Ausgabe 02/2023
Leben im Wechsel
Sprachkenntnisse entscheiden
Leona Bláhová, BABS-Leiterin und Beraterin aus Tschechien, arbeitet in Deutschland
Ich wohne in einem Dorf in Tschechien und arbeite seit fünf Jahren in Dresden als Leiterin und Beraterin der Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte in Sachsen, kurz BABS. Als Grenzgängerin pendele ich regelmäßig mit dem Auto zur Arbeit.
Mein erster Beruf ist Lehrerin. Ich habe Germanistik und Geschichte an der Uni in Ústí nad Labem, auf Deutsch "Aussig an der Elbe", studiert. Nachdem ich ein paar Jahre als Lehrerin gearbeitet hatte, nahm ich bei der tschechischen Polizei eine Stelle als Übersetzerin und Dolmetscherin an und danach bei der tschechischen Arbeitsbehörde als Beraterin für EURES, das europäische Netzwerk für berufliche Mobilität in Europa. Dort habe ich an vielen Schulungsprogrammen auf EU-Ebene teilgenommen, die Sprache weiter trainiert und mich in Themen für europäische Arbeitskräfte eingearbeitet. Aus der grenzüberschreitenden Partnerschaft zwischen Tschechien und Deutschland heraus wurde ich dann abgeworben und bekam meine jetzige Stelle als Leiterin und Beraterin der BABS.
Für meine berufliche Entwicklung waren immer die Sprachkenntnisse entscheidend, die mir eine neue Stelle brachten. Deutsch fließend zu sprechen, hat mich gerettet. Natürlich hätte ich weiter als Lehrerin arbeiten können, aber ich mag Neues, und für die anderen Berufe war der Hochschulabschluss ebenfalls eine wichtige Qualifikation.
Im Studium habe ich psychologische und pädagogische Fähigkeiten erworben, die bei der Beratung wichtig sind. Man arbeitet ja mit Menschen. Aber natürlich sind die Sprachkenntnisse entscheidend. In der Schule habe ich auch Englisch gelernt, muss aber nur sehr selten englischsprachig beraten.
Wie ich pendeln täglich fast 39.500 Menschen von Tschechien nach Deutschland. Die Regionen in Sachsen und Bayern erweitern unsere beruflichen Möglichkeiten, vor allem gibt es besser bezahlte Jobs für Frauen. Da lohnt sich für viele von ihnen dann auch Teilzeit. Ich arbeite allerdings Vollzeit und 40 Stunden die Woche, denn meine Kinder sind inzwischen 14 und 18 Jahre alt.
Notfalls kann ich von zuhause arbeiten. In der Corona-Pandemie musste ich das sogar. In 2020 war die Grenze von tschechischer Seite aus geschlossen, 2021 auf der deutschen Seite. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Grenzgängern hatte ich einen Vorteil. Die Beratung kann auch über Telefon oder E-Mail laufen. Ich habe ein Diensthandy und Laptop und konnte das Festnetz vom Büro zu mir nach Hause umleiten. In einigen Branchen ist dies natürlich überhaupt nicht möglich.
In Deutschland bei meiner jetzigen Arbeitsstelle fühle ich mich freier als in Tschechien, ich kann hier mehr mein Fachwissen einbringen. Meine Erfahrung und meine Ausbildung werden wertgeschätzt. Ich mag die Arbeit mit Menschen und habe auch das Gefühl, dass meine Arbeit sinnvoll ist. Sie macht mir Spaß. Anstrengend ist allerdings das tägliche Pendeln, vor allem im Winter.
Die Grundlagen für meine Beratungsarbeit habe ich bei EURES erworben. Alles, was ich dort gelernt und gemacht habe, brauche ich jetzt auch, nur nicht europaweit, sondern regional. Ich muss genauso offen sein für andere Kulturen, ich kenne den Umgang zwischen Jobsuchenden und Arbeitgebern, bin in Arbeitsrecht und Sozialrecht geschult und berate Menschen in Dingen, die mich auch selbst als Grenzgängerin betreffen. Da geht es um ganz praktische Sachen wie Arbeitsverträge, Sozialversicherung oder Urlaubsansprüche, um Kindergeld, Krankengeld oder arbeitsrechtliche Fragen.
Weil ich mich auf Deutsch verständigen kann, erlebe ich auch keine Ausgrenzung in Sachsen. Das Einzige, was ich manchmal gefragt werde, ist, wie ich so einen guten Job bekommen konnte. Ich denke, mein Lebenslauf macht die Antwort deutlich: Fachliches Wissen und meine Sprachkenntnisse gaben den Ausschlag und natürlich meine berufliche Erfahrung.
Ich arbeite in einem multikulturellen Team, das heißt wir sind aus der Slowakei, aus Rumänien, Polen, Tschechien und Deutschland. Dabei kommt aber auch ein multifachlicher Hintergrund zusammen. Das bedeutet, wir verstehen unsere Ratsuchenden.
Da das BABS landesfinanziert ist, sind wir leider immer befristet beschäftigt. Es hängt also vom sächsischen Landtag und vom Haushalt ab, ob ich auch künftig dort arbeiten kann.
Protokoll: Marion Lühring
Idealismus und Solidarität
Denis Dreistadt, Rentner seit dem 1. März 2022, lebt in Frankreich
Gelernt habe ich Schweißer. Ich habe erst in verschiedenen Betrieben in meinem Heimatland Frankreich gearbeitet, befristet, zum Mindestlohn, ohne Garantie für eine Festanstellung. Dann kam ein Angebot aus Saarbrücken, von einem Familienunternehmen, in dem Schrauben galvanisiert wurden. Saarbrücken ist 40 Kilometer von meinem Wohnort entfernt.
Ich hatte erst Angst nach Deutschland zu gehen. Mein Vater und mein Opa hatten so viel über die Disziplin in Deutschland erzählt. Schon beim Vorstellungsgespräch waren die Unterschiede deutlich: Es waren 15 Leute aus Deutschland eingeladen, alle kamen mit Anzug und Krawatte. Wir zwei Franzosen trugen normale Klamotten. Die Vorstellungsgespräche dauerten je 15 Minuten. Meins hat eine Stunde gedauert, und ich habe den Job dann bekommen: als Schichtführer und Hilfschemiker. 32 Jahre bin ich dort geblieben.
Sprachprobleme hatte ich nicht. Ich bin mit Lothringer Platt groß geworden, das passt gut zum Saarländischen. Französisch habe ich erst in der Schule gelernt. In der Firma haben 70 Prozent Franzosen gearbeitet, da ging viel über Platt. Wir leben hier in einem Drei-Länder-Eck, aber damals sind mehr Menschen aus Frankreich nach Deutschland arbeiten gegangen als umgekehrt. Das lag in erster Linie am höheren Lohn.
Ich habe sechs Monate gearbeitet, dann haben wir erstmals einen Betriebsrat gegründet. Ich wurde als einziger Franzose gewählt. Ich war in Deutschland Mitglied der Gewerkschaft HBV*, denn die Firma gehörte zum Großhandel. Schulungen bei der Gewerkschaft zu Arbeitsrecht und Betriebsverfassung habe ich erst acht Jahre später besucht, als die Deutschen nicht mehr im Betriebsrat weiterarbeiten wollten. Ich habe weitergemacht, mit französischen Kollegen.
Wir hatten erst alle keine rechtlichen Kenntnisse, einige sprachen kein Deutsch. Dazu waren wir in einem Familienbetrieb, in dem es oft hieß: Das haben wir schon immer so gemacht. Ich habe Druck vom Meister bekommen, wenn ich zu Schulungen wollte, das war nicht einfach. Aber mit unserem neuerworbenen Wissen haben wir dann auch einiges erreicht, etwa in Sachen Arbeitssicherheit. Wir haben mit den Chefs verhandelt, auf die deutschen Gesetze verwiesen. Auch einen Raucherraum haben wir durchgesetzt. Der Umgang mit dem Meister war nicht einfach für mich. Ich sollte gegen Gesetze und Vorschriften verstoßen, das habe ich nicht gemacht. In der Chemie kann Lügen gefährlich werden. Ich wurde von ihm gemobbt, er hat mir mit Kündigung gedroht. Aber ich bin standhaft geblieben. Später hat er sich entschuldigt.
Es gibt Unterschiede in der Mentalität. 2004 war bei uns Kurzarbeit. Das Kurzarbeitsgeld wurde für uns Franzosen deutlich höher besteuert. Als wir das bei einer Betriebsversammlung erfahren haben, sind wir spontan aufgestanden und gegangen. Wir haben uns die Differenz als Grenzgänger eingeklagt. Franzosen sind spontaner, aber weniger überlegt. Wir legen die Arbeit nieder, wenn uns etwas ungerecht erscheint. Das zeigt sich ja auch bei den politischen Generalstreiks in Frankreich. Das geht in Deutschland nicht, ist gegen das Gesetz.
Es gibt aber auch viele kleine Unterschiede. Bei der Arbeit bleibt der Deutsche in seinem Fachgebiet, der Franzose packt überall mit an, damit die Anlage läuft. Das lange Mittagessen ist für mich immer noch wichtig, in Deutschland isst man um 18 zu Abend, in Frankreich erst um 20 Uhr. Aber das muss man miterleben, dann sieht man, was der eine besser kann und was der andere. Das muss man zusammenbringen. Ich habe mich verändert durch die Arbeit in Deutschland. Ich lasse andere mehr reden, bin nicht mehr ganz so emotional.
Ich habe 15 Jahre in Frankreich gearbeitet und 32 in Deutschland. Seit einem Jahr bin ich im Ruhestand, bekomme jeweils Rente aus Deutschland und Frankreich. Seit 2004 bin ich bei den Arbeiter*innen in ver.di aktiv. Durch ver.di habe ich viele Kontakte in der ganzen Region, aber auch in ganz Deutschland. Wir haben auch Europäische Arbeiter*innentage organisiert, zuletzt im vergangenen Herbst in Bussang in den Vogesen. So habe ich viele Leute kennengelernt, aus verschiedenen Ländern. Für mich ist ein soziales Europa wichtig. Schließlich bin ich überzeugter Gewerkschafter von Jugend an. Idealismus und Solidarität, darauf kommt es an.
Protokoll: Heike Langenberg
*Die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) ist eine der Vorläuferorganisationen von ver.di
Keiner kennt sich richtig aus
Philipp Herzog wohnt in Österreich, arbeitet in Deutschland bei der Post
Ich bin gebürtig aus Österreich, arbeite bei der Deutschen Post AG in Deutschland in der Brief- und Paketzustellung und wohne mit meiner Familie in Österreich.
Aufgewachsen bin ich in Braunau am Inn. Das ist genau an der Grenze in Österreich. Man muss nur über die Brücke gehen – über den Grenzfluss rüber – und ist in Bayern. Für mich war es schon immer normal, hin- und herzupendeln. Meine Frau und ich haben zwar in Österreich studiert, waren aber auch immer wieder im Ausland und haben auch zeitweise auf deutscher Seite gelebt. Beispielsweise in Passau, weil das spannend war, auf der anderen Seite der Grenze zu wohnen. Später sind wir ins Allgäu gezogen und zuletzt zurück nach Österreich.
Bis vor kurzem waren Grenzkontrollen ja kein Thema. Doch mit Corona war die Grenze plötzlich geschlossen. Ich hätte nicht geglaubt, dass das noch möglich ist. Aber so war es. Auf einmal musste man die Ein- und Ausreise tagelang vorher in Österreich und in Deutschland anmelden – das war schon mühsam. Als ich mal meinen Corona-Testnachweis zuhause vergessen hatte, hat mich der Grenzbeamte wohl nur wegen meiner Postuniform zur Arbeit nach Deutschland gelassen.
Seit 2018 bin ich nun bei der Post angestellt, erst im Allgäu und jetzt in Niederbayern. Ich bin gerne Postbote. Wir wollten jedoch von Deutschland zurück nach Österreich ziehen, in die Nähe unserer Eltern beziehungsweise Großeltern für unsere Kinder. Deshalb habe ich mich grenznah nach Simbach am Inn versetzen lassen. Wir wohnen nun direkt an der Grenze, 20 Kilometer auf der anderen Seite in Österreich. Ich arbeite weiter in Deutschland.
Je nach Kontext fühle ich mich als Europäer, aber natürlich auch als Österreicher, und in Deutschland bin ich genauso daheim wie auf der österreichischen Seite. Der Dialekt ist auf beiden Seiten ähnlich, man hört es nur an Kleinigkeiten. Es gibt auch ein gutes Miteinander.
Das Leben und Arbeiten in Österreich und Deutschland ist sehr ähnlich. Natürlich gibt es ein paar Unterschiede. Beispielsweise wird in Österreich das 13. und 14. Monatsgehalt nicht versteuert, in Deutschland schon. Das macht es schwierig die Löhne unmittelbar zu vergleichen. Die Familienleistungen sind in Deutschland ein bisschen höher, Tanken ist in Österreich billiger, Einkaufen wieder in Deutschland.
Wünschen würde ich mir, dass es noch mehr Europa gibt und die Grenzen in den Köpfen verschwinden. Das große Ärgernis ist für mich die unglaubliche Bürokratie. Keiner kennt sich richtig aus. Selbst in Grenznähe ist es erschreckend, wie wenig Ahnung von der anderen Seite vorhanden ist. Aktuell beispielsweise bei der Steuer. Meine Steuererklärung von 2021 zieht sich jetzt schon ewig hin. Trotz mehrfacher Nachfragen geht nichts voran. Weder der österreichische noch der deutsche Steuerberater scheinen wirklich Bescheid zu wissen, wie das in unserem konkreten Fall nun zu handhaben ist. Ich bin ja nicht der erste, der pendelt. Trotzdem muss ich vieles selbst recherchieren, immer wieder herumtelefonieren – das nervt und braucht viel Energie und Ausdauer.
Seit meine Frau wieder berufstätig ist und in Österreich arbeitet, und ich weiter in Deutschland, ist einiges noch komplizierter geworden. Nun dürfen plötzlich die Kinder nicht mehr wie bisher bei mir in Deutschland mit krankenversichert sein. Das heißt für uns wieder alles neu organisieren, einen neuen (vertrauenswürdigen) Kinderarzt suchen, … Manchmal denkt man sich schon, ob es nicht einfacher wäre, alles in ein Land zu verlagern.
Aber an sich ist es schon toll, dass es überhaupt funktioniert mit Europa. Ich bin groß geworden in einer Zeit, als es noch den eisernen Vorhang gegeben hat, es auch noch kein Schengener Abkommen gab und wir jedes Mal kontrolliert wurden, wenn wir über die Grenze nach Deutschland wollten. Aber im Detail gibt es eben noch ein bisschen was zu tun. Das ist alles immer noch viel zu kompliziert.
Ich bin Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Aber nicht aktiv. Ich finde es trotzdem wichtig, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Die Post ist ein Riesenunternehmen, wo es Sinn macht, dass nicht jeder als Einzelkämpfer auftritt, um etwas zu erreichen. In der Gruppe kann man seine Rechte deutlich besser durchsetzen. Es ist gesamtgesellschaftlich und auch in Hinblick auf Europa wichtig, dass man da mitmacht und mit dabei ist.
Protokoll: Marion Lühring
Der Start war einfach
Rodothea Seralidou ist Journalistin für Radio & Print ( WDR , rbb, taz uvm.), lebt und arbeitet in Athen und Düsseldorf
Bei mir fing dieses Hin und Her sehr früh an: Meine Eltern kamen in den 1960er Jahren als Gastarbeiter von Griechenland nach Düsseldorf. Hier haben sie sich kennengelernt und geheiratet. Hier bin ich geboren. Nach der Schule – die griechische Schule in Düsseldorf – wollte ich Journalistin werden, aber meine Lehrer meinten, ich müsse entweder Ärztin oder Juristin werden. 'Wenn du Journalismus studierst und dann was anderes machen möchtest, geht das nicht', sagten sie. 'Aber als Juristin kannst du später immer noch Journalistin werden.' Das Argument überzeugte. Und so bin ich 1997 zum Jurastudium nach Athen gezogen, habe nach dem Studium sogar das Rechtsreferendariat durchgezogen und noch ein Jahr als Rechtsanwältin in Athen gearbeitet. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, diesen Beruf für immer auszuüben.
Auch nach all diesen Jahren wollte ich lieber Journalistin werden. So habe ich – nach einigen unentgeltlichen und frustrierenden Praktika im Athener Medienbereich – beschlossen, zurück nach Deutschland zu gehen und nochmal zu studieren. Dieses Mal das, was ich wollte. 2005 habe ich mit Medien- und Kulturwissenschaft in Düsseldorf gestartet. Zeitgleich lief beim WDR ein Projekt namens "Grenzenlos" an. Da wurden Nachwuchstalente mit Migrationshintergrund gesucht, die entweder ein abgeschlossenes Studium hatten oder erste Erfahrungen im Journalismus. Ich hatte beides, bewarb mich und wurde genommen. Ab 2006 konnte ich dann – parallel zum Studium – als freie Journalsitin beim WDR arbeiten, vor allem beim Hörfunkprogramm Funkhaus Europa. Nach dem Studium habe ich noch ein Volontariat beim WDR absolviert – von 2009 bis 2010. Und dann brach die Finanzkrise aus.
Nun kamen ständig Anfragen, ob ich aus Griechenland berichten kann – ob ich gerade da sei oder hinfahren könnte, um Beiträge zu machen. Ein regelrechter Andrang. Zur gleichen Zeit hatte ich eine Fernbeziehung nach Athen begonnen. Eigentlich wollte ich nie nach Griechenland zurückkehren – ich war so enttäuscht von der Arbeitsrealität dort. Aber mit all diesen Arbeitsanfragen dachte ich, das wäre jetzt die Chance, es doch mal zu probieren. Und so fing ich an, als freie Korrespondentin aus Griechenland zu berichten. Der Start war einfach für mich. Ich kannte Athen ja schon aus meiner Studienzeit. Und auch Wohnen war kein Problem. Ich bin zu meinem Freund, heute Ehemann, gezogen. Mittlerweile arbeite und pendle ich seit 12 Jahren zwischen Düsseldorf und Athen.
Ich arbeite bewusst nur für deutsche und deutschsprachige Medien. Das Arbeiten für griechische Medien ist nicht sehr attraktiv. Die Journalisten hier arbeiten sehr viel, sehr lange und verdienen sehr wenig. Hier bekommen viele Leute mit einer Festanstellung weniger als 1.000 Euro und dafür arbeiten sie von morgens bis abends. Allein die Mieten in Athen sind so hoch, dass das Gehalt nur reicht, wenn man noch bei seinen Eltern wohnt. Und das müssen viele Leute – selbst mit über 30. Die Arbeitswelt ist sehr unsicher. Seit der Finanzkrise gibt es kaum noch Tarifverträge, sogar der gesetzliche Mindestlohn sank in der Krise. Ich habe es dagegen sehr gut. Ich werde nach deutschen Tarifen bezahlt, wenn ich für den WDR oder den Deutschlandfunk arbeite. Ich berichte hauptsächlich über aktuelle gesellschaftspolitische Themen aus Griechenland. Am meisten interessieren mich Geschichten von Menschen – ob in der Finanzkrise oder Flüchtlingskrise – ich möchte hinter die Kulissen schauen. Für die ver.di publik habe ich auch schon berichtet.
Für seine Rechte als Arbeitnehmerin zu kämpfen – das finde ich wichtig. Ich bin ver.di-Mitglied. Auch meine Eltern waren beide in ver.di. Meine Mutter hatte bei Karstadt in Düsseldorf gearbeitet und mein Vater war Busfahrer bei der Rheinbahn. Ich erinnere mich noch an einige Streiks als ich zur Schule ging.
Deutschland ganz verlassen möchte ich nicht. Meine Eltern leben dort, mein Bruder, meine Freunde. Außerdem liebe ich Düsseldorf. Aus meiner Erfahrung würde ich anderen Menschen empfehlen, das Land zu wechseln, wenn man in seinem unglücklich ist. Gerade im vereinten Europa ist es so einfach. Was nützt es, wenn man die Sonne hat und das Meer, aber nicht das Geld, um den Eintritt zum Strand zu zahlen oder einen Kaffee zu trinken? Ich kenne viele Griechen, die mit der Entscheidung auszuwandern super zufrieden sind. Die können jetzt zum ersten Mal richtig Urlaub machen in Griechenland. Vorher hatten sie weder die Zeit noch das Geld.
Protokoll: Fanny Schmolke