Arbeits- und Gesundheitsschutz: Bisher spielt das weibliche Geschlecht beim Thema Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz eine untergeordnete Rolle. Doch gerade hier haben blinde Flecken etwa im Zusammenhang mit Berufskrankheiten und Gefährdungsbeurteilungen verheerende Folgen.

ver.di-Gesundheitsexperte Dietmar Erdmeier sieht hier dringenden Nachholbedarf: "Es liegt auf der Hand, dass insbesondere den frauendominierten Gesundheitsberufen, die mit einer besonderen Belastungssituation einhergehen, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Wir müssen mehr Daten erheben und anschließend entsprechende Konsequenzen ziehen."

Schon lange fordert ver.di eine Ausweitung des Arbeitsschutzgesetzes, eine Anti-Stress-Verordnung und die Anerkennung psychischer Krankheiten als Berufskrankheiten. Mit Inkrafttreten eines neuen Gesetzes zum 1. Januar 2021 hat der Gesetzgeber bereits auf einige Kritikpunkte von ver.di reagiert, insbesondere hinsichtlich einer Verbesserung des Berufskrankheiten-Rechts und einer Beschleunigung und größe-ren Transparenz bei der Fortschreibung der Liste der Berufskrankheiten. Zudem hat sich ver.di in die Überarbeitung der Empfehlungen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zur "Berücksichtigung psychischer Belastung in der Gefährdungsbeurteilung" eingebracht, deren Neuauflage Ende August 2022 erschienen ist.

Die Belastungsdimensionen insbesondere der Frauenerwerbsarbeit im körperlichen wie psychosozialen Bereich sind trotz allem bisher viel zu wenig erforscht. Demgegenüber sind die Umgebungsfaktoren der technisch-verarbeitenden Berufe der Männer umfangreich untersucht und die Belastungen sind bekannt. Kaum bekannt ist hingegen, welche Kraft eine Pflegende tagtäglich während ihre Dienstes aufbringen muss.

Um bestehende Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Berufskrankheitengeschehen anzugehen, besteht also Nachholbedarf in Forschung und Praxis des Arbeitsschutzes bis hin zu gesetzlichen Regelungen zur Feststellung von Berufskrankheiten. Zu den Ansatzpunkten für eine geschlechtergerechte Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts gehören aus ver.di-Sicht:

1. Eine gezielte arbeitswissenschaftliche Forschungsförderung, die den Zusam-menhang von körperlichen und psychosozialen Belastungen und Beanspruchungen in Frauenberufen und an typischen Frauenarbeitsplätzen in Handwerk, Industrie und im Dienstleistungssektor als Bestandteil der modernen Arbeitswelt untersucht.

2. Die Weiterentwicklung der bestehenden Berufskrankheiten-Statistik der Unfallversicherungsträger. Neben anerkannten Berufskrankheiten ist auf jeden Fall nach Berufen und Geschlecht zu differenzieren. Geprüft werden sollte zudem ein datengestütztes geschlechtergerechtes "Frühwarnsystem" über arbeitsbedingte Erkrankungen.

3. Die Überprüfung bereits anerkannter Berufskrankheiten auf ihre beruflich bedingten Auswirkungen auf die Arbeit von Frauen. Und das muss dann auch entsprechend bewertet werden.

Für alle Punkte gilt, frauenspezifische Risiken zu erforschen und nachzuweisen.