"Nur eine Notlösung"

Rahel Schmidt, Sozialarbeiterin, Kinder und Jugendzentrum in der Reduit, Wiesbaden

Weil wir schließen mussten, haben wir überlegt, wie wir digital Kontakt zu unseren Kindern und Jugendlichen halten können. Bei unseren Jugendlichen wussten wir, dass sie Instagram stark nutzen – tatsächlich fast als einziges Medium. Deshalb haben wir uns dafür ein Konzept überlegt. Seit zehn Wochen sind wir nun zweimal wöchentlich live auf Instagram. Montags wird im Live-Chat kreativ gestaltet und donnerstags gekocht. Die Jugendlichen können sich zuschalten, zuschauen und kommentieren. Die ersten zehn Zuschauer bekommen im Anschluss das gekochte Essen oder die Basteltüte von uns geliefert. Diese Live-Chats funktionieren sehr gut. Am Anfang haben etwa 20 Jugendliche zugeguckt und 100 sind uns gefolgt. Jetzt haben wir wöchentlich um die 60, die einschalten und 300, die uns folgen.

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Foto: privat

Für die Kinder haben wir in der Schließzeit einen YouTube-Kanal bestückt. Bei ihnen wollten wir keinen interaktiven Rahmen wie bei den Jugendlichen, da war es wichtiger, dass sie ihre Bezugspersonen sehen. Einmal wöchentlich haben unsere Mitarbeiter*innen Back-, Koch-, Bastel-Tutorials u.v.m. hochgeladen. Auch das wurde sehr gut angenommen.

Seit zwei Wochen ist unser Zentrum wieder geöffnet, aber wegen der Abstandsregeln eingeschränkter. Offene Jugendarbeit ist immer noch nicht möglich. Deshalb haben wir unser Instagram-Format erstmal beibehalten. Dadurch erreichen wir mehr Jugendliche und können Bezug und Bindung erhalten. Zum Glück können wir jetzt wieder mit unseren Kids lernen. Da haben sie einen hohen Bedarf, gerade mit diesem Homeschooling. Viele haben zu Hause nicht gerade eine gute Ausstattung. Alle gehen immer davon aus, dass die Jugend top digitalisiert ist und Zugang zu allem hat, aber das ist einfach nicht so. In den Familien gibt es vielleicht ein Smartphone und eine Alditalk-Flat, aber oft sind keine Laptops, Computer, Drucker oder ein Internetanschluss vorhanden, schon gar nicht Programme wie Word. Die waren total überfordert, wussten nicht, wie sie das Homeschooling schaffen sollen. Wir haben für sie Sachen ausgedruckt, vorbeigebracht, per Zoom mit ihnen Hausaufgaben gemacht. Das war eine ganz schön anstrengende Zeit. Ich glaube, da sind viele verloren gegangen, was das Schulische angeht. Und die, die vielleicht eh schon Probleme haben, in der Schule mitzukommen, wurden da endgültig abgehängt.

Zusammenfassend kann ich sagen: Es war toll, dass wir die digitalen Möglichkeiten hatten und so Kontakt zu unseren Kids halten und selber weiter kreativ arbeiten konnten. Es wäre auch schön, manche digitalen Formate beibehalten zu können – wegen der Reichweite –, aber dazu ist es zu zeitintensiv. Wenn wir wieder komplett öffnen können, möchten wir mit den Kindern und Jugendlichen vor Ort arbeiten und unsere Zeit dahingehend investieren. Das Digitale war jetzt nur eine gute Not- lösung. Es ist wichtig, die Kids persönlich zu sehen und zu sprechen, um auch Problemlagen zu erkennen. Das ist über soziale Medien unglaublich schwierig. Persön- lichen, sozialen Austausch kann man durch soziale Medien nicht ersetzen.

Allerdings wird die Tragweite des Phänomens maßlos überschätzt. Aufgrund der Pandemie sind acht von zehn Angestellten, deren Job es ermöglichte, ins Homeoffice geschickt worden. Und doch ist das im Verhältnis zur Gesamtheit der Berufstätigen lediglich ein knappes Viertel. Nach wie vor sind die meisten Aufgaben nicht digitalisierbar. Und das sollte eben die eigentliche Lehre aus der Corona-Krise sein: Ohne Krankenpfleger*innen, Feuerwehrleute, Verkäufer*innen, Handwerker*innen, Busfahrer*innen oder Erntehelfer*innen kann eine Gesellschaft keine Woche überleben.

Doch sind solche Berufe am schlechtesten bezahlt und – auch gegen Viren – ungeschützt. Sollten sich die Zukunftsplaner nicht eher um bessere Bedingungen in "systemrelevanten" Branchen kümmern? Zumal das Beispiel Amazon zeigt, dass digitale Dienste und Künstliche Intelligenz nicht weniger, sondern mehr prekäre Jobs in Warenlagern, elektronischen Sweatshops und Paketdienstzulieferfirmen schaffen.

Um den angeblich alternativlosen Digitalisierungsprozess zu begreifen, müssen wir das Augenmerk auf die USA richten. Schließlich sind dort die Tech-Giganten ansässig, die unseren Lebensalltag bestimmen: Microsoft, Apple, Google, Amazon, Facebook, neuerdings auch der Videokonferenz-Anbieter Zoom, der dank Corona 200 Millionen Nutzer gewonnen hat und dessen Aktienwert um 300 Prozent angestiegen ist. Dort wird unaufhörlich eine Welt entworfen, in der Geschäfte, Schulen, Arztpraxen, Kinos, Fitnessstudios, womöglich Gefängnisse und natürlich auch Büros überflüssig gemacht und durch digitale Leistungen ersetzt werden. Das Domizil muss niemals verlassen werden, alle zwischenmenschlichen Beziehungen vermittelt ein Privatkonzern.

Was nach negativer Utopie klingt, ist mit Corona-bedingten Ausgangsperren ein Stück Wirklichkeit geworden, und die besagten Konzerne wollen es verständlicherweise gern vorantreiben. Das Projekt denkt gewaltige politische Maßnahmen mit. Es setzt massive staatliche Investitionen in KI-Forschung und digitale Infrastrukturen voraus, wie es bereits die konkurrierende Großmacht China vormacht. Bloß werden die zu diesem Zweck verwendeten Summen dann für Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme fehlen, bemerkt Globalisierungskritikerin Naomi Klein: "Wir ste- hen vor der realen und schwierigen Wahl: Entweder wird in Menschen investiert, oder in Technologie. Für beides wird das Geld höchstwahrscheinlich nicht reichen."

Wirtschaftsexperten beteuern, Deutschland dürfe die digitale Transformation nicht verpassen, um in dem durch die Krise verschärften globalen Wettbewerb mithalten zu können. Es fragt sich jedoch, ob der Wandel nicht mehr Menschen auszuschließen droht als zu integrieren? Und ob es wünschenswert ist, profitorientierten Konzernen die Gestaltung des sozialen Miteinanders zu überlassen? Der Post- Corona Zeit stehen große Entscheidungen bevor.

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Foto: privat

"Für uns ist es Knochenarbeit"

Edith Kaißer, Amazon Leipzig

Am Anfang des Lockdowns war es der Horror. Es sind so viele Bestellungen eingegangen. Nudeln, Reis, Tiernahrung, Sexspielzeug, Kondome – es wurde alles Mögliche bestellt. Wir hatten ein extrem hohes Arbeitspensum und nicht genug Personal. In der Produktion ging ja kein Homeoffice, aber es sind viele wegen Kinderbetreuung ausgefallen. Erst vor ungefähr sechs Wochen wurden bei uns ein paar Leute eingestellt – aber nur befristet bis Juli. Wir haben das also mit dem wenigen Personal gestemmt. Es gab zwar Zuschüsse und zwei Euro mehr die Stunde. Die gibt's aber jetzt nicht mehr, weil Corona angeblich vorbei ist.

Jeder Kunde ist zwar gut für das Unternehmen, und es sichert natürlich auch unsere Arbeitsplätze. Aber auf der anderen Seite ist es für uns Knochenarbeit. Wenn mehr bestellt wird, müssen wir mehr arbeiten. Und natürlich die Logistiker und Zusteller. Durch die ganze Digitalisierung bestellen die Leute mehr, es muss mehr kommissioniert, mehr transportiert und mehr ausgeliefert werden. Das finde ich nicht gut.

Schlecht finde ich auch, dass keine Meetings mehr im persönlichen Kontakt stattfinden. Alles läuft nur über Video- oder Telefonkonferenzen. Bei Telefonkonferenzen mit vielen Leuten versteht man oft nur die Hälfte. Und man sieht keine Mimik und Gestik. Ich persönlich finde es furchtbar. Ich habe gern ein Gegenüber, wenn ich mich unterhalte. Zum Glück lockert es sich langsam etwas, man darf sich jetzt wieder in 5er-Gruppen treffen.

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Ingo Rappers

"Die Möglichkeit ist toll, aber ..."

Kai Reinartz, Deutsche Rentenversicherung, Düsseldorf

Bei uns war es vor Corona so, dass fast alle in Präsenz gearbeitet haben. Ganz wenige – rund 100 von 4.000 Mitarbeiter*innen – waren in alternierender Telearbeit oder mobiler Arbeit. Mit der Corona-Krise ist das extrem nach oben gefahren worden. Gut ein Drittel der Belegschaft hat jetzt einen Zugriff auf mobiles Arbeiten, was ich sehr gut finde. So haben unsere Kolleg*innen, die Risikogruppen angehören oder Kinder betreuen müssen, die Möglichkeit, weiterhin an der Arbeitswelt teilzuhaben. Allerdings hat es auch Tücken: Mal eben eine*n Kolleg*in im Homeoffice um Meinung oder Rat zu einem Sachverhalt zu fragen, geht nur per Telefon oder Mail, was oft Überwindung kostet. Von Kolleg*innen im Homeoffice wird mir auch oft die Frage gestellt, was es "auf der Arbeit" Neues gibt. Man merkt, dass das soziale Gefüge fehlt.

Was noch positiv ist: Wir haben Rentenanträge sonst immer körperlich aufgenommen. Das machen wir jetzt telefonisch. Die Antragstellenden müssen nicht mehr zu uns in die Beratungsstellen kommen, sondern bekommen zum vereinbarten Termin einen Anruf und der Antrag wird aufgenommen. Das schont die Nerven und ist auch ein schöner Aspekt für die Umwelt, weil Autofahrten vermieden werden. Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht. Aber manchmal ist es auch nicht leicht, die komplexe Rentenberechnung oder einzelne Lücken im Versicherungsverlauf zu erklären. Es fehlen Mimik und Gestik oder der gemeinsame Blick auf die Unterlagen. Das ist bisher (noch) nicht möglich.

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FOTO: privat

"Das Zwischenmenschliche fehlt"

Stefanie Hartmann, Telekom, Callcenter, Magdeburg

An unserem Standort sind fast alle ins Homeoffice gegangen. Von 120 sind nur zwölf geblieben. In meinem Team sind nur noch zwei Leute vor Ort – ein Mitarbeiter und ich. Ich habe mich bewusst gegen Homeoffice entschieden, weil ich für mich dieses Stück Normalität brauchte und dieses Gefühl, rauszukommen. Außerdem habe ich zwei Kinder, 13 und 16 Jahre alt, und ich hätte denen Lebensraum genommen. Die waren ja auch zu Hause und hätten die acht Stunden, die ich arbeiten muss, ruhig sein müssen. Das wollte ich nicht.

Was ich als sehr angenehm empfinde, ist diese Ruhe im Großraumbüro. Das ist ja sonst eine ganz schöne Geräuschkulisse mit so vielen Menschen auf einem Haufen. Es ist jetzt ein viel entspannteres Arbeitsumfeld. Ich finde, das zeigt auch, dass das Konzept Großraumbüro generell keine gute Idee ist. Aber was fehlt, ist der Kontakt zu Arbeitskolleg*innen. Das fehlt sowohl mir als auch meinen Kolleg*innen im Homeoffice. Nächste Woche kommen wir erstmalig mal wieder als Team zusammen. Da freuen wir uns sehr drauf. Wir haben uns ja alle seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Das ist für so ein Teamgefüge nicht gut. Wir haben zwar über digitale Medien – Telefon, Webex und E-Mails – Kontakt gehalten, und es ist schön, dass es diese Möglichkeit gibt. Aber dieses von Angesicht zu Angesicht fehlt. Das Zwischenmenschliche fehlt.

Die Telekom setzt jetzt sehr viel daran, das mobile Arbeiten auch für den Kundenservice umzusetzen. Es gibt andere Abteilungen und Unternehmensbereiche, die schon diese "Mobile Working" Lösungen haben, und wo es gute Vereinbarungen gibt. Aber beim Kundenservice hatte man sich Homeoffice bisher nicht getraut. Durch die Corona-Krise sind sie mehr oder weniger dazu gezwungen worden und haben festgestellt, dass es gut funktioniert – auch technisch – und man auch von Zuhause gut arbeiten kann. Die Mitarbeiter*innen sollen nun zeitnah mit Laptops ausgestattet werden. Ich finde schön, dass damit die Möglichkeit kommt, flexibel entscheiden zu können. In der Spätschichtwoche würde ich zum Beispiel gern von Zuhause arbeiten, da ist es blöd, bis 23 Uhr am Standort zu sitzen. Das Recht auf Homeoffice darf natürlich nicht zur Pflicht werden. Aber in unserem Unternehmen besteht die Gefahr nicht, weil wir gute Tarifverträge haben. Dafür sind ein starker Betriebsrat und die Gewerkschaft auch da.