Ausgabe 04/2022
Ohne Mensch ist die KI doof
Hinter dem Begriff Künstliche Intelligenz (KI) steckt eine Technologie, die Euphorie und Angst gleichermaßen auslöst. Die einen preisen sie als Befreiung von stupiden Tätigkeiten, andere befürchten den millionenfachen Verlust von Arbeitsplätzen. Und immer ist da die Drohung, Deutschland könne ohne KI vom technischen Fortschritt abgehängt werden. Dabei arbeiten bereits 45 Prozent der Beschäftigten mit entsprechenden Programmen, oft ohne es zu wissen. Das hat ein Team vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausgefunden. Auch wird KI häufig mit Avataren in Science-Fiction-Filmen assoziiert, die irgendwann die Welt beherrschen. "Obwohl die Zukunftsbilder von menschenähnlichen KI-Robotern in der Realität selbst in technologisch fortgeschrittenen Umgebungen nicht existieren, prägen sie die öffentliche Wahrnehmung", so die DIW-Forscher*innen.
Erfunden wurde der Begriff der Künstlichen Intelligenz im Jahr 1956. Damals glaubten viele Mathematiker, Intelligenz basiere auf Logik. Sie wollten Denkvorgänge in Formeln übersetzen und bekamen dafür üppige Forschungsgelder vom US-Verteidigungsministerium. Doch bald zeigte sich: Brauchbares entstand dabei nicht. Als erfolgreicher erwies sich hingegen der Ansatz künstlicher neuronaler Netze.Dabei beschreiben Informatiker*innen menschliches Wissen nicht explizit, sondern füttern Computer mit großen Datenmengen – seien es Röntgenbilder, Versicherungsfälle, gesprochene Sprache, Übersetzungen oder Fotos. Die Rechner sind so programmiert, dass sie Muster erkennen können. Mit der Zeit werden die Ergebnisse immer zutreffender. Weil Computer heute in kurzer Zeit enorm viele Rechenoperationen durchführen können und dabei immer neue Daten entstehen, sind Maschinen bei bestimmten Tätigkeiten schneller und effektiver als Menschen. Allerdings kann es auch bei KI zu falschen Ergebnissen kommen, wenn die Datengrundlage nicht stimmt. Fachleute sprechen von "maschinellem Lernen".
KI lockt Kapital an
KI genügt häufig als Schlagwort, um Investoren zu beeindrucken, die Risikokapital bereitstellen. Mit der unzutreffenden Behauptung, das eigene Geschäfts- modell basiere auf KI, lasse sich deutlich mehr Geld einwerben als ohne, belegt eine Studie. Auch in der Politik: Für ihre "Strategie Künstliche Intelligenz" hat die alte Bundesregierung fünf Milliarden Euro Fördergelder bis 2025 zur Verfügung gestellt.
Mit dem Google-Diktierprogramm lassen sich Texte heute schnell und weitgehend fehlerfrei verschriftlichen – früher mussten die Nutzer*innen ihren Computer mühsam auf die eigene Stimme trainieren. Auch Übersetzungsprogramme können Texte inzwischen binnen Sekunden für Menschen anderer Sprachen zugänglich machen. Dabei gilt der Übersetzer DeepL aus Köln als zuverlässiger als Google, Facebook und Microsoft. Doch bei den meisten Anwendungen liegen die Datenkraken aus den USA vorn. "Wer mehr Trainingsdaten hat, kann die bessere KI entwickeln, sie besser verkaufen und damit weitere Daten gewinnen", fasst der Münchner Professor Stefan Bauberger zusammen, der sich mit den gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Entwicklung beschäftigt. So werden große Unternehmen immer größer. Dieser typische Effekt in der Digital- und Plattformwirtschaft führt ohne politisches Eingreifen zu machtvollen Monopolen.
Entwicklung steuern
Und die nehmen enormen Einfluss auf Arbeitsbedingungen und Gerechtigkeitsfragen. "Seit Jahrzehnten lässt sich in den meisten Industrieländern eine Aufspreizung erkennen zwischen wenigen hoch bezahlten Jobs und immer mehr schlecht bezahlten", fasst der Digital-Experte Sascha Lobo zusammen. Das ist jedoch keine unmittelbare Folge technischer Entwicklungen. Entscheidend sind vielmehr die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Maschinelles Lernen kann genutzt werden, um langweilige Tätigkeiten abzuschaffen und mehr Zeit für Kreativität und sinnvolles Tun freizuschaufeln – und zugleich haben sie das Potenzial, die Spaltung der Gesellschaft weiter massiv voranzutreiben. "Wenn darüber nicht öffentlich verhandelt wird, wenn es nicht als politische Gestaltungsaufgabe wahrgenommen wird, dann werden ökonomische Faktoren die Entwicklung steuern", warnt Bauberger. Dass die EU offene, gemeinwohlorientierte Alternativen zu Google & Co bisher nicht im großen Stil unterstützt, sei ein großer Fehler.
So oder so wird sich KI auf den Arbeitsmarkt auswirken. Wie viele Arbeitsplätze wegfallen, ist aber ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, wo und in welchem Umfang neue entstehen werden. Dass KI zu massiver Arbeitslosigkeit führt, halten viele Expert*innen für eher unwahrscheinlich. Doch ganze Arbeitsbereiche werden umstrukturiert, so wie es durch PCs, Smartphones und Videokonferenzen geschehen ist.
Zu bremsen oder gar zu verhindern ist KI nicht – und das erscheint auch gar nicht sinnvoll. Entscheidend ist, welches Ziel damit verfolgt wird und wer darüber entscheidet. ver.di hat deshalb ethische Leitlinien erarbeitet. "KI soll die Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessern, indem sie die Gesundheit schützt, den Arbeitsalltag erleichtert, die Persönlichkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert." Möglich ist das. Wir stehen am Scheideweg. Es kommt darauf an, die Entwicklungen im Interesse der Beschäftigten mitzugestalten. Die Zukunft beginnt jetzt.
Das PDF von ver.di zu Ethische Leitlinien für die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) steht zum Download unter: kurzelinks.de/0ok3
Editorial Spezial „Digitalisierung“
Digi und das
Bei der Digitalisierung unserer Arbeitswelt und unseres Alltags ist eines dem Menschen im Allgemeinen und dem Gewerkschafter, der Gewerkschafterin im Besonderen wichtig: die Kontrolle zu behalten und mitzubestimmen. Künstliche Intelligenz so mitzugestalten, dass sie dem Menschen dient und nicht umgekehrt. Wir schauen uns in diesem Spezial einige betriebliche Beispiele an, in denen die Technik eingesetzt wird und geben Tipps zur Schulung. Und was sind eigentlich die Folgen, wenn ich blindlings alle Cookies per Klick akzeptiere? Wie regele ich am besten mal schleunigst meinen digitalen Nachlass? All dies erhellen die folgenden Seiten unseres Spezials Digitalisierung. Und solange wir noch eigenständig lesen, wünschen wir dabei und beim Blättern viel Vergnügen!
Jenny Mansch