1 . Welches wichtige Ziel oder Problem unserer Zeit liegt Di r / Ihnen für Europa stark am Herzen?

2 . Kannst Du / Können Sie ein konkre tes Beispiel beschreiben, wie sich eine Entscheidung des EU -Parlaments auf den Arbeitsalltag der Menschen in Europa auswirkt?

3 . Warum ist es so wichtig, dass Menschen mit gewerkschaftlichem Hintergrund im EU -Parlament vertreten sind?

Ausbeutung den Riegel vorschieben

Gabriele Bischoff , SPD, ist seit 2019 Mitglied im Europäischen Parlament. Sie hat unter anderem von 2008 bis 2019 beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes gearbeitet

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Foto: Stefan Boness/Visum

Allein in Deutschland arbeiten über eine Million Menschen in der Pflege, auf dem Bau oder als Erntehelfer*innen, die aus anderen Ländern zu uns kommen. Ihre Arbeit ist systemrelevant – dennoch müssen viele dieser Menschen unter schlechten Arbeitsbedingungen, zu geringen Löhnen und ohne ausreichende soziale Absicherung arbeiten. Es darf aber keine Arbeiter*innen zweiter Klasse geben in der EU! Ich möchte Sozialdumping und Ausbeutung endgültig einen Riegel vorschieben.

Jede*r zehnte Arbeitnehmer*in in Europa ist von Armut bedroht. Im EU-Parlament haben wir deshalb einen europäischen Rahmen für armutsfeste Mindestlöhne auf den Weg gebracht. Zukünftig soll der Mindestlohn 60 Prozent des mittleren Einkommens im Land betragen, wenn der Rat zustimmt. Ein wichtiger Schritt für mehr Gerechtigkeit – angesichts steigender Kosten für Wohnen, Lebensmittel und Energie.

Wir Europaabgeordneten tragen dazu bei, die Rahmenbedingungen für gute Arbeit in Europa zu setzen. Deshalb ist es wichtig, dass viele mit Praxiserfahrungen Politik machen, die nah an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer*innen ist.

Mit Sozialer Marktwirtschaft ernst machen

Dennis Radtke ist seit 2017 Mitglied im Europäischen Parlament. Das CDU-Mitglied hat zuvor als Gewerkschaftssekretär bei der IG Bergbau, Chemie, Energie gearbeitet

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Foto: privat

Ich kämpfe dafür, dass wir endlich ernst machen mit der Sozialen Marktwirtschaft als Ordnungsprinzip der Europäischen Union. Daher liegt mir die Richtlinie zu Europäischen Mindestlöhnen so am Herzen, die ein Schlüssel zu mehr Tarifbindung und Sozialpartnerschaft ist. Auch die Regulierung der Plattformarbeit. Es kann nicht sein, dass Unternehmen ihre Verantwortung auf Beschäftigte abwälzen und sie in Modelle von Scheinselbstständigkeit drängen.

Die Novellierung der Entsenderichtlinie ist ein gutes Beispiel. In der Vergangenheit konnten osteuropäische Unternehmen ihre Mitarbeiter in Deutschland mit Verweis auf Tarifverträge im Herkunftsland unterhalb des Mindestlohns bezahlen. Damit ist jetzt Schluss. Oder auch das Mobilitätspaket, das die Arbeitsbedingungen von LKW-Fahrern verbessert.

Ein Parlament lebt davon, dass Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen dort um Lösungen ringen. Ein gewerkschaftlicher Hintergrund bietet einen reichen Erfahrungsschatz. Für mich ist meine Zeit als Gewerkschaftssekretär der IG BCE ein riesiger Fundus an Erfahrungen und Einblicken, die für meine tägliche Arbeit eine wichtige Rolle spielen. Auch der Kontakt, zu vielen Betriebsräten, den ich nach wie vor pflege, hat für mich einen großen Stellenwert.

Grundrechte und Freiheiten für alle

Terry Reintke von Bündnis 90/Die Grünen, ist seit 2014 Mitglied im Europäischen Parlament. Einer ihrer Schwerpunkte ist der Kampf gegen die Ausbeutung europäischer Arbeitnehmer*innen

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Foto: Geisler/Frederic Kern/ddp

Der russische Machthaber Putin überzieht die Ukraine mit seinem mörderischen Angriffskrieg und sein Land mit Propaganda. Autoritäre Tendenzen gibt es auch in der EU – etwa in Polen oder Ungarn. Ich wünsche mir, dass die EU ihre Werte jetzt umso mehr verteidigt: Grundrechte und -freiheiten müssen für alle gelten. Ich hoffe, dass das eine Erkenntnis aus diesem furchtbaren Krieg ist.

Ich verhandle zurzeit die Richtlinie zur Entgelttransparenz, die den Gender Pay Gap verringern soll: Unternehmen müssen dann offenlegen, wieviel sie Männern und Frauen bezahlen. In der EU liegt der Stundenlohn von Frauen durchschnittlich 14 Prozent niedriger, in Deutschland sogar 18. Die EU-Richtlinie ist ehrgeiziger als das deutsche Gesetz und kann damit hoffentlich auch wieder positive Bewegung in Deutschland bringen.

Gesetzestexte müssen ehrgeizige Ziele für die moderne Arbeitswelt setzen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Gewerkschaften geben hier ganz wichtigen Input: Sie wissen, wie es in den Betrieben aussieht.

Der Geld-Lobby etwas entgegensetzen

Özlem Demirel war eine der beiden Spitzenkandidierenden der Linkspartei bei der Europawahl 2019. Zuvor hat sie als Gewerkschaftssekretärin bei ver.di gearbeitet

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Foto: Seidel/picture alliance/dpa

Soziale Gerechtigkeit und Frieden liegt mir am Herzen. Es heißt, die EU sei ein Friedensprojekt. Doch wir erleben die Aufrüstung in der BRD und Aufbau einer EU-Militärunion – bezahlt von den Armen und Arbeiter*innen durch mehr Arbeit, höhere Preise und Sozialkürzungen. Womit wir bei meinem zweiten Thema sind: Soziales – die steigende soziale Ungleichheit in der EU, zwischen den Mitgliedsstaaten und global.

Ich verhandle für meine Fraktion "THE LEFT" den Europäischen Mindestlohn. Hierbei setze ich mich dafür ein, dass die Richtlinie am Ende tatsächlich den Arbeiter*innen nützt, vor Armut schützt, die Rechte der Gewerkschaften stärkt und mehr gute Tarifverträge ermöglicht. Im Vorfeld der Verhandlungen wurde mein Initiativbericht zu Ungleichheiten in und zwischen den Mitgliedsstaaten mit besonderem Fokus auf Erwerbstätigenarmut beschlossen.

Die Lobby der Arbeitgeber und des "großen Geldes" ist hier mehr als präsent, dem muss man etwas entgegensetzen! Dafür braucht es Menschen, die genau wissen, woher sie kommen, warum sie hier sind und wen sie vertreten.