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Prekäre Arbeitsbedingungen für viele Fahrer*innenFoto: Kraus/Bloomberg/Getty Images

Steigende Gewinne

Der schwarze Uber gleitet durch die Nacht Frankfurts. Vorbei am Messeturm, den großen Bankentürmen. Insignien von Macht und Reichtum. Am Steuer sitzt Fahrer Paul* (*Name geändert). Er fährt für den US-amerikanischen Fahranbieter Uber, bringt Fahrgäste durch die Stadt. Und versucht sein eigenes Stück des Reichtums und Glücks der Bankenmetropole zu ergattern.

Paul hat an dem späten Abend gegen 23 Uhr noch zwei Stunden Fahrt vor sich – voraussichtlich. Denn er ist selbstständiger Mietwagenunternehmer mit eigener Konzession bei Uber. Er arbeitet also auf eigene Rechnung, muss sich selbst versichern, Sozialabgaben zahlen. Gibt es genug über die Uber-Plattform vermittelte Fahrgäste, dann ist es eine gute Nacht. Bleiben sie aus, muss er noch länger ran. Und wenn er krank ist? Da zuckt er mit den Achseln. "Das ist schlecht." Als Selbstständiger liegt das Risiko bei ihm.

"Wer legt sich gerne mit den teuren Anwälten eines milliardenschweren Großkonzerns an? Und das über Jahre hinweg?"
Veronika Mirschel, Leiterin des Referats Selbstständige bei ver.di

Was Paul beschreibt: Einkommensausfall im Krankheitsfall, Unsicherheit, teils ein Verdienst unterhalb des Mindestlohns und viele Arbeitsstunden, um über die Runden zu kommen. "Typische Probleme von Selbstständigen", sagt Veronika Mirschel, die das Referat Selbstständige bei verdi leitet. Ihr Bereich berät Solo-Selbstständige rund um Statusanfragen, Honorare und Co., darunter sind auch Plattformarbeitende wie Paul.

Mirschel sagt, die Probleme von Plattformarbeitenden und anderen Solo-Selbstständigen seien zum Großteil die gleichen. Doch es gibt auch Unterschiede: "Wer über eine App Aufträge annimmt, der hat oft einen sehr mächtigen Gegenspieler am anderen Ende und wenig Transparenz – weil eine App alles steuert." Wieso man dann einen Auftrag nicht bekommen habe, das sei von den anonymen Apps kaum zu erfragen.

Die Zahl der Plattformbeschäftigten wächst rasant. Laut EU-Kommission wird sich die Zahl der Menschen, die Aufträge auf den Apps annehmen, von rund 28 aktuell auf 43 Millionen Menschen bis 2025 erhöhen. Fast alle dieser Arbeiter*innen, geschätzte 90 Prozent laut Kommission, arbeiten formal als Selbstständige.

Der Grund: Viele Plattformen wie Pfelgix, People Per Hour oder Amazon Turk sehen sich nur als Vermittlungsplattform, nicht als Arbeitgeber. Um die Zahlung von Sozialabgaben, Mindestlöhnen und Co. kommen sie dann herum, sie finanzieren sich über Provisionen. Ein gutes Geschäft, zumindest für die Plattformen. Sie konnten ihre Umsätze allein in der EU um 500 Prozent in den vergangenen fünf Jahren steigern – zuletzt auf 20 Milliarden Euro im Jahr 2020.

Doch so klar ist der Fall nicht: Gerichte in Spanien, Frankreich, Deutschland und England urteilten in den vergangenen Jahren immer wieder, dass die Arbeiter*innen eigentlich abhängig Beschäftigte sind. Auch die EU-Kommission schätzt, dass bis zu fünfeinhalb Millionen Menschen europaweit "falsch klassifiziert" sind. Auf gut Deutsch: dass sie in Wirklichkeit Angestellte sind. Weil sie durch Algorithmen ihre Arbeitsaufträge vorgegeben bekommen, oder ihre Preise nicht selbst bestimmen können, sie also weisungsgebunden sind.

Allerdings: Wenn Plattformarbeitende sich aktuell gegen eine mutmaßliche Scheinselbstständigkeit wehren wollen, dann stünden sie vor riesigen Hürden, sagt Veronika Mirschel von ver.di. "Wer legt sich gerne mit den teuren Anwälten eines milliardenschweren Großkonzerns an? Und das möglicherweise über Jahre hinweg?"

Auch die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Ende des vergangenen Jahres hat sie einen Entwurf zur "Direktive zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit" vorgelegt. Das selbsterklärte Ziel: "dass Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, die ihnen zustehenden Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen in Anspruch nehmen können".

Ein Kernpunkt der vorgeschlagenen EU-Richtlinie sei die Beweislastumkehr, erklärt Roman Kormann, der beim DGB für das Thema gute Arbeit in der digitalen Arbeitswelt zuständig ist. "Statt wie bisher es den Arbeitern selbst zuzumuten, vor Gericht nachzuweisen, dass sie eigentlich Angestellte und keine Selbstständigen sind – soll es künftig genau andersherum laufen. Die Plattformen sollen beweisen, dass sie mit Selbstständigen arbeiten."

Der Vorschlag der EU sieht dazu fünf Kriterien vor. Sind zwei davon erfüllt, handelt es sich automatisch um eine*n Angestellte*n, die Plattformen können erst nachgelagert das Gegenteil beweisen. Die Kriterien umfassen beispielsweise, ob die Arbeiter*innen in der Preisgestaltung eingeschränkt sind, ob es verbindliche Regeln zu Erscheinung oder Auftritt gibt oder ob die Arbeitsleistung digital überwacht und bewertet wird.

Dazu sollen die Plattformen einen Teil ihrer undurchsichtigen und automatisierten Entscheidungsprozesse offenlegen, beispielsweise nach welchen Kriterien die Arbeiten vergeben werden. Das würde zum Beispiel den Selbstständigen helfen, die beim ver.di-Beratungsnetzwerk selbst- staendigen.info landen, weil sie nicht wissen, warum sie plötzlich keine Aufträge mehr über ihre Apps bekommen. Auch Gewerkschaften und Behörden sollen laut EU-Vorschlag diese Daten auf Anfrage erhalten können.

"Die Richtlinie ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Vor allem die Beweislastumkehr ist ein zentrales Element, um die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen", urteilt Kormann. Auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) kommt Lob: "Diese Direktive sorgt für eine lange überfällige Klarheit für Beschäftigte, die sich dann künftig nicht mehr mit multinationalen Unternehmen vor Gericht herumschlagen müssen, um so etwas basales wie einen Arbeitsvertrag zu erstreiten."

Schlupflöcher

Allerdings: Es gibt auch Kritik an der Richtlinie. "Es gibt einige Schlupflöcher in der Direktive, die dafür sorgen, dass sich für Plattformarbeitende nicht viel ändert", sagt beispielsweise Alessio Bertolini, der an der Universität Oxford beim Projekt "Fairwork" die Arbeitsbedingungen auf verschiedenen Plattformen untersucht.

Vor allem eines fehlt Bertolini: eine Nachunternehmerhaftung. Viele Unternehmen seien dazu übergegangen ihre Aufträge an Subunternehmen weiterzugeben, sagt der Wissenschaftler. Uber beispielsweise nutzt in Deutschland Mietwagenunternehmen, über die die Fahrer dann angestellt sind – oder sich wie Paul selber anstellen. "Die Unternehmen können dann damit werben, dass sie tolle, geregelte Angestellte haben. Aber was bei dem Subunternehmer geschieht, ob wirklich alle Abgaben gezahlt werden, damit hat die Plattform nichts mehr zu tun." Sein Fazit: "Ohne Nachunternehmerhaftung kann das Gesetz einfach unterlaufen werden."

Dazu gibt es noch ein weiteres Problem: Denn die fixen Kriterien mit denen festgestellt werden soll, wer selbstständig und wer angestellt ist, sind umstritten. So kritisiert beispielsweise der Europäische Gewerkschaftsbund, dass starre Anhaltspunkte von Unternehmen gezielt unterlaufen werden könnten.

EU-Parlament und -Rat beraten

Und: Noch ist die Direktive nicht beschlossene Sache. Aktuell beraten das EU-Parlament und der Rat den Entwurf der Kommission. Währenddessen laufen die Plattform-Unternehmen Sturm gegen das Vorhaben. Der Interessenverband der Fahrdienstleister, "Move EU", warnt vor dem Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen, dass einzelne Fahrer*innen weniger verdienen würden und sich sogar die Arbeitsbedingungen verschlechtern würden, weil Flexibilität verloren ginge.

Für Gaby Bischoff, SPD-Europaabgeordnete in Brüssel und Mitglied im Beschäftigungsausschuss, sind das vorgeschobene Argumente der Unternehmen. Viel schlechter als bisher könnten die Arbeitsbedingungen vieler Plattform-Arbeiter*innen nicht werden. Das Geschäftsmodell einiger Plattformbetreiber beruhe in weiten Teilen darauf, Kosten durch prekäre Arbeitsbedingungen zu sparen.

Sie glaubt, dass das Drängen der Unternehmen beim Parlament wenig ausrichten wird. "Es gibt ein großes und fraktionsübergreifendes Problembewusstsein für die Lage der Plattformarbeitenden." Zentral für sie ist nun, dass der zukünftige Rechtstext dafür sorgt, das Geschäft mit der Scheinselbstständigkeit zu beenden, in dem von Anfang an von einem ordentlichen Beschäftigungsverhältnis zwischen den Plattformen und seinen Arbeitenden ausgegangen wird. "Diese Anstellungsvermutung muss wasserdicht sein und darf nicht einfach so umgangen werden können."

Auch im EU-Rat muss die Direktive eine weitere Hürde nehmen. Ausgerechnet das einflussreiche EU-Mitgliedsland Frankreich, das die Ratspräsidentschaft innehat, zeigt bislang wenig Leidenschaft für das Vorhaben.

Solo-Selbstständige

aus fast allen Branchen können sich bei Fragen wie beispielsweise Honoraren, ihrem Status sowie Absicherung beim Beratungsnetzwerk selbststaendigen.info von ver.di beraten lassen. Für Gewerkschaftsmitglieder ist diese Beratung kostenfrei:

Infos für Selbstständige in ver.di:

selbststaendige.verdi.de

Beratungsnetz für Solo-Selbstständige:

selbststaendigen.info