Ausgabe 06/2022
Strafe folgt auf Streiktag
Am internationalen Frauen*kampftag wurden in diesem Jahr bundesweit feministische Aktivitäten mit der Tarifrunde der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst verknüpft. In Stuttgart gingen über 4.000 Menschen gemeinsam auf die Straße: Streikende, Feminist*innen, Gewerkschafter*innen. Selbst gebastelte Schilder, Luftballons, Fahnen und Banner prägten das Bild.
Doch der Eindruck war getrübt: Den ganzen Tag über begleitete eine große Anzahl polizeilicher Einsatzkräfte die Aktivitäten. Als Streikende ihre Forderungen am Stuttgarter Rathaus zum Thema machen wollten, griff die Polizei erstmals ein. Dabei ist die Aktionsform, die zu dem Polizeieinsatz führte, seit Jahrzehnten in vielen Tarifauseinandersetzungen gang und gäbe: Am Rathaus wurden Klebezettel und Haftnotizen angebracht. Dabei kam es zu ersten Festnahmen, Personalien wurden festgestellt, berittene Polizeikräfte bedrängten die Streikenden. Später stoppten sie am Stuttgarter Schillerplatz die Demonstration und drohten den Veranstalter*innen, den angemeldeten und genehmigten Lautsprecherwagen zu beschlagnahmen. Auch nach dem Ende der Demonstration zeigte die Polizei weiterhin hohe Präsenz am Platz vor dem Gewerkschaftshaus. Dort waren die Organisator*innen und Helfer*innen mit den letzten Abbau- und Aufräumarbeiten beschäftigt.
Nachdem einige Personen den Platz symbolisch in Clara-Zetkin-Platz umbenennen wollten, wurden unmittelbar Einsatzkräfte – unterstützt von den berüchtigten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten – aktiv. Nachdem es der Polizei bei einer Person nicht gelang, die Personalien festzustellen, stürmten sie kurz darauf in einer Gruppe über den Platz, griffen eine Person heraus und nahmen sie fest.
Dieser Aktivistin wurde jetzt wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung und des Widerstandes der Prozess gemacht. 2.000 Euro Geldstrafe und die Kosten des Verfahrens sind für sie die Konsequenz des Tages. Trotz widersprüchlicher polizeilicher Aussagen – insbesondere auch bezüglich der vermeintlichen Identifikation der Beschuldigten – sprach die Richterin dieses harte Urteil. In diesem Zusammenhang laufen noch weitere Verfahren. Über den Grund für diesen harten Verfolgungswillen lässt sich vorerst nur spekulieren. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen kämpferischen, lauten Streiktag und die Erkenntnis, dass dieser nicht bei allen politischen und polizeilichen Akteur*innen auf Gegenliebe gestoßen ist.
Lars Doneith