ausnahmen sind Bad Laasphe und das nördlich von Hamburg gelegene Horst.

Solidarität ist dringend notwendig, denn die negative Tradition der von Emil Huber skizzierten Maßnahmen setzt sich fort. Die Delegierten des ver.di-Kongresses kritisierten Ende September die "massiven Angriffe auf demokratisch gewählte Betriebsräte". Eine Protestpetition im Internet hat der Fachbereich Handel gestartet. ver.di unterstützt Uli Kring und sein Team dabei, gerichtlich gegen die Behinderung der Betriebsratsarbeit bei Aldi Nord vorzugehen. "Diese ganze Nummer läuft schon seit Jahren", kommentiert Kring das Mobbing. Dabei haben die Verleumdungen eine besondere Intensität erreicht.

Das bewegte jetzt einen Ex-Personalverantwortlichen aus Bad Laasphe zu einem kritischen Gastkommentar für die Zeitung des Betriebsrates: Er appelliert darin, demokratische Werte jeden Tag auch am Arbeitsplatz zu verteidigen – ein für den verschlossenen Discounter Aldi sensationeller Vorgang.