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In der Erprobung: Auskunftsroboter der Deutschen BahnFoto: brennweiteffm/imago

Viele Geschäftsleitungen halten auf Künstliche Intelligenz (KI) große Stücke. Sie wollen Arbeitszeiten einsparen, Beschäftigte effektiver einsetzen und erhoffen sich steigende Gewinne. Die neue Technikwelle rollt inzwischen durch viele Büros und ganz unterschiedliche Dienstleistungssektoren. Immer geht es darum, Daten aus Vergangenheit und Gegenwart zu nutzen, damit Routineaufgaben oder komplexe Rechnungen von Maschinen übernommen werden können.

Beispiel Reiseveranstalter: Wer durch die Analyse von Suchmaschinenanfragen weiß, wo demnächst besonders viele Menschen Urlaub machen möchten, chartert rechtzeitig ganze Flugzeuge. Um profitabel zu sein, müssen die Flieger aber zu 90 Prozent ausgelastet sein. Also den Ticketpreis herabsetzen, wenn sechs Wochen vorher noch viele Plätze frei sind? Dann schnellen aufgrund der plötzlich steigenden Nachfrage die Hotelpreise hoch. Weitere Variable sind Abflughäfen, unterschiedlich beliebte Tageszeiten und die Aufenthaltsdauer. Da ist es schwierig herauszufinden, wie sich mit Pauschalreisen das meiste Geld verdienen lässt.

Deshalb beauftragte das Reiseunternehmen Thomas Cook eine IT-Firma. Die sollte ein Computerprogramm schreiben, das Erkenntnisse aus bisherigen Daten ableitet und durch die tatsächlichen Entwicklungen permanent dazulernt. Parallel wurde die Abteilung für Flugzeugauslastung deutlich geschrumpft. Doch bald speckte das Reiseunternehmen den Auftrag an die IT-Firma wieder ab: Die aufwändige Technik war nicht in der Lage, zutreffende Prognosen zu machen. "Künstliche Intelligenz ist ja immer beschränkt und ignoriert, was draußen los ist", fasst Philipp Schumann zusammen, ehemals Informatiker und Gesamtbetriebsratsvorsitzender des inzwischen vom Markt verschwundenen Unternehmens. Während Menschen mitbekommen, dass die Fluglotsen in Frankreich streiken oder die politische Lage in der Türkei brenzlig wird, ahnt Kollege Computer nicht, dass so etwas Auswirkungen aufs Geschäft hat. Maschinen haben weder Weitsicht, Empathie, Bauchgefühl noch Moral. Auf die aber kommt es in vielen Berufen an.

Eine andere Form von KI sind sogenannte Chatbots. Da beantwortet eine Computerstimme oder ein Schreibprogramm einfache Kundenanfragen. Softwareprogramme filtern zentrale Stichworte heraus und verknüpfen sie mit hinterlegten Antworten. "Das ist manchmal richtig spooky. Manche Stimmen sind inzwischen kaum noch von echten zu unterscheiden", meint die Betriebsratsvorsitzende vom Kundenservice eines großen Möbelunternehmens. Sogar in der Psychotherapie wird inzwischen mit Avataren experimentiert. Die englische App Woebot soll Patient*inen helfen, depressive Denkmuster zu erkennen. Sie redet umgangssprachlich, fragt zunächst nach Ängsten, Nervosität und trauriger Stimmung und suggeriert Verständnis durch geschickte Anschlussfragen. Manchmal macht sie sogar einen Scherz.

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Einfacher gestrickt ist der Computer CARL, der bei Siemens Krankmeldungen und Urlaubsanträge von Beschäftigten entgegennimmt. Auch Versicherungen lassen Standardfälle zunehmend von Computern bearbeiten. So etwas kann zeitliche Freiräume schaffen für Tätigkeiten, bei denen ein menschliches offenes Ohr und differenziertes Mitdenken nötig sind. Doch zugleich liegt in solcher KI auch die Gefahr, dass Jobs abgebaut werden oder sich der Arbeitsalltag für die Beschäftigten verdichtet, etwa durch die Häufung dieser Standardfälle.

Auch wollen nicht alle Kund*innen mit einem Computer kommunizieren. Bei der AOK-Nordost wurde die virtuelle Pflegeberaterin "EVA" wieder abgeschaltet, nachdem sie 2020 eingeführt worden war. "Das Angebot wurde so gut wie nicht genutzt", berichtet die Pressesprecherin. In vielen Serviceabteilungen von Banken, Versicherungen oder bei der Telekom ist KI für die Beschäftigten jedoch auch hilfreich – etwa indem sie benötigte Informationen rasch auf den Bildschirm holt. "Wir bekommen positive Rückmeldungen, wenn die Assistenzsysteme dazu führen, dass als lästig empfundene Tätigkeiten wegfallen. Zugleich taucht aber bei vielen auch der Gedanke auf: Sägt die Technik da schon an unseren Arbeitsplätzen?", sagt Giovanni Suriano, der im Konzernbetriebsrat der Telekom für IT-Fragen zuständig ist. Er und seine Kolleg*innen verhandeln derzeit mit der Unternehmensleitung über faire Spielregeln für den Einsatz der Künstlichen Intelligenz. "Die Technik wird kommen, wir müssen sie gestalten und ihre Chancen nutzen", so Surianos Credo.

Maschinen haben weder Weitsicht, Empathie, Bauchgefühl noch Moral. Auf die aber kommt es in vielen Berufen an.

Es brauche Regeln zu Kontrollierbarkeit und Transparenz, aber auch zu Ethik, Datenschutz, Sozialverträglichkeit und Menschenwürde. Zentral sei, die betroffenen Kolleg*innen sehr früh in die Entwicklungen einzubeziehen und Weiterqualifizierung anzubieten. Noch sei das KI-Manifest der Telekom nicht fertig, aber auf einem guten Weg.

In anderen Betrieben und Branchen gibt es bisher jedoch noch keinerlei Regelungen. Dabei sind die Systeme längst auch in Bereichen angekommen, wo Menschen bis vor kurzem unersetzlich schienen. Im Journalismus zum Beispiel. Bei Nachrichtenagenturen werden längst nicht mehr alle Texte von Menschen verfasst. Vor allem in Themenbereichen, in denen es strukturierte und sich rasch aktualisierende Daten gibt wie Wetter, Sport oder Finanzen kommt "Robo-Journalismus" zum Einsatz. In China treten inzwischen Avatare als Nachrichtensprecher auf. Die Berliner Firma Retresco bietet Programme an, die differenzierte Texte für Kommunikationsabteilungen formulieren. Nach Unternehmensangaben gehört das Bundesgesundheitsministerium zum Kundenkreis.

Auch in Küchen und Kneipen hat KI Einzug gehalten. Regen, Ferientage und Sportereignisse beeinflussen den Absatz – und so leiten Gastronomie-Kassen aus den wachsenden Datenmengen Prognosen ab, wieviel Bier, Buttercremetorte oder Blaubeeren am nächsten Wochenende verzehrt werden. Entsprechend kann die Küchenchefin ihren Einkauf planen. Ähnlich funktionieren Systeme von Versandhäusern und Lieferdiensten: Wo die Kunden sehr rasch die bestellte Ware entgegennehmen wollen und es eine große Auswahl von Produkten gibt, wird die dezentrale Lagerhaltung mittlerweile durch KI-Programme gesteuert.

Frauen automatisch herabgestuft

Dagegen steht die Auslieferung von Essen durch autonome Transporter noch am Anfang. In Island wird mit Drohnen experimentiert, in Berlin schickte die Restaurantkette Peter Pane ein paar Monate lang einen Liefer-Roboter auf die Straße, der aus Sicherheitsgründen fernüberwacht werden musste. Fahrzeuge, die sich selbst lenken, sind der Traum vieler KI-Fans. In städtischen Räumen sind die Vehikel jedoch mit einer hochkomplexen Umgebung konfrontiert. Das macht ihren massenweisen Einsatz bislang unwahrscheinlich, während in Lagern oder Häfen autonome Fahrzeuge inzwischen vielfach im Einsatz sind. Und auch bei der Optimierung von Lieferketten werden häufig KI-Werkzeuge eingesetzt.

Hochproblematisch sind KI-Anwendungen bei Personalentscheidungen, wie sie in US-amerikanischen Konzernen zum Alltag gehören. Dort analysieren Programme die Videos von Vorstellungsgesprächen. Dabei vergleicht das System Mimik, Gestik und Tonlage der Gefilmten mit Aufnahmen von Menschen mit gewünschten Eigenschaften. Untersuchungen belegen, dass solche Verfahren Gruppen benachteiligen, die im Unternehmen bisher unterrepräsentiert sind. Hat eine Firma vor allem weiße Männer eingestellt, gelten deren Aussehen und Verhalten als Kompetenzmerkmale. 2018 wurde zum Beispiel bekannt, dass bei Amazon Frauen jahrelang in Bewerbungsverfahren herabgestuft wurden. Der Konzern hat diese KI-Anwendung mittlerweile nach eigenen Angaben abgebrochen.