Ausgabe 04/2022
Eine gute Adresse
"Wir unterschätzen oft noch, wie schlau Maschinen werden können und was alles möglich ist. Da sollten wir sehr wachsam sein. Sonst besteht die Gefahr, dass wir irgendwann von außen gesteuert werden", sagt die Betriebsratsvorsitzende einer Möbelhauskette. Diese Erkenntnis hat sie aus einem Seminar mitgenommen, das die bundesweit agierende ver.di-Beratungsstelle für Technologiefolgen und Qualifizierung im Bildungswerk Hessen (BTQ) im Mai veranstaltet hatte. Gekommen waren Interessenvertreter*innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – vom ÖPNV über den Einzelhandel bis hin zu Pflege, Technik und Verwaltung. Diese Veränderungen zu verstehen und die Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes für eine gute Entwicklung zu nutzen, stand thematisch im Zentrum der einwöchigen Schulung.
Bei der Beratungsstelle BTQ finden Betriebsräte direkte Ansprechpartner*innen, wenn es um Fragen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz geht. "Oft gilt es erst einmal herauszufinden, was die neue Technik konkret kann, wie sie sich weiterentwickelt und ob dadurch neue Risiken entstehen", sagt Berater Walter Lochmann.
Beim Projekt KomKI (Kompetenzen über KI aufbauen) arbeitet die BTQ mit Wissenschaft und Handwerksverbänden zusammen; es richtet sich insbesondere an kleinere und mittelständische Betriebe. Lochmann und seine Kolleg*innen haben 37 Lernsequenzen für Betriebsräte und andere Interessierte entwickelt. Videos, Texte und Links ermöglichen, sich rasch einen Überblick zu verschiedenen Themen zu verschaffen.
Zum Beispiel über Exoskelette; das sind stabile Stützstrukturen, die über den gesamten Körper oder ein Gelenk gestreift werden, um beim Heben schwerer Lasten oder bei immer wiederkehrenden Bewegungen zu helfen. In der Pflege, im Lager, in Industrie und Handwerk können diese tragbaren Roboter deshalb körperlichen Abnutzungen vorbeugen. Sie sind aber auch in der Lage, Informationen in Echtzeit zu übertragen und bei Überlastung Warnhinweise zu geben. Bei all dem sammelt das System Daten. "Verhindert werden muss natürlich, dass solche Techniken zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle der Beschäftigten genutzt werden", warnt Lochmann und verweist auf eine weitere Gefahr: Fehlhaltungen könnten durch Exoskelette möglicherweise verstärkt, andere Körperteile unbeabsichtigt stärker belastet werden.
Um Interessenvertretungen dabei zu unterstützen, solche Fragen zu regeln, kommt das BTQ-Team auch direkt in die Betriebe und berät sie vor Ort. "Viele Entwicklungen können sich gut oder schlecht für die Beschäftigten auswirken", fasst Walter Lochmann zusammen. Transparent und klar verabredet werden sollte etwa, welche Daten gesammelt werden und was damit geschieht. Können Hersteller oder Arbeitgeber sie abgreifen, oder gehören sie den Nutzern und Nutzerinnen? Hier helfen konkrete Betriebsvereinbarungen, negative Veränderungen auf Kosten der Beschäftigten zu verhindern. IBM gilt als Vorreiter in Deutschland. In der Rahmenvereinbarung zwischen Betriebsrat und Unternehmen ist klar festgeschrieben, dass automatisierte Entscheidungen ohne menschliche Vorabkontrolle tabu sind.
Das seit vergangenem Sommer geltende Betriebsrätemodernisierungsgesetz gibt Betriebs- und Personalräten das Recht, bei KI externen Sachverstand einzuholen. BTQ ist da eine bewährte Adresse. Das Team hat viel Praxiserfahrung, kann Betriebsräte untereinander vernetzen und verfügt dank seiner Beteiligung am WIN:A, dem Wissens- und Innovations-Netzwerk Arbeitsforschung auch über Hintergrundwissen.